Baugemeinschaften Top – Klimaschutz ein Flop?
*** von Tobias Behrens ***
Nachdem der Masterplan zur Entwicklung der Neuen Mitte Altona bereits am 15. Mai 2012 fertiggestellt und im letzten Jahr der städtebauliche Vertrag zwischen den Investoren bzw. Eigentümern und der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen wurde, konnten Ende des letzten Jahres und Mitte dieses Jahres die Grundstücke für die Baugemeinschaften vergeben werden.
Bei den insgesamt 10 Baublöcken im ersten Bauabschnitt, die für Wohnungen genutzt werden können, sind zwei Blöcke ausschließlich für Baugemeinschaften vorgesehen. Diese waren im Rahmen des Städtebaulichen Vertrages von der Stadt erworben worden und werden nun auch von ihr vergeben.
Damit erreichen die Baugemeinschaften in dem Gesamtprojekt des ersten Bauabschnitts einen Anteil von ca 20% und – zumindest an diesem Standort – damit endlich auch das von der Stadt definierte Ziel für den Anteil von Baugemeinschaften am gesamten Wohnungsneubau.
Im ersten Block, dem sog. NORDBLOCK, sind die Planungen schon fortgeschritten, d. h. es wurden nicht nur die Baugemeinschaften ausgewählt, sondern auch die Architektenwettbewerbe durchgeführt.
In folgender Konstellation werden jetzt die ersten fünf Baufelder im ersten Baugemeinschaftsblock bearbeitet:
- BAUFELD 1: Die Gruppe Zugvögel wird hier ihr Eigentumsprojekt umsetzen. Das ausgewählte Architekturbüro heißt Dose Architekten, die Baubetreuung übernimmt STATTBAU HAMBURG
- BAUFELD 2: Ein kleingenossenschaftliches Wohnprojekt wird durch die Möwe-Altona umgesetzt, das Büro planerkollektiv wurde mit der Umsetzung beauftragt, STATTBAU HAMBURG übernimmt die Baubetreuung
- BAUFELD 3: Hier entsteht das Eigentumsprojekt Ville Kulla, das beauftragte Architekturbüro ist DFZ. Die Baubetreuung erfolgt durch Conplan
- BAUFELD 4 + 5: Ein Gemeinschaftsprojekt von dem Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) und dem Bauverein der Elbgemeinden (BVE), die dort ein Haus für die Baugemeinschaft Flickwerk errichten werden. Architekten: Huke-Schubert Berge, Baubetreuung: STATTBAU HAMBURG
Die Grundstücke des zweiten Baugemeinschaftsblocks, der im SÜDBLOCK neben der zukünftigen Schule entstehen wird, sind inzwischen auch vergeben. Hier entstehen vier Baufelder mit ca. 180 Wohnungen. Die Grundstücke sind an folgende Bauherren bzw. Baugemeinschaften gegangen:
- BAUFELD 1: Dort hat die Gruppe Gleisblume den Zuschlag für ein Eigentumsprojekt bekommen. Die Gruppe ist ein Zusammenschluß der ehemaligen Projektgruppen Gleishaus, Blaue Blume, die Barke und Klein und Gemein. Baubetreuer für dieses Projekt wird die Lawaetz Stiftung sein.
- BAUFELD 2: Die Traditionsgenossenschaft Kaifu Nordland e.G. mit den Baugemeinschaften Mekan und Gemeinsam älter werden haben den Zuschlag erhalten. Die Baubetreuung übernimmt STATTBAU HAMBURG.
- BAUFELD 3: Baufeld 3 ist an den Altonaer Spar- und Bauverein gegangen, der dort mit den Baugemeinschaften Madset und der Gruppe Bliss ein Projekt umsetzen wird.
- BAUFELD 4: Die Genossenschaft Hamburger Wohnen mit der Baugemeinschaft Stadtdorf Altoja hat sich durchgesetzt und den Zuschlag erhalten. Auch der interkulturelle Kinderladen MAIMOUNA wird dort in neue Räume einziehen. Die Baubetreuung wird ebenfalls von STATTBAU HAMBURG übernommen.
Auf den insgesamt neun Baugemeinschaftsfeldern werden also drei Eigentumsprojekte, ein kleingenossenschaftliches Projekt realisiert und fünf Traditionsgenossenschaften (Altoba, BVE im ersten Block und Kaifu, Altoba und Hamburger Wohnen im zweiten Block) Wohnraum für Baugemeinschaften umsetzen. Das einzige Kleingenossenschaftsprojekt ist das Projekt von Möwe Altona, die im nördlichen Teil ein Grundstück bebauen wollen, voraussichtlich in Kooperation mit der Kleingenossenschaft Wohnreform e.G.
Bei der Vergabe der Grundstücke setzt sich der Trend fort, der immer wieder festzustellen ist: Es ist für Kleingenossenschaften fast unmöglich, sich erfolgreich um Grundstücke zu bewerben, weil die finanziellen Anforderungen an die zukünftigen Bauherren doch so hoch sind, dass es z. Z. kaum Gruppen gibt, die diese hohen finanziellen Belastungen tragen können und trotzdem in die Einkommensgrenzen des geförderten Wohnungsbaus passen. Insofern haben es Baugemeinschaften, die mit traditionellen Genossenschaften kooperieren, leichter. Denn hier werden nur die im Rahmen des 1. Förderweg maximal möglichen Genossenschaftsanteile gefordert (ca. 55,– €/m2 Wohnfläche bei kleingenossenschaftlichen Projekten ca 400,– €).
Für zukünftige Grundstücksvergaben bleibt zu hoffen, dass sich die Förderbedingungen in Bezug auf die Eigenkapitalanforderungen insgesamt verbessern, so dass auch kleingenossenschaftliche Projekte wieder eine Chance haben, sich mit überschaubaren Eigenkapitalbedarfen an diesen Ausschreibungen zu beteiligen.
Ein weiteres Problem ist bei der Neuen Mitte Altona sichtbar geworden und zeigt sich auch bei weiteren Baugemeinschaftsgrundstücken: Die zu vergebenden Grundstückseinheiten werden immer größer.
Beim zweiten Baugemeinschaftsabschnitt in der neuen Mitte Altona lagen die Grundstücksgrößen zwischen 35 und 55 Wohneinheiten. Das sprengt die normale Größe von Baugemeinschaften, die in der Regel zwischen 20 und 30 Mietparteien/Haushalten liegen. Diese Anforderung führt zwangsläufig dazu, dass sich die Gruppen zusammenschließen müssen, um erfolgreich Bewerbungen fertigzustellen. Dies ist grundsätzlich möglich und kann auch erfolgreich sein, bedeutet aber einen sehr hohen Koordinations- und Abstimmungsbedarf, der viel Kraft und Zeit in der Bewerbungsphase erfordert. Darüber hinaus haben auch die Gruppen unterschiedliche Wohnvorstellungen und unterschiedliche Verfahrens- und Kommunikationsstrukturen entwickelt, die bei einer gemeinsamen Bewerbung zueinander gebracht werden müssen und auch zu viel Reibungsverlusten und Konflikten führen können. Auch im Pergolenviertel und in der Hafencity werden große Grundstücksgrößen für die Realisierung von Baugemeinschaften zugeschnitten. Im Pergolenviertel (Baublock 3b) ist ein Grundstück mit insgesamt 230 Wohnungen ausgeschrieben worden, wovon 115 für Baugemeinschaften reserviert sind (davon mind. die Hälfte als geförderte Baugemeinschaften), die andere Hälfte kann auch als freifinanzierte Baugemeinschaft errichtet werden, allerdings nicht als Eigentumsbaugemeinschaften. Und auch in der Hafencity sind die Grundstücksgrößen, die für Baugemeinschaften vorgesehen sind, in den letzten Jahren immer größer geworden. Dieser Trend ist insgesamt problematisch und sollte gestoppt werden.
In der Koordinierungsrunde für Baugemeinschaften haben die Baubetreuer bereits die Liegenschaft aufgefordert, wieder zu kleineren, überschaubareren Grundstücksgrößen zurückzukommen.
MODELLQUARTIER FÜR KLIMASCHUTZ?
Neben der erfreulichen Tatsache, dass in der Neuen Mitte viele Baugemeinschaftswohnungen realisiert werden, gibt es allerdings bezüglich der energetischen Zielsetzung dieses Quartiers große Probleme.
Unter dem Titel „Mitte Altona – ein Klimamodellquartier ohne Klimaschutz“ hat Prof. Dr. Dietrich Rabenstein in Zusammenarbeit mit Hanne Harder und Bernd Schwarzfeld ein Gutachten veröffentlicht, in dem er erhebliche Kritik an der energetischen Konzeption des sog. Modellquartiers Neue Mitte Altona übt. (1Link)
Er äußert sich in seinem Gutachten ausführlich zu den ursprünglichen Zielsetzungen, die unter Anderem lauten: „Die Wärmeversorgung muss zu mehr als 50% mit regenerativen Energieträgern im Sinne von § 2 Energieeinsparwärmegesetz durchgeführt werden. Dabei ist eine CO² Kennziffer von unter 120 Kg CO² pro MWh einzuhalten.“(2Link S. 7)
Diese Zielsetzung ist aus dem Masterplan Mitte Altona und aus dem städtebaulichen Vertrag entwickelt worden. Allerdings ist in dem Vertragswerk eine Öffnungsklausel enthalten, in der auch ein Anschluss an das Vattenfall Fernwärmenetz zulässig ist, wenn die Anforderungen an die Energieproduktion bzw. die Energiestandards ebenfalls von Vattenfall garantiert werden können. Vattenfall wird jetzt aber die ganz normale Fernwärme, die aus der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße stammt, in dieses Klimamodellquartier liefern. Prof. Rabenstein kommt daher in seinem Gutachten zu eindeutigen Aussagen, unter anderem: „Die Intention des städtebaulichen Projektes Mitte Altona mit dem Etikett Klimamodellquartier entspricht dieser Art der Wärmeversorgung jedoch ganz und gar nicht.“(3Link S. 14). Und weiter heißt es: „Das bedeutet, dass die spezifische CO² Immission der Wärmeversorgung der Mitte Altona nicht 120 Kg CO² pro MWh, sondern … rund 300 Kg CO² pro MWh betragen werden. Sie werden also die Vorgabe im städtebaulichen Vertrag um 150% übersteigen, sie werden um 1/3 höher sein, als die einer normalen, dezentralen, mit Erdgas gespeisten Brennwertheizung.“ (4Link S. 15)
Weiterhin behauptet Herr Rabenstein „Die BSU stimmt dem Rahmenvertrag zu, obwohl die Wärmeversorgung der Mitte Altona mit Fernwärme der VWH ganz offensichtlich die in den zugehörigen Bebauungsplan Altona Nord 26 verstößt.“ Weiter heißt es: „Dieser Bebauungsplan schreibt vor, dass die Gebäude der Mitte Altona an ein Wärmenetz anzuschließen sind, das überwiegend mit erneuerbarer Energie versorgt wird. Die Wärme im Fernwärmenetz der VWH wird jedoch zu 85% aus fossilen Energieträgern erzeugt.“(5Link S. 4)
Als Folgen aus dieser Konzeption, die für das sog. Klimamodellquartier für die Bewohner zu erwarten sind, fasst Herr Rabenstein zusammen, „dass:
- im zukünftigen Stadtteil Mitte Altona die Heizkosten höher sein werden und die Wohnungen teurer und in vielen Fällen die wärmeübertragenden Gebäudehüllen energetisch schlechter sein werden, als bei vergleichbaren neuen Gebäuden.
- entgegen der von der BSU erklärten Absicht, der Einsatz erneuerbarer Wärme nicht vorangebracht werden wird und
- insbesondere Solarkollektoren mit einer Fläche von 14.000 m² nicht eingesetzt werden, obwohl nach einem im Auftrag der BSU erstellen Gutachten die Dächer ideal für die Gewinnung von solarer Wärme geeignet wären.“(6Link S. 3)
DIE DISKUSSION GEHT WEITER
Mit diesen Vorwürfen wurde der neue Umweltsenator Jens Kerstan am 01.09.2015 konfrontiert, als er auf einer Veranstaltung des Zukunftsrates gemeinsam mit der Energienetz Hamburg e.G. in der Universität Hamburg sprach.
Herr Kerstan erläuterte, dass die Fernwärme, die für die Neue Mitte Altona produziert wird, einen wesentlich besseren Primärenergiefaktor hat, als das übliche Fernwärmenetz von Vattenfall (dies ist 2009 mit dem Primärenergiefaktor 0,57 zertifiziert worden). Die Vattenfall Fernwärme Hamburg betreibt in der Borsigstraße eine sog. Abfallverbrennung der Linie 3. Hier werden Biomethan, Biomasse, Holz und Bioabfälle verbrannt. Damit ist diese dort erzeugte Fernwärme als regenerative Fernwärme zu betrachten. Allerdings gibt es hierfür keine separate Zertifizierung. Es gibt auch keine gesetzlichen Vorschriften, wie und in welcher Form dies gemacht werden muss. Insofern geht die Umweltbehörde davon aus, dass die für die Neue Mitte Altona bereitgestellte Energie tatsächlich einen hohen Anteil an regenerativer Energie beinhaltet. Ob dies tatsächlich so gemacht wird und diese nicht zertifizierte regenerativ hergestellte Energie so einzusetzen ist, dass sie die Vorgaben des städtebaulichen Vertrags erfüllt, wurde von vielen Teilnehmern der Diskussion in Frage gestellt.
Diese offene Diskussion zum Thema energetische Versorgung des Klimamodellquartiers wirft einen gewissen Schatten auf die insgesamt positive städtebauliche Entwicklung in diesem Gebiet. Insbesondere die Baugemeinschaften sind mit der jetzigen Lösung unzufrieden, weil sie sich auch innovative Lösungen in Bezug auf die Energieproduktion an dieser Stelle vorstellen können. Hier waren verschiedene Modelle mit blockbezogenen Blockheizkraftwerken und moderneren Energieerzeugungstechnologien eingeplant. Insbesondere sollte auch versucht werden, die Solarthermie in wesentlich größerem Maß zu nutzen, als das jetzt geplant ist. In der Vergangenheit waren es ja insbesondere die Baugemeinschaften, die die Pioniere in Bezug auf energetisches Bauen und Klimaschutz waren und es wäre wünschenswert, wenn die Baugemeinschaften auch in diesem Quartier wieder diese Rolle übernehmen könnten.
Es bleibt zu hoffen, dass dies Thema noch nicht endgültig beendet ist und vielleicht doch noch die eine oder andere Variante in Bezug auf die Energieversorgung zum Einsatz kommen wird.
Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU HAMBURG und seit über 20 Jahren Mitglied des Verwaltungsausschusses des Amts für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, der die BSU bei wohnungspolitischen Fragen und Themen berät.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 21(2015), Hamburg