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Artikel Klimaschutz/Mobilität Stadtentwicklung

Energie im Quartier

Das Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg

*** von Simona Weisleder ***

Sieben Jahre IBA Hamburg neigen sich dem Ende zu. Sieben Jahre sogenannter „Ausnahmezustand der Stadtplanung“ auf den Elbinseln Wilhelmsburg, Veddel und dem Harburger Binnenhafen. Sieben Jahre sehr engagiertes Arbeiten in einem besonderen Team, mit vielen tollen Projektpartnern und den Menschen vor Ort. Drei oft eng verzahnte Leitthemen hat die IBA Hamburg entwickelt und darin über 60 Bauprojekte realisiert. Kosmopolis, Metrozonen, Stadt im Klimawandel – was steckt dahinter? Eine kleine Bilanz im Präsentationsjahr der IBA Hamburg.

Kosmopolis ist ein Leitthema. Wie kann eine internationaler werdende Stadtgesellschaft ihre Kraft entfalten? Über 100 Nationen auf rund 35 Quadratkilometern: Die Hamburger Elbinseln sind Orte der Vielfalt und Internationalität. Wie können soziale und kulturelle Barrieren in einem ganzheitlichen Planungsansatz mit den Mitteln des Städtebaus und der Architektur, aber auch der Bildung, Kultur und Förderung lokaler Ökonomien überwunden werden? Hier sind beeindruckende Bildungshäuser gebaut, Netzwerke gestärkt, weitreichende Konzepte gestrickt und sehr vielfältige kulturelle Aktivitäten durchgeführt worden.

Metrozonen ist ein weiteres Leitthema. Welche städtebaulichen Möglichkeiten stecken in den Grenz- und Übergangsorten der Metropole? Die Entwicklung der inneren Stadtränder, die zu den wichtigsten Entwicklungspotentialen wachsender Städte gehören, zu lebenswerten Quartieren stand hier im Mittelpunkt. Die Wilhelmsburger Mitte und der Harburger Binnenhafen sind die prägnantesten Beispiele.

Das dritte Leitthema Stadt im Klimawandel war nicht gleich zu Beginn der IBA Hamburg auf der Agenda, aber mit dem IPPC Bericht 2007 und der konkreten Erfahrung der Elbinseln mit der Sturmflut von 1962, war es mit Sicherheit der richtige Schritt, das Thema aufzunehmen. Neben der Umsetzung von baulichen Projekten, war es uns wichtig, die Chance der „Insellage“ zu nutzen und ein Konzept zu entwickeln, wie die Energiewende, die klimafreundliche Stadt konkret aussehen kann und wie der Weg dahin beschritten werden muss. Wir haben hier gemeinsam mit unserem Fachbeirat Klima + Energie und einem Forschungsinstitut den ENERGIEATLAS erarbeitet. Er stellt in Szenarien dar, dass es möglich ist, die Elbinseln mit all ihren unterschiedlichen baulichen Strukturen im Gebäudebereich bis 2020 mit Strom und bis 2050 mit Wärme aus Erneuerbaren Energien aus lokalen, dezentralen Erzeugungsanlagen zu versorgen. Die jetzt umgesetzten Projekte der IBA Hamburg zeigen den konkreten Weg.

Die Sanierung ist und bleibt das wichtigste Handlungsfeld

Hier passiert nach wie vor zu wenig – nicht nur in Hamburg und auch für uns war es ein schwierig zu bewegendes Feld. Aber es sind spannende große und kleine Projekte entstanden, die wichtige Herausforderungen beschreiben.

Das größte Projekt ist das Weltquartier im Reiherstiegviertel. Typischer Rotklinker-Werkswohnungsbau der 30er Jahre, rund 800 Wohneinheiten der SAGA GWG, Menschen aus über 30 Nationen und Menschen mit wenig Einkommen. Hier wurde sich, aus meiner Sicht gelungen, mit dem Thema energetische Sanierung und Erhalt des „roten Stadtbildes“ auseinandergesetzt. Im Rahmen der IBA Hamburg war es möglich, dies mit besonderen Beteiligungsverfahren und dem Anspruch durchzuführen, dass die Menschen die vor der Sanierung dort lebten, sich auch hinterher die Mieten noch leisten können.

Die Siedlung ist durch den Anschluss an den Energiebunker klimaneutral mit Wärme versorgt und die Warmmietenerhöhungen liegen bei ca. 13 Cent/qm.

Mit der IBA Kampagne Prima Klima-Anlage konnten aber auch zahlreiche private Hauseigentümer der Elbinseln über energetische Sanierung informiert und sehr unterschiedliche Projekte realisiert werden:

  • Wilhelmsburger Straße – denkmalgeschützte Straßenfassade blieb ungedämmt, ansonsten Austausch der Fenster, hochwertige Dämmung der anderen Bauteile und Solarthermieanlage – ca. 50% reale Energieeinsparung.
  • Neuhöfer Straße – eine typische Doppelhaushälfte der Kirchdorfer Eigenheimer, ambitioniert gedämmt, neue Fenster, Vakuumdämmung der Kellersohle und Solarthermie auf dem Dach
  • Pontonanlage des Jugendhilfeträgers Gangway e. V. – umfassende Sanierung mit Unterstützung zahlreicher Sponsoren unter praktischer Beteiligung der Jugendlichen

Wenn Neubau, dann auf exzellentem Niveau

Der Neubau spielte natürlich bei der IBA eine große Rolle. Für die Anerkennung als IBA-Projekt muss mindestens der Energiestandard von EnEV 2009 minus 30% erreichen werden. Über 40% der Investoren gingen viel weiter, und so entstanden zahlreiche Passiv- und Plusenergiehäuser. Wohngebäude, Bildungseinrichtungen und Verwaltungsbauten.

