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Artikel Netzwerk Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

Da bricht eigentlich niemandem ein Zacken aus der Krone

Von der sozialen Nachhaltigkeit kleiner sorgender Gemeinschaften

*** von Martina Kuhn ***

Hans-Werner K. ist ehren­amtlicher Ombudsmann in zwei Senioren-Einrichtungen in Altona und hat im Rahmen seiner Interessenvertretung einen besonderen Blick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung.

WARUM ENGAGIERT ER SICH ÜBERHAUPT EHRENAMTLICH? ?

Vor knapp fünf Jahren ist der inzwischen 71-jährige Hans-Werner K. an einem BIQ-Stand auf der AKTIVOLI Freiwilligenbörse mit einem Ehrenamtlichen lebhaft ins Gespräch gekommen. Das war Wolfgang, wie er später erfuhr.

Während des Gesprächs wusste Hans-Werner eigentlich schon, dass das die richtige Aufgabe für ihn sein würde. Bereits in den 60er Jahren hatte ihm sein Deutschlehrer vermittelt, dass es wichtig sei, sich einzubringen: Für die Welt und die Gemeinschaft. Dazu gehöre, sich zu interessieren und sich auch verantwortlich zu fühlen. Als Schülervertreter, für die Umwelt und gegen AKWs. Engagement hat eigentlich immer zu seinem Leben gehört.

In seinen letzten Berufsjahren war er als Geschäftsführer eines Wohlfahrtsverbandes auf der Managementebene für sieben Seniorenwohneinrichtungen zuständig. Auch in dieser Rolle hat er sich für die „gute Sache“ und andere Menschen eingesetzt. Da war es für ihn nur schlüssig, sich nun im Rentenalter mit seinem Erfahrungswissen für die Interessenvertretung der anderen Seite, nämlich der Bewohner:innen einzusetzen.

Als Konsequenz aus dem lebhaften Gespräch auf der AKTIVOLI engagiert sich Hans-Werner K. heute als Ombudsmann in dem Interessenvertretungsorgan „Wohnbeirat“ in zwei Senioren­einrichtungen in Altona. Diese liegen Luftlinie keine 100 Meter auseinander. Und trotzdem könnte die Distanz kaum größer sein. Ein kleines katholisches Haus und eine ehemals städtische Einrichtung, die inzwischen zu einem großen privaten Konzern ­gehört, der bundesweit agiert. Nicht einmal die Einrichtungsleitungen kennen sich. Die beiden Vorsitzenden der Wohnbeiräte sind sich erst kürzlich im Beisein von Hans-Werner K. das erste Mal begegnet; er hat sie einander vorgestellt.

ER WÜRDE NIEMALS BETRIEBSGEHEIMNISSE AUSPLAUDERN

In seiner Rolle als Ombudsmann ist Hans-Werner K. als Vertrauensperson in den Wohnbeiräten der jeweiligen Einrichtung anerkannt. Er würde seine Position niemals ausnutzen, um interne Kenntnisse zu verbreiten oder Betriebsgeheimnisse auszuplaudern. Trotzdem erlaubt er sich, Kenntnisse aus der einen Einrichtung zuweilen unverbindlich als Anregung in der anderen Einrichtung einzubringen. Ansonsten versteht er sich mehr als Berater und Unterstützer, denn als Ratgeber und Macher.

Wohnbeiräte kümmern sich um viele unterschiedliche Themen, die die Bewohner:innen bewegen, abhängig von den Gegebenheiten und den handelnden Personen. Das wichtigste Thema ist überall das Essen. Es geht um Qualität, Auswahl, Präsentation sowie die Gewährung von Wünschen oder herkunftsbedingten Spezialitäten. Fast ebenso wichtig sind Fragen der Alltagsgestaltung in all ihren Facetten: also Freizeitangebote, Sport- und Bewegungsangebote, Musik und Kultur und anderes mehr.

