Hamburg braucht mehr bezahlbare Wohnungen
*** von Karin Aßmus ***
In Hamburg fehlen preiswerte, bezahlbare Wohnungen – nicht nur in den Szenevierteln, sondern im gesamten Stadtgebiet. Das wissen auch der Senat und die Bausenatorin. Es wird versucht gegenzusteuern, die Neubauzahlen zu erhöhen und den sog. Drittelmix durchzusetzen. 1/3 der neuen Wohnvorhaben ab einer bestimmten Größenordnung sollen mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen werden. Es wird versucht, Investoren, Genossenschaften, SAGA GWG und andere Bauherren mit ins Boot zu holen. Kleine erste Erfolge sind sichtbar. Aber das reicht nicht, um die Wohnungsversorgung vor allem einkommensschwacher Haushalte zu gewährleisten, warnen Experten.
Strittig ist, wie viel Wohnungen fehlen. Wie viel und welche Wohnungen tatsächlich in Hamburg fehlen, darüber gibt es auseinandergehende Annahmen. Nach der jüngsten Volkszählung, dem Zensus 2011, hat Hamburg weniger Einwohner als angenommen, dafür aber mehr Haushalte und mehr Wohnungen. Also Entwarnung? Beileibe nicht. Auch die Zensusergebnisse zeigen: es gibt zu wenig Wohnungen. Das Wohnungsdefizit beträgt so ca. 45.000 Wohnungen bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,79. Ungeachtet des Zusatzbedarfs aufgrund des Einwohnerwachstums und des Ersatzbedarfs aufgrund von Abriss und Anpassungsmaßnahmen im Bestand. Leerstand und Zweckentfremdung z. B. durch Ferienwohnungsnutzung verringern das knappe Wohnungsangebot zusätzlich. Lutz Basse, Vorstand von SAGA GWG, geht von 25.000 fehlenden Wohnungen aus.
Umdenken: Mehr Geld für Neubau, weniger für Bestandsinvestitionen
Die Studie der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel ‚Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten‘ aus dem Jahr 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass „der Wohnungsneubau in Hamburg nicht die aktuelle Zusatznachfrage am Markt deckt.“ Die Fehler der Vergangenheit rächen sich nun. Es wurden kaum preisgünstige Mietwohnungen gebaut, der soziale Wohnungsneubau kam fast zum Erliegen, öffentliche Mittel wurden kaum abgerufen, auch nicht von SAGA GWG und den Genossenschaften. Das hat sich mittlerweile etwas geändert. Seit 2009 haben sich die Bewilligungen für Mietwohnungen auf 2.120 Wohnungen im Jahr 2012 verdoppelt. Nur knapp die Hälfte davon werden SAGA GWG und die Genossenschaften (17%) bauen. Diese Wohnungsunternehmen investierten 2012 in viel höherem Maße in die Modernisierung ihrer Bestände. Von den 4.307 Mietwohnungen, die mit öffentlichen Mitteln modernisiert wurden, gehörten 83% SAGA GWG und den Genossenschaften.
Der Bestand an gebundenen Wohnungen schrumpft rapide. Von 121.542 Wohnungen im Jahr 2008 auf 106.290 in 2013 und 72.694 Wohnungen im Jahr 2018 (s. WK Jahresbericht 2012). Davon sind 86,5% der Wohnungen im 1. Förderweg erstellt worden. Eine Kompensation dieses Rückgangs ist auch mit dem Bau von jährlich 2.000 geförderten Wohnungen nicht möglich. In Hamburg wurden 2012 insgesamt 8.162 Wohnungen genehmigt, davon 2.120 Förderzusagen im Mietwohnungsbau, das sind 570 Wohnungen weniger als nach dem 1/3 Mix gewünscht. Bewilligt heißt zudem noch nicht gebaut. Das zeigen die Fertigstellungen. 2011 wurden 5.061 Baugenehmigungen erteilt und 3.729 Wohnungen fertiggestellt, 2012 waren es mit 3.793 nur unwesentlich mehr Wohnungen. Bei diesem Tempo braucht es mindestens 10 Jahre bis die jetzige Bedarfslücke einigermaßen geschlossen ist.
