Kategorien
Artikel Wohnungspolitik

Geld ist nicht alles

Für einen anderen Umgang mit (kommunalen) Grundstücken

*** von Josef Bura ***

Der Irrtum ist weit verbreitet: Kommunen verkaufen ihre Grundstücke, sofern sie noch welche besitzen, zu Höchstpreisen, um ihre Kassen aufzufüllen. Das sei gewissermaßen ein Naturgesetz, weil es ihnen verboten sei, kommunales Eigentum unter Wert zu ‚verschleudern‘.

Diese Situation tangiert im Besonderen auch Kommunen, die für die Daseinsvorsorge vor Ort zuständig sind – vor allem für Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht aus eigenem Vermögen mit Wohnraum versorgen können. Kommunen, Betroffene und Sozialstaat sind die Verlierer*innen dieser Entwicklung. Unpassendes Umfeld für Investitionen in den Wohnungsbau behindert auch die Entstehung von neuen Projekten gemeinschaftlichen Wohnens. Denn auch dort muss gerechnet werden.

Welche Möglichkeiten gibt es nun, aus dieser überaus ernst zu nehmenden Situation heraus zu kommen und was ist in den letzten Jahren passiert?

VIELE VORSCHLÄGE

Das Thema, der aus den Fugen geratenen städtischen Wohnungsmärkte ist Gegenstand vieler mehr oder weniger hilfreicher Vorschläge. Einige raten doch tatsächlich, den Immobilienmarkt ganz den freien Kräften zu überlassen, was eher Kern des Problems als dessen Lösung ist. Andere setzen z. B. darauf, das Recht auf eine Wohnung ins Grundgesetz aufzunehmen, was ja sinnvoll wäre, aber mit den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen nicht zu erreichen ist. Wieder andere fordern eine Neuauflage der Wohnungsgemeinnützigkeit.

Die Politik reagiert z.B. darauf mit Gesetzen, die die Mietpreisentwicklung im Sinne einer Mietpreisbremse einfangen soll. Deren Erfolg ist umstritten. Landesförderprogramme und – bauordnungen reagieren mit Absenkung von bislang praktizieren Standards wie z. B. mit der Reduktion von Flächen im geförderten Wohnungsbau oder mit einer Minimierung der Anforderungen an Barrierefreiheit im Wohnungsneubau, um wenigstens Kosten im Entstehungsprozess neuen Wohnraums einzusparen. Der Ankauf von Sozialbindungen ist eine weitere Strategie von Städten und Kommunen, zu Lösungen zu kommen, ohne eigentlich das Problem anzupacken. Sogar die Idee, kommunalen Grund und Boden ausschließlich auf der Basis des Erbbaurechts zur Nutzung zu veräußern, wird (z. B. in Hamburg) diskutiert.

Alles in allem bleibt dabei die zentrale Herausforderung ungelöst, die Spekulation mit Grund- und Boden, in den Griff zu bekommen. Denn längst sind lokale und regionale Wohnungsmärkte globalisiert: Viel Geld, das aus aller Herren und Frauen Länder um die Welt zirkuliert, sucht nicht zufällig dort Anlagemöglichkeiten, wo Immobilien noch relativ preiswert zu haben sind.

PIONIERE

Einige Städte in der Republik sind Vorreiter eines Verfahrens, das zunächst nur für Projekte gemeinschaftlichen Wohnens praktiziert worden ist: das Konzeptverfahren zur Vergabe von kommunalen Grundstücken. Tübingen war vorneweg. Ungläubig schauten Fachleute in die relativ überschaubare Studentenstadt, wo auf einem ehemaligen Kasernengelände nach Abzug des französischen Militärs ab 1990 Zug um Zug ein neues Wohnquartier entwickelt wurde. Der Clou: professionelle Projektentwickler, übliche Platzhalter der Verteuerung von Wohnraum mit Einzelhäusern aus Katalogen und stereotypen Reihenhäuser von der Stange, wurden ausgeschlossen, ebenso das Höchstpreisverfahren.

Die Stadt entwickelte das von ihr erworbene Areal eigenständig: Wer dort bauen wollte, musste sich als Interessent in einem Projekt gemeinschaftlichen Wohnens organisiert haben, um ganz nach dem wohnpolitischen Credo der Schwaben, ein solches (meist) im individuellen Eigentum errichten zu wollen. Die Grundstückspreise waren zuvor festgelegt worden und nicht verhandelbar: weder nach unten aber auch nicht – als sozusagen letztes Argument – nach oben. Bewerbergruppen um Grundstücke mussten insbesondere darlegen, welchen Beitrag sie zur sozialen Mischung und Vielfalt im Quartier und zur Nutzungsmischung in den Erdgeschosszone leisten wollten, denn dort waren gewerbliche Nutzungen zwingend vorgesehen. Auf die Weise war das Konzeptverfahren im Umgang mit kommunalem Grund und Boden entstanden. Es folgte Freiburg mit dem Vauban-Quartier, Hamburg, München und Berlin mit der Vergabe von Grundstücken an Projekte gemeinschaftlichen Wohnens – allesamt im Konzeptverfahren.