KOCHEN UND ESSEN HABEN SICH SCHON IMMER
FÜR GEMEINSAMKEITEN GEEIGNET

Grundsätzlich eignen sich die Themen Essen und Freizeitangebote für Kooperationen zwischen Einrichtungen, die räumlich so nahe beieinander ­liegen: es können Synergien entstehen und beide Einrichtungen nachhaltig davon profitieren.

Hans-Werner K., der in beiden Einrichtungen tätig ist, sieht diese Chancen und auch die Potentiale, die sich in ganz praktischen und alltäglichen Situationen ergeben können mit den Fragestellungen: Wie kann Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung auch trägerübergreifend umgesetzt werden? Wie können auch mit kleinen Kooperationsansätzen langfristig Hürden überwunden werden, um aufeinander zuzugehen?

In allen Einrichtungen des Trägers der Einrichtung A, die über das ganze Stadtgebiet verteilt sind, wird eine Nachbarschaftszeitung herausgegeben. Im Wohnbeirat in der Einrichtung in Altona werden die Berichte von den anderen Standorten durchaus als Inspiration genutzt. Dies kann man durchaus weiterspinnen und noch weitere Einrichtungen in den Verteiler aufnehmen. Die Umsetzung bereits erprobter und erfolgreicher Ideen schont auf jeden Fall Ressourcen.

Ein anderes Beispiel, das Hans-Werner K. beobachtet hat: Einrichtung A hat nach langer Durststrecke ohne Angebote und ohne Kultur ein gigantisches Oktoberfest mit Kirmes-ähnlichen Spielstraßen, typischer Kleidung und bayrischen Spezialitäten veranstaltet. Es wurden super Rückmeldungen verzeichnet. Viele wünschten sich „jeden Monat ein Oktoberfest“. Wie schön wäre es gewesen, wenn die Bewohner:innen von Einrichtung B auch daran hätten teilhaben können. Oder man hätte die gleichen Materialien oder Künstler:innen ein paar Stunden oder einen Tag später nebenan nutzen können.

Und wenn man das konsequent weiter denkt: für einen Ausflug wird ein großer Bus für beide Einrichtungen gechartert, die Kosten werden geteilt; der gebuchte Weihnachtsmann tritt bei einer Anfahrt nacheinander in den Einrichtungen auf; ein Personalpool auf den beide Einrichtungen zugreifen können; eine Einkaufsgemeinschaft…

Fazit der alltäglichen Beobachtungen von Hans-Werner K. ist, dass durch Kooperationen die Angebotsvielfalt erhöht werden bei gleichzeitiger finanzieller Machbarkeit und Ressourcenschonung. Durch effizienter eingesetzte Mittel könnte im Ergebnis die Lebensqualität der Bewohner:innen beider Einrichtungen trotz beschränkten Budgets und begrenzter Ressourcen verbessert werden. Statt des Konkurrenzdenkens wäre es eben nachhaltiger, aber auch ökonomischer, die Win-Win-Situation
zu erkennen.

Auch ein Austausch unter Wohnbeiräten eines Bezirks könnte Inspirationen hervorbringen und eine nachhaltig sinnvolle Arbeit zur Folge haben.

Warum eigentlich nicht? Was hindert wen, aufeinander zuzugehen? Müssten nicht, allein aus ökonomischen Interessen die Träger aufeinander zugehen? Dann würden sich alle Einrichtungen auch für die Zukunft besser aufstellen.

Oder bricht dabei doch jemandem ein Zacken aus der Krone?

Wir bedanken uns bei dem ehrenamtlichen Ombudsmann Hans-Werner für das interessante Gespräch und die Anregungen!

Martina Kuhn ist Projektkoordinatorin für das Projekt Bürgerengagement für Wohn-Pflege-Formen im Quartier (BIQ) bei STATTBAU HAMBURG.

Cover der Freihaus Ausgabe Nr. 26, erschienen im Dezember 2022

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 26(2022), Hamburg