*** Für die Redakion: Joscha Metzger und Katrin Brandt ***
Wohnen und Bauen ist in deutschen Groß- und Universitätsstädten für breite Schichten der Bevölkerung zunehmend unbezahlbar. Die Wohnungsfrage gilt seit einiger Zeit als die soziale Frage der Gegenwart. Im Kontext von Baukostensteigerungen und Zinswende droht nun das Bauen in allen Bereichen und für alle Schichten zum Erliegen zu kommen. Es stellt sich die Frage, welche politischen Maßnahmen und Instrumente zum Einsatz gebracht werden können, um die Krise im Bereich der Wohnungsversorgung zu bewältigen – oder zumindest ihre Folgen für besonders benachteiligte Haushalte abzumildern. In dieser FREIHAUS zeigen wir die Debatten und Überlegungen für eine Neue Wohngemeinnützigkeit auf, werfen einen Blick auf die alte, im Jahr 1990 abgeschaffte, Wohnungsgemeinnützigkeit und diskutieren, welche Potenziale die (Re-)Aktivierung dieses Instruments bietet.
Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 darauf festgelegt, zeitnah eine Neue Wohngemeinnützigkeit (NWG) auf den Weg zu bringen. Seit Ende 2022 wird die Ausgestaltung der NWG unter Federführung des SPD-geführten Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), der Beteiligung des FDP-geführten Finanzministeriums (BMF) und der Einbeziehung von Verbänden und Fachleuten diskutiert. Begleitend dazu wird das Vorhaben in der Fachöffentlichkeit kontrovers verhandelt: Während die Fraktion der Grünen im Bundestag die Abschaffung der alten Wohngemeinnützigkeit im Jahr 1990 als „eine der größten Fehlentscheidungen in der Wohnungspolitik“ bezeichnet und Vertreter*innen kleiner Genossenschaften, von Wohnund Gewerbeprojekten sowie Stiftungen und gemeinwohlorientierten Wohninitiativen in der NWG eine große Chance sehen, halten die Verbände der etablierten Wohnungswirtschaft sie für „überflüssig“. Das Handelsblatt geht noch einen Schritt weiter und titelt, Ökonomen würden die NWG für „gefährlich“ halten. Das Thema scheint also ganz offensichtlich zu polarisieren und die Gemüter zu erhitzen. In einem gewissen Widerspruch dazu steht, dass die NWG in der breiten Öffentlichkeit und den Medien wenig Aufmerksamkeit erfährt. Dies ist sicherlich u.a. der Tatsache geschuldet, dass bisher keine fertigen Gesetzesentwürfe vorliegen und die Komplexität des Themas eine Annährung nicht ganz einfach macht.
Wir denken, dass es sinnvoll und wichtig ist, die Debatten um die NWG zu öffnen und zu intensivieren, um dafür zu sorgen, dass im laufenden Gesetzgebungsverfahren auch gerade die Interessen derjenigen Berücksichtigung finden, die am meisten auf Verbesserungen in der Wohnungsversorgung angewiesen sind: Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie diejenigen, die besondere Schwierigkeiten haben, sich auf dem Markt angemessen mit Wohnraum zu versorgen.
Um die Debatte zur Neuen Wohngemeinnützigkeit aufzufächern und nachvollziehbar zu machen, versammeln wir in dieser FREIHAUS eine Reihe von Beiträgen, die sich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven widmen: Der Stadtforscher Dirk Schubert wirft einen Blick zurück auf die Geschichte der (alten) Wohngemeinnützigkeit. Er hebt die Bedeutung des Skandals um die Neue Heimat als damals größtem gemeinnützigen Wohnungsunternehmen hervor und erläutert, in welcher Weise dieser bis heute alle Reformversuche einer Gemeinnützigkeit in der Wohnungsversorgung erschwerte. Jan Kuhnert, Teilnehmer sowohl der Anhörungen zur Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1987 als auch der Workshops zu ihrer Wiedereinführung im Jahr 2023, zeichnet die aktuelle politische Diskussion um die NWG nach und gibt Einblicke in die Verhandlungsprozesse und Fallstricke eines Gesetzgebungsverfahrens. Im Eckpunkte-Papier des BMWSB aus dem Juni 2023 sind die drei, derzeit zur Beratung anstehenden, möglichen Varianten einer NWG skizziert. Auf die aktuellen Verhandlungen bezieht sich das Papier des Wohnbunds, des Netzwerks Immovielien und des Forums für gemeinschaftliches Wohnen, in dem die zentralen Forderungen kleinerer Wohnungsgenossenschaften, gemeinschaftlicher Wohnprojekte und gemeinwohlorientierter Immobilienprojekte in Bezug auf die Ausgestaltung einer NWG formuliert sind. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlich ungleich verteilten Belastung durch Wohnkosten stellt Ruth Weinzierl die Position der Diakonie Deutschland dar und hebt hervor, dass nur eine echte und sozial ausgerichtete Gemeinnützigkeit die aktuellen Probleme in der Wohnungsversorgung lösen kann.
