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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

Baakenhafen für alle

Auf dem Weg zum inklusiven Quartier

*** Dr. Marcus Menzl, HafenCity Hamburg GmbH im Gespräch mit Ulrike Petersen ***

Ein Quartier für alle Lebenslagen: Die zukünftigen Bewohner des Quartiers Baakenhafen sollen – unabhängig von Pflege- oder Assistenzbedarf – nachbarschaftlich zusammenleben und alt werden können. So steht es im Konzept des Netzwerk HafenCity. Vor zwei Jahren hat FreiHaus darüber berichtet. Geht der Plan auf? Wir fragen nach!

Ulrike Petersen: Herr Dr. Menzl, vor zwei Jahren haben wir in FreiHaus das Konzept „Ein Quartier für alle Lebenslagen“ vorgestellt. Was hat sich seitdem getan?

Marcus Menzl: In den vergangenen Monaten sind insgesamt 13 Grundstücke vor allem im Zentrum des Quartiers Baakenhafen an verschiedene Bauherren anhand gegeben worden. Diese haben jetzt exklusiv die Möglichkeit, die Planung für das jeweilige Grundstück zu konkretisieren, d. h. einen Architekturwettbewerb durchzuführen, Bodenuntersuchungen in Auftrag zu geben, einen Bauantrag vorzubereiten – oder auch die Abstimmungen mit den sozialen Trägern zu intensivieren, mit denen sie kooperieren wollen. Mehr als 1.000 Wohnungen, von denen 44% im geförderten Wohnungsbau errichtet werden, befinden sich somit bereits in konkreter Planung. Und auch das Quartierszentrum mit Supermarkt, Drogerie und vielen weiteren Angeboten sowie das Bildungs- und Familienzentrum mit der zweiten Grundschule der HafenCity und einer weiteren Kindertagesstätte gehören zu den bereits anhand gegebenen Grundstücken.

Ulrike Petersen: Welche Wohn-und Versorgungsformen werden tatsächlich entstehen?

Marcus Menzl: Das Quartier Baakenhafen wird eine sehr vielfältige Nachbarschaft aufweisen. Bei der Auswahl der Bauherren wurde darauf geachtet, dass im Ergebnis eine breite konzeptionelle und soziale Durchmischung von Wohnangeboten entsteht. Das Spektrum der Bauherren reicht daher von Projektentwicklern und großen Wohnungsbaugesellschaften über Genossenschaften und Baugemeinschaften bis hin zu sozialen Trägern wie Hamburg Leuchtfeuer. Soziale Mischung bezieht sich im Quartier auf Einkommen, Alter, individuelle Lebensentwürfe und Unterstützungsbedarf. So weist das Quartier zum Beispiel eine dezidierte Familienorientierung auf (etwa in Bezug auf das Wohnungsangebot, die Freiflächen rund um den neuen Baakenpark, das Bildungs- und Familienzentrum usw.), bietet zugleich attraktive Studierendenwohnungen an und hat ebenso das Ziel, ein differenziertes Betreuungs- und Pflegeangebot zu schaffen, dass es älter werdenden Menschen ermöglicht, auch bei zunehmendem Unterstützungsbedarf im Quartier zu bleiben. Konkret werden im Quartier Baakenhafen in mehreren Gebäuden durch die Martha Stiftung Service-Wohnungen für Senioren angeboten, die ergänzt werden durch dezentrale Wohn-Pflege-Gemeinschaften mit ambulanter Pflege und Betreuung. Der inklusive Anspruch des Quartiers drückt sich schließlich aber auch darin aus, dass von Trägern wie der Martha Stiftung, der Alsterdorf Assistenz West und Ost sowie Hamburg Leuchtfeuer Wohnangebote geschaffen werden, die es auch Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung, mit Suchterfahrung oder mit chronischer Erkrankung ermöglichen, im Quartier Baakenhafen zu leben.

Ulrike Petersen: Wie haben Sie Investoren und soziale Träger ins Boot geholt?

Marcus Menzl: Schon weit im Vorfeld der Veröffentlichung von Grundstücksangeboten informiert die HafenCity Hamburg GmbH über die Entwicklungsziele in den Quartieren der HafenCity und führt auch Gespräche mit möglichen Bauherren und sozialen Trägern. Im Grundstücksangebot werden dann konkrete Mindestanforderungen formuliert, die alle Bewerber erfüllen müssen. Dazu zählen etwa die Berücksichtigung eines Anteils von mindestens 33% geförderten Wohnungsbau, die Durchführung eines Architekturwettbewerbs oder die Einhaltung der Nachhaltigkeitsstandards der HafenCity (Umweltzeichen HafenCity). Und auch die rollstuhlgerechte Ausführung von mindestens zwei Obergeschossen ist im Übrigen verpflichtend.

Da die Grundstücke im Konzept-Preisverfahren vergeben werden, bei dem das Konzept mit 70% und der Preis mit 30% gewichtet werden, sind insbesondere die möglichen Differenzierungskriterien interessant, die dem Bewerber Hinweise geben, wie er sein konzeptionelles Profil stärken kann. Hier ist die konzeptionelle Vielfalt des Wohnangebots von entscheidender Bedeutung. Bewerber, die eine breite soziale Mischung anbieten und dabei auch besondere Wohnformen integrieren, möglichst belegt durch die konkrete Interessensbekundung eines sozialen Trägers, sind dann im Vorteil.

Um Investoren die Ansprache von sozialen Trägern zu erleichtern und ihnen eine Vorstellung möglicher inklusiver Wohnangebote zu geben, hat die HafenCity Hamburg GmbH bereits im Vorfeld der Veröffentlichung des Grundstücksangebots Kontakt zu sozialen Trägern gesucht und ihnen die Möglichkeit eröffnet, konkrete Interessenbekundungen abzugeben. Diese wurden dann den Grundstücksangeboten beigefügt.

Ulrike Petersen: Wie kann ein Miteinander im Baakenhafen auf Dauer gefördert werden?

Marcus Menzl: Soziale Mischung und inklusives Wohnen dürfen nicht als Anforderungen verstanden werden, die mit der Grundstücksvergabe oder dem Bau der Gebäude abgeschlossen werden. Vielmehr werden damit komplexe soziale Prozesse angesprochen, die langfristig angelegt und kontinuierlich begleitet werden müssen. Wichtig für das neu entstehende Quartier erscheint dabei insbesondere die frühzeitige Weckung von Interesse an lokalen Prozessen und nachbarschaftlichen Begegnungen, um so schrittweise lokale Netzwerke und ehrenamtliche Engagementbereitschaft aufbauen zu können. Wichtig ist hierzu, nicht geschlossene Institutionen (Schule, Kita, Seniorenheim etc.) zu entwickeln, sondern Orte, die zu Begegnungen einladen, neugierig machen und die Lust an der Aneignung des neuen Quartiers stimulieren.

Viele andere Quartiersentwicklungen zeigen zudem, dass es langfristig wichtig ist, einen guten Mix aus aktiven ehrenamtlichen Strukturen, wie sie in der HafenCity unter anderem im Stadtteilverein Netzwerk HafenCity existieren, und unterstützenden hauptamtlichen Kräften zu schaffen. In der HafenCity wird daher ein Quartiersmanagement eingerichtet, das aus einer monatlichen Umlage aller Gebäudeeigentümer finanziert wird und das unter anderem der dauerhaften finanziellen Absicherung der drei in der HafenCity geplanten Gemeinschaftshäuser dient.

Ulrike Petersen: Vorletzte Frage: Können eigentlich nur „Besserverdienende“ und „Reiche Rentner“ im Baakenhafen wohnen, alt werden?

Marcus Menzl: Nein. Das Quartier Baakenhafen wird nach Fertigstellung einen Anteil von mindestens 33% geförderten Wohnungsbau aufweisen. Zudem ist es eine besondere Zielsetzung, Bauherren (wie z. B. Genossenschaften) zu gewinnen, die Wohnungen dauerhaft oder über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren in ihrem Bestand halten, so dass auch nach Auslauf der Bindungen des geförderten Wohnungsbaus Kontinuität und soziale Verantwortung gewährleistet sind. Ziel der Entwicklungen ist es, im Quartier Strukturen aufzubauen, die möglichst lange eine umfassende ambulante Betreuung und Pflege der älter werdenden Menschen ermöglichen, so dass sich zumindest die Frage nach einem Umzug in eine relativ teure Pflegeeinrichtung gar nicht mehr unbedingt stellt. Ein Schlüssel für solche Strukturen ist aus unserer Sicht das Zusammenwirken von professioneller Betreuung und Pflege sowie nachbarschaftlichen Netzwerken, die die Bewältigung des Alltags unterstützen.

Das Quartier Baakenhafen – dunkel dargestellt sind alle bereits anhandgegebenen Grundstücke, grau dargestellt die aktuell ausgeschriebenen Grundstücke

Ulrike Petersen: Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Marcus Menzl: Aktuell läuft bereits die nächste große Angebotseinheit im Quartier Baakenhafen, in der erneut sechs unterschiedliche Grundstücke angeboten werden. Ergänzend zu den oben beschriebenen Entwicklungszielen wird bezogen auf das seniorenorientierte bzw. inklusive Wohnen die Integration weiterer Wohn-Pflege-Gemeinschaften (z. B. auch für Menschen mit Demenz oder psychischen Erkrankungen) angestrebt. Explizit Erwähnung findet im Grundstücksangebot auch die erneut in der bewährten Kooperation mit der BGV und der Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften entwickelte Idee eines Wohnhauses mit 30 bis 40 abgeschlossenen Apartments für alleinstehende oder auch als Paar lebende pflege- oder betreuungsbedürftige Menschen, die in Verbindung mit ambulanter Betreuungs- und Pflegeversorgung durch einen Träger realisiert werden könnte. Idealerweise sollten in das Haus auch 50-60 Wohneinheiten für nicht pflegebedürftige Menschen unterschiedlichen Alters integriert werden. Soziale Träger, die Interesse an der Realisierung eines solchen Angebotes haben, gibt es, wir werden sehen, ob sich auch ein Bauherr findet, der sich an ein solches Projekt heranwagt.

Ulrike Petersen: Vielen Dank für das Gespräch! 

Ulrike Petersen ist seit 2005 Mitarbeiterin der STATTABAU HAMBURG GmbH und dort in der Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften für die Entwicklung innovativer Wohnformen für Menschen mit Assistenz- und Pflegebedarf zuständig. Hierzu zählt auch die konzeptionelle Beratung und Begleitung von Wohnstiften, die im Zuge von Sanierungs- bzw. Umbaumaßnahmen neue Wohnkonzepte realisieren wollen.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 21(2015), Hamburg