Interview mit Bewohner*innen der hamburger Projekte Drachenbau eG und StattSchule eG
Selbstverwaltetes Wohnen erfordert Engagement, Motivation und Zeit und macht viel Arbeit. Dafür belohnen sich die Bewohnerinnen mit selbstgestaltetem Wohnraum, einer intensiven Nachbarschaft, gegenseitiger Hilfe und – soweit es die Kredite erlauben – bezahlbaren Mieten. Im Zuge der Projektgründung machen sich die Engagierten zu Expertinnen der Gruppenorganisation und der Wohnungsverwaltung. Was aber passiert, wenn die Mitglieder eines Wohnprojekts älter werden?
Welche Herausforderungen bringt der „demographische Wandel“ im Haus mit sich? Werden bauliche Maßnahmen erforderlich? Und welche Chancen eröffnen sich (erst) im Alter? Darüber sprachen wir mit Bewohnerinnen zweier unterschiedlich alten Wohnprojekte: der Drachenbau eG (gegründet 1986) und der StattSchule eG (gegründet 2012).
Welche Themen und Herausforderungen beschäftigen euch im Zusammenhang mit dem Alt werden? Ist das Alt-Werden für euch ein Thema, das ihr bereits intensiv diskutiert oder eher etwas, das sich in der Zukunft abspielen wird?
StattSchule: „Alt werden“ in Wohnprojekten nehmen wir vor allem wahr als Veränderungen in Wohnprojekten. Es geht um die finanzielle Situation der Bewohnerinnen, die räumlichen Bedarfe, um Mobilität und Reduzierung von Barrieren, um Teilhabe und um die Zukunft des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die Einschränkungen, die wir wahrnehmen, beziehen sich dabei nicht unbedingt nur auf das Alt
werden, sondern z.B. auch auf die hohe Belastung von Mitbewohner*innen in familiären und beruflichen Herausforderungen. Alt werden ist ein Prozess – auch ein sehr persönlicher. Selbstverständlich kommen
manche Themen deutlicher hervor, weil wir älter werden. Aktuell würde ich sagen: Wir leben lustvoll zwischen Realität und Verdrängung, zwischen Anpacken und Vergessen, zwischen Jetzt und Baldmal – alles in vollem Bewusstsein, dass das nicht mehr lange gut geht.
Drachenbau: Im Drachenbau setzen sich die Einzelnen schon mit dem Altwerden auseinander, aber Drachenbau als Kollektiv tut das weniger. Nicht das Altwerden bzw. -sein ist Thema, sondern die Zukunft von Drachenbau, also wie sichern wir unsere Selbstverwaltung, unser Grundstück? Wie integrieren wir junge Menschen? Wie kommen wir zu mehr jüngeren Bewohner*innen? Als wir jünger waren, gab es Ideen für eine Altenetage (separate Zimmer mit eigenem Bad und Teeküche und einem großen Gemeinschaftsraum mit Küche für die gesamte Etage). Die wurden aber nicht verfolgt. Die früher bestehenden kindgerechten WG-Wohnungen wurden viel eher nach und nach geteilt. Umbauten waren
immer anlassbezogen, z.B. in Folge von WG- oder Beziehungstrennungen.
Wie hat sich euer Projekt seit der Gründung verändert?
Gerade hinsichtlich der Altersverteilung ist sicherlich viel passiert?
Drachenbau: Als die Kinder fast alle weg waren, hat sich der Alters-durchschnitt sprunghaft erhöht. Das war aber erstmal kein Problem, weil wir ja noch alle fit waren. Einige im Drachenbau aufgewachsene „Kinder“ sind wieder eingezogen, haben teils Familien gegründet. Heute haben wir wieder sechs Kinder (alles Enkelkinder) zwischen vier und zehn Jahren.
Dazu kommen acht Hunde, was neue Fragen aufwirft.
StattSchule: Zunächst waren es die Kinder, mit denen wir in die StattSchule eingezogen sind, die am deutlichsten älter wurden. Inzwischen sind auch bei uns etliche von ihnen ausgezogen. Damit verbunden kommt immer häufiger die Frage auf, wie die Mieter*innen mit dem freige-wordenen Wohnraum umgehen. Insbesondere für alleinerziehende Eltern – bei uns sind es ausschließlich Frauen – bringt dies dringliche finanzielle Herausforderungen mit sich.
Unser Anspruch an das gemeinschaftliche Wohnen beinhaltet, dass wir dieses Thema und mögliche Lösungen in unseren „Wohnwerkstätten“ behandeln. Das sind moderierte Treffen, die über die regelmäßigen
1,5-stündigen Plena hinausgehen und bei denen Bewohnerinnen ihre Bedarfe und Wünsche ausführlich erläutern können und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Das Hauptthema, was uns zurzeit beschäftigt, ist Untervermietung und welche Kriterien wir dafür vereinbaren können, die die individuelle Wohnsituation nicht reglementierten und zugleich die Verantwortung für Gemeinschaft und Gebäude dabei berücksichtigt werden können.
Wie steht es um die Selbstverwaltung im Projekt? Die Generation der Gründerinnen gilt ja immer als besonders motiviert und engagiert. Wie stellt
sich das in eurem Projekt dar? Gelingt es, jüngere
Bewohnerinnen in die Selbstverwaltung miteinzubeziehen?
StattSchule: Alle zwei Jahre wird ein neuer Vorstand der Genossenschaft gewählt. Wünschenswert ist, dass Bewohnerinnen, die Verwaltungsauf-gaben übernehmen, auch für vier Jahre in der Funktion bleiben, damit sich Wissen und Umsetzung der Aufgaben vertiefen. Je länger wir zusammen-leben, umso größer ist der Erfahrungsschatz geworden. Um den Vorstand
zu entlasten, haben sich tatkräftige Arbeitsgruppen gebildet, die eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen: Gebäudegruppe, Technikgruppe,
Heizungsgruppe, Gartengruppe, Moderationsgruppe, Partygruppe. Mit Chaos, Konflikt, Liebe, Humor, Auseinandersetzung, Expertise und Fehlerfreundlichkeit!
Was das Alter angeht, sind wir recht homogen (Anfang 40 bis Mitte 60 Jahre), da Kinder eher ausziehen als bleiben und die Generation der Gründer*innen noch stark vertreten ist. Wir erleben bislang wenig Fluktuation.
Drachenbau: Auch bei uns gibt fast keine Fluktuation. Wir versuchen die Jungen zu integrieren, aber wir Alten sind die Expert*innen und die Jungen sind wenige und nicht alle voll einsatzfähig. Nicht alle übernehmen Aufgaben. Vielleicht fehlt auch der „Gründer-Spirit“. Wir fragen uns, was wir tun sollten, damit die Jungen nicht in der „Kinderposition“ stecken bleiben? Lassen die Alten los? Darf man bei Drachenbau Fehler machen, oder was ändern, wenn man was neu übernimmt? Es gibt insgesamt weniger Engagement in Haus und Hof und Garten als früher.
Viele haben sich ein Wochenendhaus oder einen Kleingarten zugelegt.
Stehen bauliche Maßnahmen an bzw. sprecht ihr über in der Zukunft anstehende Umbauten?
Drachenbau: Die Alten bleiben in großen Wohnungen im einst zu Wohnungen umgebauten Hofgebäude, einer ehemaligen Fabrik. Die kleineren Wohnungen in zwei 1988 neu gebauten Häusern sind alle noch
§ 5-Schein gebunden. In alle Häuser muss investiert werden. Vor allem energetische Ertüchtigungen stehen an. Wir haben 18 Wohnungen
(von insgesamt 30) mit Aufzügen barrierefrei zugänglich gemacht. Anlass dafür war nicht das kommende Alter, sondern Menschen mit Handicap. Trotzdem sind das natürlich nachhaltige Investitionen, auch für Menschen im Alter.
StattSchule: Wir sehen den Bedarf für Veränderung vor allem im Abbau von Barrieren und im Zuschnitt oder der Einteilung von Wohnungen und in den persönlichen und finanziellen Ressourcen. Die StattSchule ist ein altes Schulgebäude und aufgrund der Förderrichtlinien an Vorgaben gebunden. Aktuell wäre es aufgrund der Gebäudestruktur unrealistisch,
größere bauliche Maßnahmen zu planen. Wir sehen eher die Begrenzungen unserer Gestaltungsspielräume und handeln kleinschrittig nach aktuellem Bedarf – z.B. wurden Rampen erstellt, die aber bei Weitem den Bedarf an mehr Barrierefreiheit nicht abdecken. Viele Wohnungen sind nur über Treppenhäuser zu erreichen. Dies wird zunehmend zu einem
Problem werden, für das wir noch keine adäquaten Lösungen haben. Wir sehen auch einen sehr hohen allgemeinen Bedarf, der von der Politik aufgegriffen und neugedacht werden muss. Nicht nur Menschen in Wohnprojekten erleben Veränderungen. Stadtentwicklung muss viel kraftvoller, kreativer und unterstützender bei der Gestaltung von Wohnraum und generationsübergreifenden Konzepten und Modellen
werden. Viele Menschen der älteren Generation leben in Wohnraum, der ihnen zu groß wird, können sich aber aufgrund der Wohnungsmarktlage keine kleine Wohnung leisten. Viele Menschen der jüngeren Generation brauchen größeren Wohnraum, aber finden keinen, der ihren Ressourcen und Bedarfen entspricht.
Sprecht ihr über Service- oder sogar Pflegebedarfe im Haus? Trefft ihr Vorkehrungen, um älteren Bewohnerinnen, die möglicherweise nicht mehr so mobil wie früher sind, das Wohnen-Bleiben zu ermöglichen? Welche Chancen bietet die Gemeinschaft eines Wohnprojekts, um kollektiv angenehm zu altern?
StattSchule: Nicht nur „älter werden“ führt zu Bedarf an Unterstützung und Pflege. Wir sind eine Gemeinschaft von über 50 erwachsenen Menschen, vor denen schwere Krankheiten nicht Halt machen. Wir haben erlebt, wie stark Gemeinschaft ist und sein kann, um sich gegenseitig zu helfen, zu unterstützen und zu respektieren. Diese Erfahrungen prägen das Projekt in seiner Entschiedenheit, das Zusammenleben konstruktiv zu gestalten. Bei einer Befragung aller Bewohnerinnen stellte sich heraus,
dass ein Drittel sich vorstellen kann in Clusterwohnungen oder Wohngemeinschaften zu leben.
Zweidrittel konnten sich vorstellen in diesem Wohnprojekt alt zu werden.
Drachenbau: Wir übernehmen keine Pflegedienste, sondern das macht die Familie und ein professioneller Pflegedienst. Aber wir springen in akuten Fällen ein, einige kümmern sich im Rahmen der Nachbarschaft, je nach Vertrauensverhältnis.
Wir verdrängen kollektiv vielfach, welche Herausforderungen das Alter noch bringen wird, aber in der Not oder im Fall von akuter Hilfsbedürftigkeit reagieren wir schnell. Einige aus dem Drachenbau
haben eine Gemeinschaftsgrabstelle auf dem Friedhof Ohlsdorf eingerichtet. Wir nennen sie „Drachengruft“, obwohl es eine ebenerdige Grabstätte ist. Es sind aber nicht alle Drachenbauerinnen Mitglied in dem dafür gegründeten Verein. Weitere Mitglieder werden geworben, damit der Verein und die Grabstelle das Leben der jetzigen Mitglieder überlebt. Die Treffen des Vereins und gemeinsame Trauerfeiern sind ein Ort, wo mehr über Alter und Tod gesprochen wird, aber gerne auch im Scherz und fröhlicher Atmosphäre.
Was sind denn die schönen Seiten des Älterwerdens? Ich denke dabei u.a. an die Kredite, die zum Bau aufgenommen wurden und heute möglicherweise abbezahlt sind. Ergeben sich daraus neue Freiheiten für ein Projekt? Oder auch anders gedacht: Welche schönen Seiten des Älterwerdens ergeben sich in Bezug auf das Zusammenleben im Projekt?
Drachenbau: Wir haben viele Erfahrungen gemacht, sind deshalb kompetenter und strukturierter geworden. Nach 37 Jahren gibt es viele tiefe Freundschaften und eine große Verbundenheit. Diese trägt uns in einem guten Gefühl ins Alter. Ehen und Beziehungen werden durch die Verbundenheit entlastet, weil auch Freundinnen nah sind und sich
schnell noch mal dazu gesellen können, wenn es Probleme gibt. Wir feiern auch gern gemeinsam. Es gibt zahlreiche gemeinschaftliche Aktivitäten zu
denen sich Interessierte zusammenfinden, wie z.B. der „Drachenbau-Salon“, Kultur und Politik im Stadtteil, Reisen, Demos, das Repaircafé und anderes.
Die öffentlichen Darlehen für die beiden Neubauten von 1988 werden jedoch erst 2040 vollständig abbezahlt und auch erst dann die Belegungsbindungen auslaufen. Erste abgezahlte Darlehen haben wir zur
barrierefreien Erschließung durch Aufzüge genutzt, ohne dass die Mieten stark steigen mussten. Wer von Altersarmut betroffen ist, muss keine hohe Miete fürchten. Weitere Freiheiten durch abgezahlte Kredite sind jedoch nicht in Aussicht. Energetische Ertüchtigung und Instandhaltung alter Gemäuer schon.
StattSchule: Älter werden ist ein Prozess – auch ein sehr schöner! Es setzt neue Ressourcen frei – die sind bei uns noch lange nicht auf der finanziellen Ebene in Sicht, aber etwas mehr Zeit für Gemeinschaft und ebenso etwas mehr Gelassenheit sind wunderbare neue Ressourcen. Trotzdem beschäftigen uns die dringlicher werdenden Fragen, wie zeitliche und finanzielle Ressourcen eines Wohnprojektes so gebündelt werden können, dass bauliche und soziale Maßnahmen, die ein Zusammenleben
mit Menschen mit zunehmend unterschiedlichen Bedarfen erfordert, umgesetzt werden können. Wir sind am Anfang und sehen auch, dass
Wohnprojekte diese Fragen nicht alleine lösen können. Es braucht den Dialog mit politisch Verantwortlichen, wie gesellschaftlicher und demographischer Wandel nachhaltig und partizipativ gestaltet werden
kann. Außerdem besteht der Wunsch sich mit anderen Wohnprojekten über ihre Erfahrungen und konkreten Schritte in Bezug auf Veränderungen wie z.B. „Älter werden“ in Wohnprojekten auszutauschen.