Aber Hamburg wächst und die Zuziehenden müssen auch mit Wohnraum versorgt werden. Es gibt einen Zuwanderungsüberschuss in Hamburg. Im Jahr 2011 zogen 195.500 Menschen um, davon 102.000 Personen innerhalb Hamburgs. Mit jedem Wohnungswechsel aber steigen Mieten und das Mietpreisniveau. Für die Bestandsmieten wies der Mietenspiegel 2011 einen Durchschnittswert von 7,15 € pro qm netto kalt aus. Dass die durchschnittliche Miete nicht höher ist, ist den meist geringen Mieten der ehemaligen Sozialwohnungen zu verdanken, die erst nach Auslaufen der Bindungen in das Erhebungsverfahren eingehen. Hinter dem Durchschnittswert verbirgt sich zudem eine große Spannbreite: Mieten von 4,07 € bis 14,50 €, denn der Mietenspiegel enthält Bestandsmieten unterschiedlicher Baualtersklassen, Größe und Wohnlage, aus Harvestehude und den Walddörfern, ebenso wie aus Hamm und Wilhelmsburg. Die Neuvermietungsmieten liegen mit durchschnittlich 11,40 € im Jahr 2011 erheblich höher. 17 € bei Anmietung sind auch kein Einzelfall mehr und werden sogar in den ehemals armen, innenstadtnahen Wohngebieten wie dem Karoviertel verlangt und auch bezahlt. Für einkommensschwache Haushalte sind solche Mieten ein Ausschlusskriterium.
Explosiv: Wohnungsversorgung einkommensschwacher Haushalte
Einkommensschwache Haushalte müssen einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für Miete ausgeben, so die Bertelsmann-Studie. Die durchschnittliche Wohnbelastung liegt bei 28,3%, arme Familien geben schon mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Hamburg hat nach der Studie die höchste Armutsquote. 18% der Haushalte hatten ein Einkommen an der Armutsschwelle von 913 €, das durchschnittliche Monatsnettoeinkommen liegt bei 1.522 €. Das deckt sich in etwa mit den Angaben des Statistikamtes Nord. Danach hatten im Oktober 2010 ein Fünftel der Arbeitnehmer weniger als 1.000 € netto im Monat zur Verfügung und 37% weniger als 1.500 €. Dem muss die Wohnungspolitik Rechnung tragen, indem sie dafür sorgt, dass preiswerte, bezahlbare Wohnungen am Markt bleiben und auf den Markt kommen.
Wie dramatisch es um die Wohnungsversorgung armer Familien in Hamburg bestellt ist, hat die Bertelsmann Stiftung festgestellt. Mal abgesehen davon, dass es wenig familiengeeignete Wohnungen gibt (drei von 10), war von diesen nur jede neunte Wohnung für eine Familie mit Durchschnittseinkommen finanzierbar, und nur eine von 50 für einkommensarme Familien. Selbst Familien mit Durchschnittseinkommen müssen „bis zu 27 km abseits der Stadtmitte suchen, während sich der Radius von Familien insgesamt auf 5 km verkürzt“, so die Studie.
Auch die Versorgung der anerkannten vordringlich wohnungssuchenden Haushalte verschlechtert sich. Von den 6.403 Dringlichkeitscheininhabern konnten 2012 nur noch 27% versorgt werden. Wohlfahrts- und Sozialverbände schlagen Alarm. Ihre Klientel kann nicht mehr mit Wohnraum versorgt werden, das Angebot fehlt, Wohnungs- und Obdachlosigkeit nimmt zu. ALG II-Empfänger, die zwecks Kostensenkung auf Wohnungssuche geschickt werden, befinden sich in einer deprimierenden Ausgangslage.
Hamburg braucht ein schlüssiges Wohnungversorgungskonzept
Hamburg ist bemüht, den Wohnungsneubau anzukurbeln und auch den Anteil der öffentlich geförderten Wohnungen zu steigern. Das ist gut. Aber bislang fehlt ein schlüssiges Konzept zur Beseitigung der Wohnungsnot. Die bezirkliche Erfassung möglicher Baustandorte mit einer Schätzung des möglichen Neubauvolumens ist ein richtiger Schritt. Aber es muss geklärt werden, wie sich Bevölkerung und Haushalte entwickeln werden, welche Mietpreise bezahlbar sind, welche Wohnungen gebraucht werden und wie viele. Hamburg muss sich Gedanken machen, mit welchen Instrumenten und welchen Bauherren es eine soziale Wohnungspolitik langfristig betreiben kann und will. Es wird ein fundiertes Wohnungsmarktmonitoring gebraucht, um Engpasssituationen für unterschiedliche Zielgruppen feststellen zu können. Preiswerte, bezahlbare Wohnungen, die weder Privat- noch die öffentlichen Haushalte (wg. Hartz IV) über Gebühr belasten, werden dauerhaft benötigt. Patentrezepte gibt es nicht. Einige Eckpunkte für eine neue Wohnungspolitik können dennoch benannt werden.
Preiswerte Wohnungen mit Belegungsbindungen schaffen und erhalten
Darf man den Prognosen glauben, steigt in Zukunft das Armutsrisiko insgesamt. Deswegen sollte alles getan werden, um langfristige Bindungen schaffen und zu erhalten.
Der Schwerpunkt der Förderung in Hamburg muss beim Neubau liegen und nicht bei den Bestandsinvestitionen/Modernisierungen, denn diese leisten keinen Beitrag zur Linderung des Wohnungsmangels. Mit der Förderung müssen lange, wenn nicht dauerhafte Mietpreis- und Belegungsbindungen verknüpft werden. 15-jährige Bindungen sind zu kurz und eine Verschwendung von Steuergeldern. Ein absolutes „no-go“ sollte die vorzeitige Ablöse von Sozialwohnungen mit der Folge eines vorzeitigen Verlustes von Bindungen sein. Stattdessen sollten Bindungen, wo möglich, verlängert werden.
Hamburg will wachsen. Das darf nicht zu einem weiteren Auseinanderdriften der Stadtteile in arme und reiche führen. In Bezirken und Stadtteilen mit einem geringen Sozialwohnungsanteil muss der gebundene Wohnungsbestand erhöht werden.
Mietsteigerungen am freien Wohnungsmarkt einschränken
Die Mietpreissteigerungen bei freifinanzierten Wohnungen in Hamburg besonders bei Neuvermietung und nach Modernisierung schränken zunehmend die Lebensqualität und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für einen größer werdenden Anteil an Haushalten ein. Die steigenden Mieten sind ein Produkt von Wohnungsknappheit, aber auch des Mietrechts.
Deswegen sind Maßnahmen zur Entschleunigung und Begrenzung des Mietpreiswachstums folgerichtig: wie die Begrenzung der Neuvermietungsmieten auf die ortsübliche Vergleichsmiete, die Streichung/Reduzierung der Mieterhöhungsmöglichkeit nach § 559 BGB (Modernisierung). Die Mieterhöhungsmöglichkeiten nach § 558 BGB sind ausreichend. Die energetische Beschaffenheit einer Wohnung muss Bestandteil bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete werden. Hamburg hat mit der Senkung der Kappungsgrenze auf 15% für Mieterhöhung im Bestand zum 1.9.2013 bereits einen ersten richtigen Schritt unternommen.
Weitere Eckpunkte der Wohnungspolitik sollten Folgende sein: Um die Verfügungsgewalt über Grundstücke zu bewahren, sollte die Stadt Grundstücke nicht mehr verkaufen, sondern vermehrt z. B. im Erbbaurecht vergeben. Der Bund muss Wohnungspolitik und Wohnungsbauförderung wieder als seine Aufgabe begreifen. Vor allem in Gebieten mit akutem Wohnungsmangel wie z. B. Hamburg sollten entsprechende Fördermittel für den Wohnungsbau bereitgestellt werden.
Karin Aßmus ist Geographin und Mitarbeiterin von Mieter helfen Mietern Hamburger Mieterverein e. V.
Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg