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Artikel Stadtentwicklung Wohnprojekte Hamburg

Städtebauliche Qualitäten von Baugemeinschaften

Ein Rundgang durch das Parkquartier Friedrichsberg

*** mit Joachim Reinig, Volker Roscher und Tobias Behrens.
Aufgenommen von Mascha Stubenvoll ***

Im Rahmen der Veränderungen der gesamten Krankenhauslandschaft in Hamburg wurden ab 2005 auch die Flächen des Krankenhaus Eilbek neu überplant. Die eigentliche Krankenhausfläche wurde auf einen Kernbereich reduziert, die Grundstücke und Bestandsgebäude an private Krankenhausbetreiber verkauft (hier: Schön Kliniken) und die freigewordenen Randbereiche für den Wohnungsbau neu beplant.

Im ersten Bauabschnitt am Erika-Mann-Bogen begannen ab 2007 die konkreten Planungen für das „größte zusammenhängende Wohnquartier für Baugemeinschaften mit über 150 Wohnungen in individueller Architektur“. (Link)

Im zweiten Bauabschnitt, dem heutigen Elfriede-Lohse-Wächtler Weg, realisierten die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG und der private Bauherr Günter Franke Gruber ab 2010 15 Wohnhäuser im klassischen Wohnungsbau.

Zwei Wohnquartiere stehen hier nebeneinander: ein investorengeplantes Wohnquartier und ein Baugemeinschaftsquartier. Worin unterscheiden sich die Quartiere städtebaulich? Gibt es besondere Qualitäten von Baugemeinschaftsquartieren?

Um den Fragen nachzugehen, lud STATTBAU HAMBURG die Architekten Joachim Reinig und Volker Roscher zu einem Rundgang durch das Parkquartier Friedrichsberg ein.

Der erste Eindruck im Baugemeinschaftsquartier ist ein sehr lebendiger; am Nachmittag ist viel los am Erika-Mann-Bogen: die Bewohner der Baugemeinschaftshäuser kommen nach Hause, Kinder stürmen zum Eiswagen, der um die Ecke biegt und unsere Interviewpartner treffen gleich auf alte Bekannte – aus der Planungs- und Bauphase, die Joachim Reinig und Tobias Behrens begleitet haben.

Neben dieser Lebendigkeit fällt die doch recht starke und massive Präsenz des Straßenraums und der Erschließung auf. Es gibt zwei Tiefgarageneinfahrten direkt nebeneinander, und es sticht der tiefe Entwässerungsgraben ins Auge, der mit einem hohen Metallzaun gesichert ist und über den Brückenbauwerke auf die einzelnen Grundstücke führen. Außerdem dominieren die vielen parkenden Autos den Straßenraum. Das alles könnte man viel besser gestalten! Darin sind sich beiden Architekten einig.

Verantwortlich hierfür war die Politik der Liegenschaft. Die Grundstückszuschnitte und die Erschließungskonzepte passten damals nicht genau zu den städtebaulichen Überlegungen und zu den konkreten Ansprüchen von Baugemeinschaften. Die verschiedenen Verwaltungsbereiche der Stadt (Bauprüf, Stadtplanung, Liegenschaft und Agentur für Baugemeinschaften) müssen zukünftig bei ähnlichen Quartieren besser zusammenarbeiten.

Auch in dem anderen Quartier, im Elfriede-Lohse-Wächtler Weg, dominiert die Erschließungsstraße. Anders als am Erika-Mann-Bogen wirken der Straßenraum und die Innenhöfe wegen der ähnlichen Häuseranordnung, der Farbe und der Gestaltung der Fassaden viel einheitlicher als die Gebäude des Baugemeinschaftsquartiers. Außerdem sind deutlich weniger Menschen auf der Straße und den Innenhöfen zu sehen. Die wenigen, die zu sehen sind, gehen schnell vorbei und halten sich nicht länger im Aussenraum auf, alles wirkt etwas steril.

Die Teilnehmer des Rundgangs kommen damit nun auch auf den deutlichsten Unterschied von Baugemeinschaften genutzten Häusern und von Investoren geplanten Wohngebäuden zu sprechen: sie unterscheiden sich in der Aneignung der Räume außerhalb der eigenen Wohnung. Der Grund dafür scheint schon in der Planung zu liegen, denn die Baugemeinschaftsmitglieder planen für sich selbst nicht nur die Wohnungen und Gebäude sondern auch die Außenanlagen auf den eigenen Grundstücken. Es entsteht eine größere Identifikation mit den Aussenräumen und das ist zu spüren, wenn man durch die Quartiere geht.

Die beiden „Hofsituationen“ zeigen dies ganz deutlich. Der Spielplatz hier ist typisch für eine Baugemeinschaft, alle nutzen alles und der Platz sieht benutzt aus.

Im Baugemeinschaftsquartier pflanzen die Bewohner ihre Stauden selber, kein Abstandsgrün mit schematischer Gestaltung. Kleine Nischen mit unterschiedlicher Nutzung und unterschiedlichsten Bepflanzungen überall. Man merkt, dass auch Kinder Spaß daran hatten, eigene Beete zu gestalten.

Ganz anders die Freiflächen im Investorenquartier. Es scheint als habe bei der Planung die praktische, pflegeleichte Lösung gesiegt.