Und für Hamburg konnte das Thema Holzbau im Geschossbau wieder angeschoben werden. Ein wichtiges Thema, wenn es um Lebenszyklusanalysen von Baumaterialien geht.

Nahwärme

Ein sehr wichtiger Baustein zur klimaneutralen Elbinsel ist der Bau verschiedener regenerativer Nahwärmenetze. Wir hatten das große Glück, dass die Elbinsel nicht bereits an das Hamburger Fernwärmenetz angeschlossen war und wir konnten mit unseren Konzepten überzeugen, so dass sie auch in Zukunft nicht an das Netz des Kohlekraftwerks Moorburg kommt.

Insgesamt hat die IBA Hamburg drei sehr unterschiedliche Nahwärmenetze an den Start gebracht.

In der Wilhelmsburger Mitte gibt es den Energieverbund, ein Nahwärmenetz von Hamburg Energie, in das auch Produzenten einspeisen können – ein neues zukunftsweisendes Thema.

Die Voruntersuchungen für das Projekt Tiefengeothermie Wilhelmsburg sind sehr vielversprechend und durch das Engagement eines lokalen Unternehmers und Hamburg Energie werden nun alle Vorbereitungen getroffen um dann in 3.500 Meter Tiefe heißes Wasser für die Strom- und Wärmeproduktion zu nutzen.

Das wohl spektakulärste Nahwärme-Projekt ist der Energiebunker: Der Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der über 60 Jahre als Klotz im Park mitten im Reiherstiegviertel stand und nun durch die IBA Hamburg zum Kraftwerk umgebaut wurde. Ein 2.000 Kubikmeter fassender Warmwasserspeicher ist das Herzstück des Projektes. In ihn speisen unterschiedliche Anlagen ein – Solarthermie, Holzhackschnitzelkessel, Bio-Methan-Blockheizkraftwerke und für die Spitzenlast an kältesten Tagen Gaskessel und eine weitere Besonderheit, die Nutzung der Abwärme eines nahegelegenen Industriebetriebs. Damit können in Zukunft rund 3.000 Wohnungen mit erneuerbarer Wärme versorgt werden. Hamburg Energie wird dieses Projekt sukzessive weiter ausbauen und nutzt es für spannende Forschungsprojekte wie POWER-TO-HEAT, d. h. Speicherung von überschüssigen Erneuerbaren Energien.

Neben dem Energiethema ist es auch gelungen, die Geschichte des Ortes in einer Ausstellung zu erzählen und mit der Eröffnung des »Café vju« auf der Ebene 8 einen sehr besonderen öffentlich zugänglichen Ort zu schaffen.

Produktion von erneuerbaren Energien

Wo in der Stadt können Erneuerbare Energien produziert werden? Wir hatten an jedes IBA Projekt den Anspruch, dass es die Eigenproduktion prüft und umsetzt, ob es die Photovoltaikanlage der Solargenossenschaft beim Open House ist oder die Brennstoffzelle beim Haus der Projekte die mügge. Das größte und faszinierendste Projekt ist wahrscheinlich der Energieberg Georgswerder. Durch das Repowering der alten Windenergieanlagen und dem Bau der größten freistehende Photovoltaikanlage Hamburgs am Südhang können hier jetzt 4.000 Haushalte mit Erneuerbarem Strom versorgt werden – rechnerisch immerhin 20% der Haushalte auf den Elbinseln.

Aber der Berg hat seine wechselvolle Geschichte – in den 80er Jahren durch die Dioxinfunde einer der größten Umweltskandale der BRD, dann aufwändigst gesichert und mit seinen rund 45 Hektar nicht zugänglich. In Georgswerder gab es schon lange den Wunsch, diese Fläche wieder in den Stadtteil zu integrieren. Die IBA Hamburg konnte gemeinsam mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt und dem Arbeitskreis Georgswerder die Umgestaltung zur InformationsLandschaft mit einem Horizontweg mit grandiosem Ausblick auf Hamburg entwickeln und umsetzen. In einem Informationszentrum wird die Geschichte der Mülldeponie erzählt und ein Ausblick auf die Erneuerbaren Energien gegeben.

Schlussfolgerungen

Die IBA Hamburg hat gezeigt: wenn man eine klare Vision formuliert, sie mit Strategien hinterlegt und dann konkrete Umsetzungen folgen lässt, kann das anspruchsvolle Projekt der Energiewende umgesetzt werden. Dabei steht im Vordergrund die Nutzung der lokalen dezentralen Ressourcen eher als auf Großprojekte in der Wüste oder im Meer zu setzen.

Für das Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg wurden wir 2012 mit dem europäischen Solarpreis und 2013 als Projekt „Deutschland, Land der Ideen“ ausgezeichnet.

Es hat sich aber auch sehr klar gezeigt, dass es für diese anspruchsvolle Aufgabe eben diesen Treiber braucht. Das war in diesem Fall die IBA Hamburg, die in ihrer doch relativ kurzen Zeit, sehr viel anschieben, auf den Weg bringen und umsetzen konnte. Das kann und muss in Zukunft bis die Energiewende und die klimafreundliche Stadt der Regelbetrieb ist, weiter geschehen durch lokale Treiber in den Quartieren und in der Stadt. Die Lösung der Energiewende beginnt VOR ORT.

Simona Weisleder, seit 2008 Projektkoordinatorin im Leitthema Stadt im Klimawandel der IBA Hamburg

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg