Eine Würdigung
*** von Joachim Reinig ***
Die Gründung der Agentur für Baugemeinschaften in der Baubehörde 2003 löste Begeisterung aus: Neue Impulse für den Wohnungsbau, Wohnprojekte kommen endlich aus ihrer Nische heraus! Die Hoffnung war so groß, dass sich Wohnprojekte fortan sogar selbst „Baugemeinschaften“ nannten. Fort mit dem Geruch alternativer Sonderbauformen!
Dabei hatte Hamburg damals schon eine zwanzigjährige Tradition von Baugemeinschaften, respektive Wohnprojekten und war Vorbild für viele Initiativen in anderen Städten geworden. Besonders die zahlreichen Gründungen von ehrenamtlichen, nachbarschaftlichen, selbst verwalteten Kleingenossenschaften waren beispielhaft.
Mit der Gründung von alternativen Sanierungsträgern (STATTBAU HAMBURG 1985 und Lawaetz Stiftung 1987) und engagierten ArchitektInnen war 1985 der Durchbruch gelungen. Hamburg beschloss eine Regelförderung, die vielen Wohnprojekten Mut machte, eigene Wege der Wohnraumversorgung zu gehen. Nur vordergründig war diese Entwicklung angestoßen von den damaligen Hausbesetzungen (Wohnprojekte wurden sogar verdächtigt, Instrument einer Befriedungspolitik zu sein).
Tatsächlich hatten regierende Sozialdemokraten erkannt, dass sich Wohnbedürfnisse gewandelt haben und in einer Großstadt nicht nur für die Kleinfamilie geplant werden kann, sondern vielfältige Lebensstile ihren Raum haben. Wohnprojekte waren Pioniere bei der Entwicklung nachbarschaftlicher Wohnformen und sozialer Bezüge im Quartier. Und sie waren Pioniere (nicht Gentrifizierer!) in der Revitalisierung gründerzeitlicher Stadtteile, die lange Jahre vernachlässigt waren und abgerissen werden sollten.
Die Agentur für Baugemeinschaften wurde in Anerkennung dieser Entwicklung gegründet, um behördliche Beratungskompetenzen zu bündeln und die Verwaltung zu koordinieren. So ist es die vorrangige Aufgabe geworden, städtische Grundstücke für Baugemeinschaften zu identifizieren, zu reservieren und in einem geordneten Verfahren zu vergeben. Dutzende von Interessentengruppen lassen sich dazu registrieren. Die Bewerbungen übersteigen das Angebot um ein Vielfaches.
Grundstücke für etwa 2.000 Wohnungen wurden in den letzten 20 Jahren von der Stadt an Baugemeinschaften vergeben – das entspricht nicht mal 3% des Wohnungsneubaus. Dabei haben die Hamburger Regierungen immer wieder versprochen, dass 15 – 20% aller städtischen Grundstücke für den Wohnungsbau an Baugemeinschaften vergeben werden.
An der Agentur für Baugemeinschaften liegt es nicht. Mit dem Gründungsleiter Frank Karthaus und seiner Nachfolgerin Angela Hansen zeigt das Team großes Engagement.
An fehlenden Grundstücken liegt es auch nicht. Eher daran, dass der Grundstücksmarkt sehr umkämpft ist und Projektentwickler, freie und ehemals gemeinnützige Wohnungsgesellschaften hart konkurrieren. Da bleiben – wenn überhaupt – für Baugemeinschaften manchmal nur die Randflächen oder weniger gefragte Lagen übrig. Was fehlt ist der klare politische Wille und seine Umsetzung!
Die Grundstückspreise haben in der wachsenden Stadt Hamburg auch so angezogen, dass Genossenschaftsneugründungen heute schwer geworden sind – die Wohnungen lassen sich in den Grenzen öffentlicher Förderungsbedingungen nicht mehr realisieren. Deshalb sind in den letzten Jahren viele Baugemeinschaftsprojekte unter dem Dach von traditionellen Genossenschaften umgesetzt worden, da nur sie in der Lage sind, die nötigen Eigengeldanteile von z. T. über 30% aufzubringen.
Ihre Bedeutung haben Baugemeinschaften auch weniger aufgrund der Marktanteile, als viel mehr wegen der qualitativen Entwicklung modernen Wohnens.
Sie sind Innovationsagenturen für urbanes Wohnen: Generationen-übergreifend, für kinderfreundliches Wohnen in der Stadt und als soziale Anker in destabilisierten Gebieten. Sie integrieren behinderte Menschen und sind in Hamburg die Pioniere für nachhaltiges und ökologisches Bauen.
Mit ihren individuellen Architekturen bereichern sie die Stadtteile. Dass heute Grundstücke von der Stadt nach Nutzungskonzepten vergeben werden, hängt auch mit den Erfahrungen von Baugemeinschaften zusammen.
Kontraproduktiv ist, dass zunehmend Baugemeinschaften angehalten werden, Architektenwettbewerbe auszuschreiben und die Architekten von Dritten vorgegeben werden. Das führt fast regelhaft zu Belastungen für die Baugemeinschaften, da unerfahrene Architekten mehr Interesse an einer Fassadenästhetik als an der Umsetzung inhaltlicher Wünsche haben. Die „Ästhetik der Partizipation“ (vgl. wohnbund-Info 4/01) kann dabei leicht auf der Strecke bleiben.
Die Agentur für Baugemeinschaften ist nicht verantwortlich für die wohnungspolitischen Vorgaben und deren fehlende Umsetzung – die werden durch die Regierungsmehrheiten formuliert und sind von ihnen zu verantworten. In diesem Rahmen leistet die Agentur solide Arbeit – was nicht zuletzt dadurch anerkannt wurde, dass andere Städte dem Hamburger Beispiel gefolgt sind und eigene Agenturen/Abteilungen gegründet haben.
Was wünschen wir unserer Agentur zum zehnjährigen Bestehen? Na – natürlich viel mehr Arbeit und auch viel mehr Erfolge!
Joachim Reing ist Architekt, hat die Gründung von STATTBAU Hamburg mit initiiert und setzt sich seit vielen Jahren für Wohnprojekte und Baugemeinschaften ein.
Die Agentur für Baugemeinschaften
Die Agentur für Baugemeinschaften wurde 2003 in der Baubehörde zur Unterstützung von Baugemeinschaften gegründet. Seitdem ist sie Ansprechpartner für Interessierte und Lotse im Verfahren für Baugemeinschaften zum eigenen Projekt.
Sie ist an der Entscheidung, welche städtischen Grundstücke für augemeinschaften angeboten werden, beteiligt. Interessierte Projektgruppen können sich hier mit einer Projektskizze bewerben.
Die Agentur für Baugemeinschaften hat u. a. einen Leitfaden für Gruppen entwickelt, der die einzelnen Schritte beim Weg zum Bauprojekt darstellt.
Weitere Informationen:
Behörde für Stadtentwicklung + Umwelt,
Agentur für Baugemeinschaften,
Neuenfelder Straße 19, 21109 Hamburg
Tel.: 040 428 40 23 33
Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg