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Artikel Stadtentwicklung Wohnungspolitik

Wie wollen wir wohnen?

Beitrag zu einer sozialen Stadtentwicklung

*** Interview mit Joachim Reinig und Ingrid Breckner ***

In Hamburg wird ganz besonders deutlich, dass über einen längeren Zeitraum zu wenig und zu wenig bezahlbare Wohnungen gebaut wurden. Die Politik versucht seit ein paar Jahren mit aktiver Wohnungspolitik gegenzusteuern, doch die Neubauzahlen weichen noch stark von dem ab, was als notwendig erachtet wird. FreiHaus fragt, ob angesichts dieses Defizits bei der Wohnraumversorgung nun die Gefahr besteht, nur noch auf Quantität zu setzen und die Qualität zu vernachlässigen.

Der FreiHaus-Beirat diskutiert hier, welche wohnungs- oder stadtentwicklungspolitischen Maßnahmen geeignet sein könnten, attraktive Quartiere und angemessene Wohnungen zu entwickeln, die die Bedürfnisse der StadtbewohnerInnen stärker berücksichtigen.

FreiHaus: In Hamburg fehlen Wohnungen. Der Senat hat 2011 mit den Hamburger Wohnungsverbänden das „Bündnis für Wohnen“ und mit den Bezirken „Vereinbarungen für Wohnungsbau“ getroffen um den Wohnungsbau anzustoßen. Dieser Anstoß führte zu vermehrter Bauaktivität, allerdings bleibt die Marktlage weiterhin angespannt.

Wird Ihrer Meinung nach in dieser Situation Wohnungsbau allein nach quantitativen Gesichtspunkten betrieben oder spielt die Qualität auch eine Rolle?

Joachim Reinig: Beim Bauen gibt es gerade in einer Stadt wie Hamburg nur begrenzte Angebote an Bauflächen. Da geht es auch immer darum abzuwägen, wo Grünflächen sind, wo man Wegeverbindungen baut, wo ein Fahrradnetz ist. Das heißt, das Bauen muss heute hohe Aufenthaltsqualitäten haben, weil ja Flächen mit anderen Nutzungen weggenommen und mit Wohnungen bebaut werden. Angemessene Wohnverhältnisse heißen heute: Zugang zu Grün, Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, damit man nicht zwingend immer ein Auto braucht, Einbindung in ein Fahrwegenetz, ein angemessen großer Balkon, damit man darauf etwas anfangen kann und auch einen Baum sieht.

Ingrid Breckner: Ich vermisse Qualitätskriterien bei vielen Bauvorhaben, die in der Stadt stattfinden und sehe gleichzeitig auch strukturelle Hindernisse. Bei den Neubauplanungen wie der neuen Mitte Altona hat die Stadt große Schwierigkeiten, Qualitätskriterien bei einem privaten Bodenbesitz durchzusetzen, selbst wenn sie es will. Ein wunderbarer Vergleichsfall ist die HafenCity, dort kann die Stadt eher bestimmen, was qualitativ passiert, weil ihr die Grundstücke gehören – sofern sie damit Investoren überzeugen kann.

Nichtsdestotrotz müsste man Wege suchen und finden um städtische Qualitätsstandards umzusetzen; das alleinige stapeln von Quadratmetern wird das Problem des städtischen Wohnens nicht lösen, weil die Menschen eben Qualitäten suchen und brauchen, wenn sie der Stadt nicht irgendwann wieder den Rücken kehren sollen, weil ihnen die Wohnbedingungen nicht gefallen und wie auch immer geartetes Grün in der Suburbia wieder attraktiv wird.

FreiHaus: Es gibt ja den Unterschied zwischen städtischen Flächen, wo die Konzeptqualität gefordert und umgesetzt werden soll, aber es gibt natürlich auch noch die Flächen, die privat entwickelt werden.

Joachim Reinig: Die Stadt hat einen großen Trumpf, sie vergibt das Baurecht. Sie kann Bebauungspläne erlassen und diskutieren oder städtebauliche Verträge aushandeln. Die Stadt ist dadurch eigentlich in einer guten Position. Sie muss nur ihre Leitbilder konkretisieren und sagen welches Bild von Stadt sie hat.

Ingrid Breckner: Vielleicht kann man diesbezüglich auch von der HafenCity lernen, dass es sich lohnt als Stadt mutiger aufzutreten. Hier war am Anfang die Sorge groß, ob private Entwickler überhaupt vorgegebene Qualitäten einhalten wollen und ob die Vorgaben nicht eher hinderlich sind. Auf mit Genossenschaften gemeinsam entwickelten Grundstücken realisierten die Investoren für sie neue Qualitäten: „So qualitätsvoll haben wir noch nie gebaut wie jetzt mit der Genossenschaft“, sagt einer im Interview. Die Genossenschaften haben Standards gesetzt in Bezug auf langfristige Umbaumöglichkeiten, Solarenergie und ähnliche Dinge, an die ein privater Investor nicht denkt, weil er nur seinen Profit unmittelbar nach Verkauf sieht.

FreiHaus: Bei der Umsetzung von Wohnprojekten, spielt die Qualität die Hauptrolle. Gibt es Möglichkeiten der Übertragung in den regulären Wohnungsbau?

Ingrid Breckner: Wohnprojekte sind mit dem, was sie tun, schon längst in der Regel angekommen, weil sie genau die Bedürfnisse befriedigen, die an Wohnraum gestellt werden. Leider können sich nicht alle Leute vorstellen, in ein Wohnprojekt zu ziehen oder es sich leisten, sich entsprechend lange zu engagieren. Ich glaube, man könnte sogar mehr Wohnprojekte realisieren, wenn man ihnen den Weg dahin ein bisschen erleichtern würde. Es gibt auch großes Interesse bei Haushalten mit Migrationshintergrund, aber da müsste man sich überlegen, die Agentur für Baugemeinschaften auch so aufzustellen, dass sie diese Zielgruppe anspricht und entsprechend informiert.

Es wäre wichtig, die Transfers z. B. aus den von der Stadt prämierten Baugemeinschaften in den normalen Wohnungsbau zu leisten, um zu zeigen, dass hier Qualitäten verwirklicht werden, die bei unterschiedlichen Nutzern ankommen, die gut funktionieren, die gewünscht werden. Aber es gibt immer noch viele Bauträger, die sich um solche Fragen nicht kümmern. Die bauen eine Hülle und die Architekten hoffen, dafür einen Preis zu kriegen und was innen passiert ist ihnen einfach nicht so wichtig.

Joachim Reinig: Es steht die Frage im Hintergrund, wem gehört eigentlich die Stadt? In Hamburg ist auffällig, dass es sehr viele Mietwohnungen gibt. Wenn man sich Eigentum schafft, egal ob als Eigentumswohnung oder Reihenhäuschen, dann hat man 30 Jahre, in denen man hohe Wohnbelastungen hat, weil man Bankkredite zurückzahlen muss. Aber danach hat man eigentlich ein sehr bequemes Leben. Wenn man irgendwann verrentet wird, hat man keine Wohnkosten mehr und kann das Haus vererben oder verkaufen, wenn man in eine andere Stadt zieht. In der Regel sogar mit Zugewinn.

Grundeigentümer übernehmen eine starke Verantwortung für die Umgebung. Das gilt eben auch für Baugemeinschaften. Sie sind Eigentümer, kollektive Eigentümer. Als Eigentümergemeinschaft oder kleine ehrenamtliche Genossenschaft übernehmen sie Verantwortung für ihren Stadtteil. Wenn man sich jetzt die andere Seite ansieht, den Mietwohnungsmarkt, haben die Mieter die Perspektive, dass die Wohnkosten ständig steigen. Orientiert am Mietenspiegel oder nicht. Manche Genossenschaften dämpfen das. Aber die SAGA GWG, die ja mit ihren Mieten auch noch im unteren Mittelfeld ist und mit ihrem großen Marktanteil auch eine dämpfende Funktion hat, wird als Finanzierungsinstrument missbraucht von der Stadt. Sie muss immer wieder Geld abliefern und das heißt die Hamburger Mieter zahlen natürlich so auch direkt in den Hamburger Haushalt.

Meiner Meinung nach kann sich das nur in eine Richtung ändern, nämlich, dass die Nutzer von Wohnungen mehr Verfügung über ihre Wohnung bekommen und so die Preisgestaltung beeinflussen können. Die Überlegung ist eigentlich, ob es nicht sinnvoll ist, zunehmend Wohnungen an die Leute, die darin wohnen, zu privatisieren, mit öffentlicher Unterstützung oder ohne. Aber das die Menschen selbst Verantwortung übernehmen, dass sie Eigentümergemeinschaften oder Nachbarschaften bilden und die Chance haben, auf Dauer ihre Wohnkosten zu verringern.

Das gilt sicher nicht für alle Bevölkerungsschichten. Es wird Stiftungen oder gemeinnützige Wohnungsunternehmen geben, die auch weiter Wohnungen anbieten für die, die tatsächlich bedürftig sind. Aber ich glaube Hamburg täte es gut, ein bisschen weg von dieser Mieterstadt zu kommen und ein bisschen mehr von dem breiten Eigentum für die Menschen zu schaffen. Wie gesagt, nicht für Investoren sondern für die Leute, die in ihren eigenen Wohnungen wohnen.

FreiHaus: Das kann sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten. Wie soll so etwas gehen?

Ingrid Breckner: Eine Einstiegsüberlegung zur Verwirklichung einer stärkeren eigenen Verfügung des Nutzers wären die schon seit 30 Jahren diskutieren Mietkaufmodelle: Das heißt sukzessive Akkumulationen des ohnehin gezahlten Mietzinses, die eine Perspektive des Wohnungserwerbs eröffnet. Dann könnte man zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt sagen, ich wohne jetzt schon 10 Jahre hier drin, habe soundso viel einbezahlt, kann ich das angerechnet kriegen, um die Wohnung zu erwerben. Hierfür sind strukturelle Überlegungen vor allem im städtischen Wohnungsbau nötig, denn ein Privater wird das natürlich nicht machen.

Joachim Reinig: So ein Modell sollte schon mehr sein, als ein Mittelstandsprogramm. Es sollte wirklich die breiten Schichten der Bevölkerung erreichen und ich glaube, dass es eine sehr emanzipative Wirkung haben kann. Dass Menschen, die wirklich sparen, wissen, sie finanzieren ihr Häuschen oder ihre Wohnung ab, dass sie das auch als Vorsorge für die Kinder oder fürs Alter machen. Ich glaube, dass es einen auch mit Stolz erfüllt, wenn man sagt, „das ist wirklich jetzt meine eigene Wohnung und hier habe ich eben mehr Rechte und ich muss nicht immer bitte, bitte sagen.“ „Ich muss mich mit meinen Nachbarn abstimmen, aber ich komme aus dieser Abhängigkeit gegenüber einem Vermieter raus.“ Das hat mit Sicherheit eine große Bedeutung, so wie bei Genossenschaften auch das Bewusstsein gestärkt wird, „das ist unsere Genossenschaft und das sind unsere Häuser.“ Also es entsteht ein ganz anderes bürgerliches Selbstbewusstsein und ein bürgerlicher Stolz auf diese Stadt. Und ich glaube, das führt auch zu Stabilisierung. Eine Gruppe für die das interessant ist, sind nicht zuletzt die Menschen mit Migrationshintergrund, die nämlich sehr eigentumsorientiert sind. Warum sollen nicht meinetwegen die russischen Auswanderer oder die türkischen Einwanderer im Osdorfer Born von der SAGA GWG ihre Wohnung kaufen und sich sozusagen bekennen, „das ist unser Stadtteil.“ Da haben sie heute gar keine Chance, wenn sie Eigentum erwerben wollen, müssen sie diesen Stadtteil verlassen.

Ingrid Breckner: Ich glaube viele Zuwanderer machen uns das vor, weil sie auf dem privaten und städtischen Wohnungsmarkt als Mieter oft nicht akzeptiert werden. Deshalb Kombinieren sie ihre ganzen Einkommen und es wird auch das Zeitungsaustragegeld von den Kindern noch für die Wohnungsfinanzierung herangezogen. Das ist das Moment, wo man sehen kann, dass es eigentlich gehen könnte, wenn ein anderes Bewusstsein entsteht.

FreiHaus: Welche Rolle kann der kommunale Wohnungsbau spielen?

Ingrid Breckner: Ich glaube, da hilft immer noch ein Blick nach Wien. Vor allem was Beratungsangebote und Beratungskompetenzen angeht. Die kommunale Institution „Wiener Wohnen“ kümmert sich in innovativer Weise um den kommunalen Wohnungsbestand. Hier sind 120 Leute beschäftigt, nicht nur 1–2 Leute pro Bezirk, die für irgendwelche Problemlagen zuständig sind, sondern das ist ein wirklich professionelles Unternehmen. Die Stadt Wien betreibt zudem eine Liegenschaftspolitik, die den kommunalen Wohnungsbau in den Vordergrund stellt. Da gibt es auch eine Wohnbauforschung, die Häuser für Migranten, Barrierefreiheit, autofreies Wohnen und ähnliches mit Wissen unterstützt und die Verwirklichung entsprechender Projekte in städtischer Regie begleitet. Interessanterweise ist das Thema Wohnprojekte in Wien ganz, ganz unterentwickelt, weil solche Bedürfnisse bislang im kommunalen Wohnungsbau weitgehend befriedigt wurden. Baugemeinschaften werden derzeit vor allem in Entwicklungsvorhaben wie z. B. in der „Seestadt Aspern“ realisiert, um Eigeninitiative und Nutzungsvielfalt zu fördern. Man setzt – wie in der Hamburger HafenCity – auf die Mischung unterschiedlicher Nutzungstypen im Wohnungsbau. Grundsätzlich glaube ich, dass gerade für diejenigen Bürger, die wenig Geld haben, kommunale Wohnungspolitik unverzichtbar ist, um langfristig ein stabiles und qualitativ hochwertiges leistbares Wohnen für alle Bevölkerungsgruppen sicherzustellen.

Wenn man sich die Besetzung der Wohnbauadministrationen in der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in den vergangenen Jahren anguckt, dann hat man wirklich den Eindruck, dass das Wohnen eher ein Stiefkind dieser Behördenpolitik gewesen ist. Da ist der „Pakt für Wohnen“ ein erster Schritt, aber da braucht es noch einen Unterbau zur erforderlichen Beobachtung von Entwicklungen in unterschiedlichen Teilmärkten sowie zu Qualitätskontrolle im Neubau wie in der Bestandserneuerung.

Joachim Reinig: Also man sieht die programmatische Armut ganz gut an dem Experimentierfeld IBA, die den Wohnungsbau nur mit den traditionellen Akteuren gemacht hat. Also entweder die SAGA GWG, umfunktionierte Modernisierungen oder Investoren oder ein bisschen Baugemeinschaft, und die das Potential der Elbinsel, soweit wie möglich Eigentumswohnungsbau für Migranten, überhaupt nicht richtig angefasst haben. Sie haben sich immer konzentriert auf schöne Fassaden. Aber was ist eigentlich das Bild oder wie findet dieser Sprung über die Elbe statt? Wenn man da richtige Baufelder gehabt hätte mit Reihenhäusern für Migranten, das wäre super gewesen.

Ingrid Breckner: Ich meine, wenn man in dieses Segment geht, muss man lernen mit Differenz umzugehen. Man darf nicht die Nase rümpfen, wenn im Vorgarten Zwiebeln wachsen oder wenn Wäsche auf dem Balkon unterschiedlich improvisiert aufgehängt wird, nur weil nicht dran gedacht wurde, hierfür geeignete Haken für Wäscheleinen anzubringen. Natürlich fangen die Leute dann an, sich selbst Schnüre zu ziehen, weil aus ihrer Sicht Wäsche als Privates nicht im öffentlichen Raum, sondern auf dem halböffentlichen Balkon getrocknet werden muss – dann sieht es eben aus, wie in Ländern, in denen solche Selbstorganisation eher toleriert wird.

Kulturelle Fragen betreffen auch den Umgang mit Grundrissen: Zugewanderte Haushalte im „WeltQuartier“ der IBA haben sich für mehrere kleine Zimmer entschieden, da ihr muslimischer Hintergrund ab einem gewissen Alter verbietet, Kinder unterschiedlichen Geschlechtes im selben Zimmer unterzubringen. Wer wenig Geld hat und sich deshalb keine großen Wohnflächen leisten kann, benötigt kleine Zimmer, damit Mädels und Jungs getrennt schlafen können. Große Wohnküchen verbrauchen viel Fläche – für diesen Personenkreis ist das keine prioritäre Wohnqualität. Bewohnerbeteiligung findet ja statt, um Differenz in den Anforderungen zu erfassen und es ist sinnvoll zu akzeptieren, wenn es dafür nachvollziehbare kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Gründe gibt. Eigentlich wünsche ich mir so etwas wie die ARGE in Schleswig Holstein, die alle öffentlich geförderten Wohnbauten mit mehr als acht Wohneinheiten auf ihre Qualität hin überprüft, bevor sie in die Genehmigung gehen. Gemeint ist ein Ort des Wohnwissens in der Stadt, der innovatives Wohnwissen generiert und vor allem im geförderten Wohnungsbau systematisch und konsequent anwendet, wenn Qualitäten vorliegen, die sich mehr an modischen Varianten des „schönen Wohnens“ als an alltagstauglicher Gestaltung vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen orientieren.

Das Gespräch führte Mascha Stubenvoll von der Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften. Sie verstärkte die FreiHaus-Redaktion.

Joachim Reinig ist Architekt und beschäftigt sich mit seinem Büro Plan – R – Architektenbüro mit den Arbeitsschwerpunkten Baugemeinschaften und neue Wohnformen.

Ingrid Breckner ist Dr. rer. soc., Diplom- Soziologin, Universitätsprofessorin an der HafenCity Universität Hamburg. Ihre Forschungen konzentrieren sich unter anderem auf alle sozialen Aspekte integrierter Stadtentwicklung.