Besonders für Familien, die sich im Umfeld ihrer Wohnung wahrscheinlich einen für ihre Bedürfnisse gestalteten Außenraum wünschen würden, wirkt der umgesetzte Spielbereich wenig einladend …

Im Anschluss an den Rundgang kam das Gespräch nochmal auf übergeordnete Themen zurück. Können wir mit Blick auf das Baugemeinschaftsquartier von besonderer Architektur sprechen, gar von Unterschieden in städtebaulichen Qualitäten gegenüber den investorengeplanten Wohngebäuden?

Die Qualität der Wohnungen an sich ist in beiden Quartieren vergleichbar, man hat als Bewohner allerdings eine größere Chance seinen Bedürfnissen entsprechend zu wohnen, wenn man die Planung begleitet und Einfluss genommen hat, seine Nachbarn kennt und sich bewusst für sie „entschieden“ hat.

Plant man im Auftrag von anderen, für zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannte Nutzer, bleibt die Planung universeller, so dass die Planung eher allgemeinen als individuellen Bedürfnissen gerecht wird.

Baugemeinschaft ist eine selbst gesuchte Gemeinschaft, Miet- oder Eigentümergemeinschaften sind etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft, anonym, lediglich ausgewählt aus Wohnungssuchenden über die Lage und den Preis.

Insgesamt sind sich alle Spaziergänger einig, die beiden Quartiere auf dem ehemaligen Krankenhausgelände unterscheiden sich stark voneinander – obwohl die Bebauungspläne ähnlich sind.

Das Baugemeinschaftsquartier wirkt mit Straßengestaltung und Anordnung der Häuser eher dörflich, das Investorenquartier „vorstadtmäßig“, die Gebäude wirken anonymer.

Das Investorenquartier hat eine städtische Ausstrahlung, allerdings eher wie der früher umgesetzte Siedlungsbau. Das Baugemeinschaftsquartier wirkt insgesamt aber haptischer.

Das Baugemeinschaftsquartier ist mehr verzahnt, der hellgelbe Backstein schön ausdifferenziert. Da stört selbst ein „schwarzes Schaf“, wie das Haus mit der dunklen Fassade der Baugemeinschaft tilsamans nicht. Das Investorenquartier sieht wegen der einheitlichen Struktur eher langweilig „schwarz-weiß“ aus.

Abschließend wurden die Interviewpartner gefragt – aufgrund ihrer heutigen Erfahrungen im Parkquartier –, welche Impulse sie der Liegenschaft geben würden, um die (Start)Bedingungen für zukünftige Baugemeinschaftsquartiere zu verbessern.

Die Stadt hat das Potenzial der Baugemeinschaften noch immer nicht richtig erkannt. Man wünscht sich, dass die Stadt in der Ausarbeitung von Bebauungsplänen anders auf die Anforderungen von Baugemeinschaften reagiert.

Inzwischen werden die Baugrundstücke, die über die Agentur für Baugemeinschaften vergeben werden, immer größer, und zwingen die Projektgruppen sich mit anderen Gruppen zusammenzuschließen. Daraus folgen zwangsläufig größere Abstimmungsprozesse und mehr Kompromisse. Die besondere Qualität des Quartiers liegt aber gerade in der Kleinteiligkeit und Unterschiedlichkeit der Bebauung – das muss der Liegenschaft bewusst werden.

Insgesamt erscheint das Quartier der Baugemeinschaften aber als gut gelungen, hinsichtlich der besseren Gestaltung der Gebäude und Außenbereiche. Dieses Potenzial der Baugemeinschaften könnte bei der zukünftigen Stadtentwicklung bzw. bei der Planung neuer Wohngebiete noch viel stärker eingesetzt werden, als dies bisher in Hamburg der Fall ist. 

Joachim Reinig ist Architekt und beschäftigt sich mit seinem Büro Plan – R – Architektenbüro mit den Arbeitsschwerpunkten Baugemeinschaften und neue Wohnformen. Als Mitgründer von STATTBAU HAMBURG setzt er sich seit vielen Jahren für Wohnprojekte und Baugemeinschaften ein.

Volker Roscher, hat Architektur und Soziologie studiert und sich in seinem langen Berufslebens schwerpunktmäßig mit Wohnungsbau und wohnsoziologischen Themen befasst und hierzu einschlägig publiziert. Er ist Geschäftsführer des Architektur Centrums Hamburg.

Tobias Behrens ist Geschäftsführer der STATTBAU HAMBURG, die im Parkquartier Friedrichsberg die Baugemeinschaften Halbe/Halbe unter dem Dach des BVE eG, Junges Wohnen unter dem Dach von Hamburger Wohnen eG, sowie die Eigentumsgemeinschaften Eilbecker Loft, Baugemeinschaft Friedrichsberg und Pfeffermühle als Baubetreuer begleitet hat. Ebenso hat STATTBAU HAMBURG den Umbau der alten Pathologie auf dem Gelände zum Cafe Schmidtchen im Auftrag des Bezirksamts betreut.

Mascha Stubenvoll, Diplomingenieurin für Stadtplanung, arbeitet seit 2011 bei STATTBAU HAMBURG und für die Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 21(2015), Hamburg