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Das Modellprojekt QplusAlter

Passgenaue Unterstützung für ältere Menschen und deren Angehörige

*** Julia-Christin Gaum und Karen Haubenreisser ***

Im Hamburger Modellprojekt „QplusAlter“ entwickeln Lots*innen gemeinsam mit älteren Menschen ab 65 Jahren und den (pflegenden) An- und Zugehörigen ein individuelles Unterstützungssetting. Das Ziel ist, sie darin zu unterstützen, möglichst lange selbstbestimmt und selbstständig nach ihren Vorstellungen im Quartier zu leben. Wie geht das?

Um mit den älteren Menschen, sowie deren An- und Zugehörigen ins Gespräch zu kommen, besuchen sogenannte Lotsinnen diese zu Hause oder telefonieren mit ihnen. Wenn jemand keinen Hausbesuch wünscht, sind auch Gespräch vor Ort im Stadtteil oder per Video möglich. Die Lotsinnen richten dabei den Blick auf die Ressourcen, so dass ein pass-genaues Hilfenetzwerk aus Selbsthilfe, Hilfsmitteln, sozialen Netzen, Angeboten und Profi-Leistungen im Stadtteil entstehen kann.
Eine einmalige Beratung oder auch mehrere Gespräche sind möglich, bei denen derdie Lotsende in die nächsten Schritte begleitet und die Menschen unterstützt, die Hilfen zu organisieren.
Die Wege, die die Menschen zusammen mit den Lotsinnen entwickeln, sind ganz unterschiedlich und reichen vom passenden Rollator über eine Begleitung beim Einkaufen, eine Nachbarschaftshilfe, einen Spielepartnerin im Stadtteil, eine Smartphone-Sprechstunde bis zum Kontakt zur Tagespflege
um die Ecke.

Der Hintergrund
Grundlage des Projekts ist das Konzept der Sozialraumorien-tierung nach Professor Wolfgang Hinte sowie die Erfahrungen aus der Hamburger Eingliederungshilfe. „QplusAlter“ ist ein Modell-projekt der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Partnerschaft mit und gefördert durch die Deutsche Fernsehlotterie, die Karin und Walter Blüchert Gedächtnisstiftung, die Nordmetall-Stiftung und die Homann-Stiftung.
Demografischer Wandel, Pflegenotstand, Einsamkeit im Alter, finanzielle Grenzen – die gesellschaftlichen Herausforderungen für gutes Älterwerden sind vielfältig.
Die Vorstellungen von einem guten Leben im Alter ebenso: selbstbe-stimmt entscheiden und handeln, unabhängig und zugleich eingebunden sein, selbsttätig für sich oder andere und dabei gut unterstützt sein.
Hier setzt „QplusAlter“ an. Seit 2019 entwickeln die Lotsinnen gemeinsam mit älteren Menschen und Zugehörigen ein individuelles Unterstütz-ungssetting, ausgehend vom Willen des älteren Menschen und seinen Vorstellungen. Das Angebot ist kostenfrei und vorerst lediglich für Rat-suchende, die in den Bezirken Hamburg- Nord oder Hamburg-Altona leben und deren Anund Zugehörige nutzbar.

Die „QplusAlter“ Lotsinnen
Was ist mir wichtig und wie kann ich das umsetzen? Die haupt-amtlichen Lotsinnen beraten und koordinieren zu allen Themen rund ums Älter-werden. Der Kontakt zu den Lotsinnen entsteht über die Verbindung zu zahlreichen Schlüsselpersonen und Angeboten im Quartier. Gezielte, in die Lebenswelt der Menschen reichende Öffentlichkeitsarbeit, die mobile Verortung der Lotsinnen im Quartier sowie über die enge Kooperation mit Akteurinnen aus dem Gesundheitswesen, wie den Krankenhaus-Sozial-diensten.

Aus der Praxis
In den ersten drei Jahren von 2019 bis 2021 haben sich pro Jahr 170 Menschen an die Lots*innen gewandt, im Jahr 2023 waren es bereits 450 Menschen.
Zum Beispiel: Der 85jährige Elmar Dose und seine 79jährige pflegebe-dürftige Ehefrau Marie (Namen geändert) überlegen, in ein Pflegeheim zu ziehen. Sie besprechen gemeinsam mit einer Lotsin, was ihnen wichtig ist und welche Sorgen und Bedenken sie haben. Gemeinsam erkunden sie die verschiedenen Möglichkeiten: Wie könnte unser Leben zu Hause gelingen? Was könnten wir selber machen, vielleicht auch mit Hilfsmitteln? Welche Unterstützung gibt es in der Nachbarschaft oder durch das persönliche Umfeld? Was können professionelle Dienste leisten? Und wie könnte das alles gut zusammenpassen? Das Ehepaar wägt das Für und Wider ab und entscheidet schließlich, weiter zu Hause wohnen zu bleiben: „Bei der Lotsin können wir über unsere Fragen sprechen, verschiedene Möglichkeiten abwägen. Nun wissen wir, welchen Weg wir einschlagen.“

Mehr Teilhabe – mehr Unterstützung
Die Evaluationsergebnisse der Universität Duisburg-Essen sowie der Hochschule Niederrhein zeigen, dass dieser Ansatz wirkt: Die Menschen klären ihre Lebenssituation und Interessen, und sie entscheiden und machen mehr selbst. Es entstehen individuelle und breitere Unterstütz-ungssettings, insbesondere Ressourcen aus dem persönlichen Umfeld und dem Quartier nehmen im Begleitungsverlauf deutlich zu und werden gezielt mit Profi-Dienstleistungen verknüpft. Leistungen aus der Pflegeversicher-ung werden für die Refinanzierung nachbarschaftlicher und
zivilgesellschaftlicher Unterstützung (§ 45b SGB XI) durch die Vermittlung der Lots*innen zunehmend genutzt. Die Lebensqualität der älteren Menschen hat sich verbessert:
Sie haben mehr soziale Kontakte, kennen sich in ihrem Stadtteil besser aus und finden (neue) nachbarschaftliche Unterstützung für ihren Alltag.

Ausblick
Wie kann diese neue, intermediäre Funktion perspektivisch Teil des Leistungsgefüges werden, beziehungsweise wo könnte sie regelhaft verortet werden? Der Modellansatz wird mit Hamburger Bezirken und der Sozialbehörde sowie gemeinsam mit Kranken-kassen weiterentwickelt und im Rahmen eines zunächst dreijährigen Modellprojektes ab 01.11.2024 auf weitere Hamburger Bezirke ausgeweitet. Die vier Bezirke Hamburg-Nord, Altona, Eimsbüttel und Wandsbek sind mit dabei. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen fördert das gemeinsame Vorhaben über den Stadtentwicklungsfonds, zusammen mit der Sozial-behörde und den vier Förderstiftungen.