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Eine Stadt für Alte – für Alle?

Auf der Suche nach guten Orten für ein langes Leben

*** von Ulrike Petersen ***

Die Botschaft der „Gesellschaft des längeren Lebens“ ist nicht zu überhören. Die Menschen werden älter, „bunter“ und sie werden weniger! Der Nachwuchs bleibt aus, die Erwerbsbiographien werden brüchiger, Armut im Alter steht (erneut) auf der sozialpolitischen Agenda. In Deutschland leben über zwei Drittel der Menschen in Städten. Die Zahl der Einzelhaushalte wächst. Der demographische Wandel – gepaart mit wachsender Urbanisierung – wirft Fragen auf, beschäftigt Politik, Wirtschaft und Wissenschaft: Was tun? Die Suche nach guten Orten zum Altwerden ist in vollem Gange. Aber was ist ein guter Ort? Wie sieht sie aus, die altersfreundliche Stadt? Auf diese Frage gibt es unterschiedlichste Antworten, Strategien und Konzepte und das ist gut so oder? Nehmen wir zum Beispiel das Thema Wohnen.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Tendenz steigend. Gleichzeitig werden die Menschen älter. Der Anteil der Weltbevölkerung im Alter von 60 Jahren wird sich von 11% im Jahr 2006 auf 22% bis 2050 verdoppeln. Urbanisierung und alternde Gesellschaft, diese so genannten globalen Megatrends sind zwei große Herausforderungen des 21. Jahrhunderts!

Bereits 2005 hat die WHO das «Global Age-Friendly Cities Project» initiiert. Metropolen aus mehr als 20 Ländern – als einzige deutsche Region das Ruhrgebiet – waren daran beteiligt. 2007 erschien daraufhin ein WHO-Leitfaden, der Städte und Gemeinden ermutigen soll, die Potentiale einer älter werdenden Gesellschaft zu erschließen und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Öffentlicher und bebauter Raum, Verkehr, Wohnen, Beteiligung, Respekt und soziale Integration, zivilgesellschaftliche Beteiligung und Beschäftigung, Kommunikation sowie Gesundheitsdienstleistungen – dies sind die Kernbereiche, die gemäß WHO im Sinne einer altersfreundlichen Stadtgestaltung detailliert auf den Prüfstand gehören. In Form einer „Checkliste“ können Städte und Kommunen – selbstverständlich unter Einbeziehung der älteren Menschen – die Stärken und Schwächen ihrer Region einschätzen, Entwicklungsaufgaben benennen und Verbesserungen dokumentieren.

Wohnen: Wunsch und Wirklichkeit bei Pflege- und Assistenzbedarf

Zum Bereich „Wohnen“ nennt die WHO unter anderem ausreichende und erschwingliche Wohnungen: Wohnungen, die in das städtische Leben eingebunden sind, die an die Bedürfnisse angepasst werden können und in deren Nähe bezahlbare Dienstleistungen aller Art zur Verfügung stehen.

Vorausgesetzt, die WHO-Bedingungen sind erfüllt, will die Mehrheit der Menschen dort bleiben und alt werden, wo sie seit Jahren und Jahrzehnten wohnt, selbst dann, wenn Betreuung und Pflege nötig werden – das ist kein Geheimnis. Sie werden bei Bedarf zu Hause unterstützt, oft von Partnerinnen und Partnern, Kindern, Nachbarn und Freunden. Ambulante Pflege, Tagespflege und Besuchsdienste flankieren das private Umfeld. Den Prognosen zufolge steigt die Zahl pflegebedürftiger Menschen weiter an. Ein besonderes Augenmerk liegt seit Jahren auf Menschen mit Demenz; kinderlose Menschen, ältere allein lebende Männer, chronisch Kranke und Menschen aus anderen Kulturen rücken nach. Angesichts des demographischen und sozialen Wandels, durch den das familiäre Netz und das Profipotential zusehends instabiler werden, stellt sich die Frage: Wie sollen die Lücken zukünftig geschlossen werden?

Neben guten Wohnbedingungen haben Selbstbestimmung, Teilhabe, Sicherheit und eine verlässliche Unterstützung in vertrauter Umgebung Priorität im Alter. Bei aller Individualisierung und sozialer Unterschiede bilden sie den kleinsten gemeinsamen Nenner. Aber was tun, wenn die (Wohn)Bedingungen nicht stimmen? Wenn Barrieren den Alltag oder die Wege (nach) draußen – gefühlt und tatsächlich – versperren, das Umfeld nicht (mehr) zum Leben und Pflegen taugt? Das zum Mensch sein Notwendige weg bricht? Aushalten? Anpassen? Umziehen? Und wohin?

Auf der Suche: Wohnalternativen, Quartierszentren oder Demenzdörfer?

Man kann nicht sagen, dass sich nichts bewegt – im Gegenteil! Bundesweit wird auf unterschiedlichste Weise nach Lösungen gesucht. Die Bandbreite ist erstaunlich groß. Mal sind es gesamtstädtische Strategien, quartiersbezogene Konzepte und Netzwerke, mal spezialisierte Wohn-Projekte oder kommunale Sensibilisierungskampagnen, letztere vor allem für Menschen mit Demenz.

Seit vielen Jahren steht das „Bielefelder Modell“ Pate für selbstbestimmtes Wohnen mit Versorgungssicherheit. Das Zusammenwirken von Wohnungswirtschaft, ambulanter Pflege und Bürgerengagement macht es möglich, dass Menschen in ihrem Quartier alt werden können. Macht den Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung so gut wie überflüssig. Das Konzept hat sich bewährt; andere Städte und Gemeinden nutzen die Bielefelder Erfahrungen, endlich auch Hamburg. Aktuell plant die SAGA-GWG in Barmbek-Nord eine Senioren-Wohnanlage (70 barrierefreie Wohnungen, Gemeinschaftsflächen mit Wohncafé), ambulante 24-stündige Versorgungssicherheit auch für die Anwohner drum herum – egal welchen Alters. 2014 soll das Vorhaben „Lebendige Nachbarschaft Quartier Rungestieg“ bezugsfertig sein. Bleibt zu hoffen, dass sich weitere Hamburger Wohnungsbaugesellschaften diesem Ansatz öffnen und in Kooperation mit Initiativen (wie beispielsweise in Altona, in Eppendorf oder der Hafencity) „altersfreundliche“ – besser noch generationenfreundliche – Quartiere entwickeln.

Anderes Beispiel: Ahlen. Hier wurde bereits in den 90er Jahren ein Integriertes Handlungskonzept entwickelt, um die Lebens- und Wohnqualitäten für die älteren Menschen zu verbessern. Nach Sicht der kommunalen Sozialplanung – so die Verlautbarungen aus Ahlen – „soll nahe am Menschen geplant werden“ und die „suchen nach ambulanten Alternativen zum Heim“. Ein wesentlicher Baustein des „Ahlener Systems“ ist die Schaffung von Wohnprojekten und Quartierszentren: „Dezentral in den Stadtteilen sollen ausdifferenzierte Wohnalternativen entstehen, die mit Angeboten der sozialen Teilhabe verknüpft sind. Konkret: Projektiert sind sog. Quartierszentren, die barrierefreies Wohnen, betreutes Wohnen und Pflegewohnen sowie Wohnangebote für Demenzerkrankte verknüpfen. In den Zentren finden zudem Beratung – wie z. B. die Wohn- und Pflegeberatung – und nachbarschaftlichen Hilfen statt. Die Quartierszentren strahlen so Sicherheit und Gemeinschaft in die umliegende Wohnbereiche, insbesondere in die Senioren- und Pflegehaushalte aus. Ergänzt werden die Zentren durch weitere Wohnprojekte in der Stadt.“ Das Handlungskonzept stößt auf positive Resonanz, denn nicht „…nur die bestehenden stationären Einrichtungen wollen sich in diesem Sinne weiterentwickeln, sondern zunehmend kommen InvestorInnen, ArchitektInnen und BetreiberInnen, (…) die mitwirken werden.“

In eine ganz andere Richtung soll es in Alzey gehen; dort werden nach niederländischem Vorbild die Weichen für das erste Demenzdorf in Deutschland gestellt.

„Grünes Licht vom Stadtrat im rheinland-pfälzischen Alzey: Die westfälische Schettler-Gruppe, Herten, hat die Kaufoption für ein 12.000 qm großes Grundstück in Randlage erhalten, um dort ein Stadtquartier eigens für 120 Demenzkranke zu realisieren. Das Vorhaben gilt als das erste seiner Art in Deutschland. Die Beratungsgruppe Bennewitz & Georgi, Saarbrücken, ist Trägerin und plant die Siedlung nach dem Vorbild des niederländischen Demenzdorfes De Hogeweyk. In zwölf Zehner-Gruppen sollen die Demenzkranken in ein- bis zweistöckigen Häusern zusammenleben und von ambulanten Diensten betreut werden. Dabei werden die Gruppen je nach Lebensart ihrer Teilnehmer zusammengesetzt. Dieses so genannte Lebensstil-Konzept habe sich bewährt, berichtet Jan Bennewitz von Bennewitz & Georgi. In De Hogeweyk wird beispielsweise zwischen gehobenen, kulturellen, handwerklichen oder städtischen Gruppen unterschieden. Bennewitz schätzt, dass einer Wohngruppe etwa 500 bis 600 qm zur Verfügung stehen. Die Demenzkranken haben zudem die Möglichkeit, sich relativ frei innerhalb des Quartiers, das sich am Ortsrand zwischen Friedhof und Gewerbegebiet befindet, zu bewegen. Solche Angebote wie Arztpraxen, Frisör, Café und Supermarkt sollen zudem öffentlich zugänglich sein.“

http://www.immobilien-zeitung. de/1000009516/plaene-fuer-erstesdemenzdorf

Ein eigenes „Stadtquartier“ für Menschen mit Demenz – dieses Vorhaben löst(e) laut Pressemitteilungen nicht nur Zustimmung aus. Während das rheinlandpfälzische Gesundheitsministerium eine grundsätzlich Aufgeschlossenheit signalisiert, sprechen die Kritiker von „Kasernierung“ und „Käseglocken-Welt“: Obwohl das ambulante Versorgungskonzept ein Fortschritt gegenüber der konventionellen stationären Unterbringung sei, so gehören Menschen mit Demenz in die Mitte der Stadt oder Gemeinde zum Beispiel in kleinräumigen Pflege-WGs.