Anschließend an diese Beiträge zur bundesweiten Debatte stellen wir Positionen und Standpunkte aus Hamburg dar: Im Interview hebt Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein hervor, dass eine NWG dauerhafte Sozialbindungen garantieren könnte und auf sinnvolle Weise mit den bestehenden Länderförderungen kompatibel sein muss. Der Geschäftsführer der großen Genossenschaft Bergedorf-Bille eG, Marko Lohmann, sieht die Chance, mit der neuen Wohngemeinnützigkeit über den Moment des Investierens hinaus den ganzen Lebenszyklus einer gemeinwohlorientierten Immobilie in den Blick zu nehmen. Für konkrete Einschätzungen eines möglichen Gesetzes sei es aber noch zu früh. Marc Meyer, Anwalt beim Mieterverein Mieter helfen Mietern sieht in der NWG das Potenzial, langfristig soziale Bindungen von Wohnraum zu erreichen und auf diesem Wege nach und nach einen (neuen) Sektor auf dem Wohnungsmarkt zu etablieren, der nicht auf die Erzielung von Profit orientiert ist. Mechthild Kränzlin und Christina Baumeister stellen als Sprecherinnen des Hamburger Bündnisses für Wohnstifte dar, welchen Beitrag zur Wohnraumversorgung die Wohnstifte leisten. Und aus der Perspektive des Beirats des Hamburger Bündnisses für Wohnstifte argumentiert Tobias Behrens, dass die NWG eine Dynamik im Wohnungsbau auslösen kann, wenn sie Bauherr*innen unterstützt, die bisher aus Eigenkapitalmangel neue Bauvorhaben nicht umsetzen können. Vor dem Hintergrund der bisherigen guten Erfahrungen im sozialen Wohnungsbau der Behrens-Stiftung und der aktuellen politischen Debatte hegt Theo Christiansen keine große Hoffnung, dass die NWG tatsächlich zur Verbesserung der Wohnungsversorgung sozial benachteiligter Haushalte führt und fordert stattdessen, den Zugang zu Grundstücken für soziale Bauherr*innen maßgeblich zu verbessern. Die gebündelten Forderungen von Organisationen aus Hamburg, die im sozialen und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau tätig sind bzw. sich von der Einführung der NWG eine Verbesserung der Aktivitäten im Neubau und der Stadtentwicklung erhoffen, finden sich im Hamburger Brief an das BMWSB zur Einführung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit. Für die gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Schlüsselbund, die als Zusammenschluss sozialer Träger darauf abzielt, Wohnraum für vordringlich Wohnungssuchende zu erstellen, liegt das Problem insbesondere in den Eigenkapitalanforderungen für den Neubau, 8 FREIHAUS #27 wie Joscha Metzger aufzeigt. Im Interview stellt Ralph Grevel, Geschäftsführer der Leben mit Behinderung Hamburg Sozialeinrichtungen gGmbH, ein Projekt vor, das in besonderer Weise Wohnen und soziale Teilhabe verknüpft und somit ein Best-Practice-Beispiel für Wohnformen aufzeigt, die mithilfe einer neuen Wohngemeinnützigkeit leichter umzusetzen sein könnten. Natalie Lendzinski hat im Rahmen ihrer Masterthesis die ambivalente Rolle kommunaler Wohnungsunternehmen im Spannungsfeld zwischen sozialer Wohnungsversorgung und der Abführung von Gewinnen an den städtischen Haushalt untersucht und schildert diese am Beispiel der Hamburger SAGA.
Über den Hamburger Tellerrand hinaus erfahren wir von Julia Hartmann und Axel Burkhardt, welche Unterstützung die Dachgenossenschaft Wohnen in Tübingen gemeinschaftlichen Wohnprojekten in finanzieller und organisatorischer Hinsicht bietet und damit innovativen und gemeinwohlorientierten Projekten zur Realisierung verhilft. Sabine Horlitz stellt dar, wie die Stadtbodenstiftung in Berlin mithilfe des Modells der Community-Land-Trusts Grund und Boden dauerhaft dem Markt entziehen und selbstverwaltetes Wohnen ermöglichen will.
In unserer Arbeit bei STATTBAU HAMBURG erleben wir regelmäßig, wie schwer es gemeinwohlorientierte Bauherr*innen auf dem Bau- und Grundstücksmarkt haben, ihre Projekte zu realisieren. Viel zu häufig müssen gute Ideen aufgeschoben oder verworfen werden, weil keine passenden und bezahlbaren Grundstücke vorhanden sind, die Hürden für das Eigenkapital zu hoch, oder die behördlichen Anforderungen zu anspruchsvoll sind. Eine Neue Wohngemeinnützigkeit könnte hier deutliche Verbesserungen bringen, sofern sie tatsächlich darauf ausgerichtet wird, bezahlbaren und klimagerechten Wohnraum zu fördern. Aus unserer Sicht – und da sind wir uns mit vielen Autor*innen des vorliegenden Heftes einig – sollten sich Bund und Länder eine großzügige Unterstützung tatsächlich gemeinwohlorientierter Wohnungsunternehmen leisten, um einen langfristig angelegten Beitrag zur Lösung der Wohnungskrise zu leisten. Die Fallstricke des Gesetzgebungsverfahrens bestehen insbesondere darin, zu vermeiden, dass mit der NWG lediglich ein Förderprogramm für die bereits bestehende kommerzielle Wohnungswirtschaft geschaffen wird. Denn – um hier die oben angeführten Befürchtungen aufzugreifen – es besteht tatsächlich die Gefahr, dass eine weichgespülte Wohngemeinnützigkeit Anreize für große Unternehmen setzt, unterbewirtschaftete Bestände in einen geförderten Bereich abzuwälzen, während mit dem Gros der Wohnungen wie bisher Profite erzielt werden. Adressiert werden sollten mit der NWG unserer Meinung nach viel eher diejenigen Bauherr*innen, die aus ihrer eigenen Philosophie heraus bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen, Mieter*innenselbstverwaltung erlauben, Gemeinschaftlichkeit und gute Nachbarschaften fördern und einen Beitrag zur Klimagerechtigkeit leisten wollen. Wenn es gelingt, diese Bauherr*innen gezielt zu unterstützen – das wissen wir aus unserer täglichen Arbeit – bestünde die große Chance, eine wirklich neue und innovative Dynamik auf dem Bauund Wohnungsmarkt zu entfachen.
Wir schauen immer wieder neidisch in die Schweiz oder nach Österreich und damit in Länder, die seit Jahrzehnten einen gemeinnützigen Wohnungsbausektor haben und in denen klare Anforderungen bestehen, die im Rahmen des gemeinnützigen Wohnungsbaus einzuhalten sind. Die NWG könnte eine Chance sein, auch in Deutschland wieder einen eigenen sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbausektor zu etablieren und diesen vom profitorientierten Wohnungsbau zu differenzieren. Damit wäre auch die Möglichkeiten gegeben, gemeinwohlorientierten Bauvorhaben einen einfacheren Zugang zu Grundstücken und eine bessere Ausstattung beim Eigenkapital zu ermöglichen. Langfristig könnte ein neuer Wohnungssektor entstehen, der guten und engagierten Projekten und Bauherr*innen – seien es Genossenschaften, Stiftungen oder zivilgesellschaftliche Initiativen – eine gemeinsame Stimme gibt und in dem neue Synergien entstehen können.
Welche Aktivitäten STATTBAU HAMBURG in Sachen gemeinwohlorientiertem und gemeinnützigem Wohnen und Leben bereits jetzt leistet, stellen wir in den Beiträgen aus unseren Arbeitsbereichen vor: STATTBAU HAMBURG gründet eine gGmbH und es finden sich Beiträge zu neuen Entwicklungen aus der Baubetreuung, der Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege-Gemeinschaften, BiQ – Bürgerengagement für Wohn-Pflege-Formen im Quartier und der Architektur- und Energieberatung.
Wir hoffen sehr, mit dem vorliegenden Heft die Debatten um eine Neue Wohngemeinnützigkeit zu bereichern und voranzubringen und einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, langfristige Perspektiven für eine soziale und ökologische Wohnungsversorgung zu eröffnen. Gleichermaßen hoffen wir, Neugier auf die Arbeit von STATTBAU HAMBURG zu wecken und aufzuzeigen, welche gemeinwohlorientierten Aktivitäten auf dem Bau- und Wohnungsmarkt auch heute – bei allen bestehenden Hindernissen – bereits möglich sind und umgesetzt werden.
zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 27(2023), Hamburg