Und in Hamburg?

Hamburg dagegen setzt auf Vielfalt: Vor einigen Monaten hat die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz – als Bestandteil eines geplanten Demografiekonzepts – den Bericht „Älter werden in Hamburg – Bilanz und Perspektiven“ veröffentlicht. Demnach wird der demographische Wandel

„…vor allem als Chance, als Chance für ein Miteinander der Generationen, als Chance für eine Stadt für alle Lebensalter (gesehen). Dennoch soll der Fokus bei allen Planungen auch auf die Bedürfnisse älterer Menschen gerichtet werden, ohne die anderen Lebensalter aus dem Blick zu verlieren. Denn eine Stadt für alle Lebensalter ist eine Stadt, die die Belange aller Generationen wahrnimmt und miteinander verbindet.“

Älter werden in Hamburg – Bilanz und Perspektiven. S. 3

Hamburg setzt, was das Wohnen im Alter betrifft, auf Erhalt und Ausbau einer Angebotsvielfalt und auf Förderung innovativer Wohnformen. Damit ältere Menschen möglichst lange und sicher in ihrer vertrauten Umgebung leben können, strebt Hamburg eine „bedarfsgerechte und kostengünstige Versorgung mit seniorengerechten Wohnungen“ an. Konkreter heißt es: „Die Wohnbedarfe der Seniorinnen und Senioren sind insbesondere dann berücksichtigt, wenn das Angebot an seniorengerechten, barrierefreien oder barrierereduzierten Wohnungen (eingestreut und als Wohnanlagen) ausreichend ist, neue Wohnformen (zum Beispiel Wohngemeinschaften) entwickelt, gefördert und ausgebaut werden, spezielle Wohnangebote für ältere Migranten (u.a. Wohngemeinschaften) erprobt werden.“ Die vielfältigen Maßnahmen, die zur schrittweisen Umsetzung bereits ergriffen wurden bzw. noch folgen sollen, werden in dem Bericht benannt. Hamburg hat sich vorgenommen die Wohn- und Lebensqualität, Partizipation und Integration dort zu stärken, wo die Menschen wohnen und bleiben wollen: im Quartier. Denn dort wollen sie auch alt werden. Es bleibt abzuwarten, wie es der Politik gelingt, alle – die Bürger, Privatwirtschaft, Investoren bis zu den Trägern ambulanter und stationärer Dienste – auf den Weg einer generationenfreundlichen Stadtentwicklung mitzunehmen.

Daseinsfürsorge: Gut für Alte – gut für alle

Unbestritten geht es angesichts der vielfältigen Wohnwünsche, Lebensstile und Hilfebedarfe im Alter um barrierefreien bezahlbaren Wohnraum, um innovative Wohnkonzepte, Wohnumfeldverbesserung und vieles mehr (siehe WHO-Leitfaden).

Die demografischen und sozialen Veränderungsprozesse verlangen jedoch mehr als einen „Strauß an Maßnahmen“, mehr als Leuchtturmprojekte – so wegweisend diese auch sein mögen. Gesamtstädtische Konzepte mit Weitsicht, sozial raumorientierte Analysen und ressortübergreifendes Handeln sind gefragt. Und last but not least politische Steuerung und Verantwortung – auch und gerade in Form von Geld und Boden. Nur so kann der drohenden Unterversorgung (an Wohnraum, Pflege, Bildung, Beschäftigung, Stadtteilkultur etc. für alle Generationen), der Verdrängung von Menschen „mit besonderen „Wohnbedarfen“ und kleinem Portemonnaie, überdimensionierten (Demenz-)Sonderbauten, Investoren- und Trägeregoismen und der Gefahr verödender Stadtteile entgegengewirkt werden. Der Markt allein wird’s nicht regeln!

Ulrike Petersen ist Gerontologin und arbeitet in der Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften.

QUELLEN UND MATERIAL:

  • BAGSO 2011: Befragung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen zum Thema „Alternsfreundliche Stadt“ – Ergebnisse unter www.bagso.de
  • WHO 2007: Global age-friendly cities – a Guide
  • Leitstelle „Älterwerden in Ahlen“, 2004: Integriertes Handlungskonzept zur Absicherung und Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen in Ahlen

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 18(2012), Hamburg