EIN PARADIGMENWECHSEL. NEUE AKTEURE UND NEUE VERFAHREN

Entstehende Wohnprojektinitiativen hatte die Bodenpreisentwicklung anderswo besonders hart getroffen. Sie sahen sich nicht in der Lage, sich in ihren Kommunen an einem Wettbewerb um Grundstücke nach den Regeln einer nach oben offenen Preisspirale zu beteiligen. Hamburg hatte da schon in den frühen 2000er Jahren ein Einsehen. Die Stadt reservierte bis zu 20% ihrer zum Verkauf vorgesehenen Grundstücke ausschließlich für Interessentinnengruppen oder Investorinnen, die dort ‚Wohnprojekte‘ in welcher Form auch immer realisieren wollten. Um ihr Ziel zu erreichen, mussten sie verbindlich erläutern, welche innovativen Impulse sie zusätzlich zu ihrem eigenen Wohnen für den Hamburger Wohnungsmarkt oder für ‚ihr‘ gewünschtes Quartier realisieren wollten. Nur wenige andere Städte folgten diesem Vermarktungsverfahren – viele änderten nichts.

Letzteres nahm das FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e. V., Bundesverband (i.F. FORUM) im Jahr 2015 zum Anlass, sich mit dem Thema zu befassen. 2016 erschien die Publikation Grundstücksvergabe für gemeinschaftliches Wohnen1) und 2017 organisierte das FORUM eine gut besuchte Fachveranstaltung in Frankfurt am Main zum Thema Konzeptverfahren. Zudem setzt das FORUM im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ein Modellprogramm Gemeinschaftlich wohnen, selbstbestimmt leben um, in dem es um klassische Ziele des neuen Verfahrens geht.

Das Thema haben sodann, insbesondere gefördert durch die Montag Stiftung urbane Räume sowie die Stiftung trias, gemeinnützige Stiftung für Boden, Ökologie und Wohnen weitere Akteure aus dem Umfeld der Bewegung um gemeinschaftliche Wohnprojekte und soziale Quartiersentwicklung aufgegriffen, um es fachpolitisch voranzutreiben. Das waren: das Netzwerk Leipziger Freiheit, die Mitbauzentrale München und das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V.

14 Städte mit Erfahrungen mit dem Konzeptverfahren hatten sich an einer von den Akteuren erstellten Befragung beteiligt. Daraus ergab sich erstmalig ein Bild zu dessen Verbreitung in der Republik und zu den Modalitäten, wie dies vor Ort praktiziert wurde. Die Ergebnisse bildeten die Basis eines am 10. November 2017 in Leipzig von den o. g. Akteuren organisierten Austauschs mit rund 40 Teilnehmer*innen aus den mitwirkenden Städten. In offener Atmosphäre wurden ihre Erfahrungen ausgetauscht. Vertreter*innen der anwesenden Kommunen waren davon überzeugt, dass ‚ihr‘ Verfahren im Sinne der damit verbundenen Ziele funktioniert, wenngleich alle unterschiedlich sind. Wichtig schienen ihnen jedoch eine möglichst breite Mitwirkung am Auswahlverfahren und transparente Entscheidungsprozesse. Zuversichtlich stellten sie fest, dass es bisher bundesweit keine nachteiligen juristischen Auseinandersetzungen gegeben hat, die ein derartiges Vorgehen in Frage stellen. Auch zeigte sich, dass einige Kommunen (wie z. B. Hamburg) das Verfahren schon lange nicht mehr ausschließlich für den Zugang zu gemeinschaftlichen Wohnprojekten sondern generell für den Zugang von Investor*innen zu kommunalem Grund und Boden anwenden. Alle wünschten sich, sich weiter über das Thema auszutauschen, um voneinander lernen zu können.2)

Das nächste offene Folgetreffen zu dem Thema findet nun am 11./12. Oktober in Hannover statt.3)

Parallel zu diesem fachpolitischen Diskurs gibt es eine andere Initiative, die sich grundsätzlich mit dem Zugang zu Immobilien unter dem Namen Netzwerk Immovielien befasst. Deren Akteure, z.T. identisch mit denen, die sich im Diskurs über Konzeptverfahren zusammen getan hatten, wollen die Immobilienverwertung grundsätzlich den Zielen einer gemeinwohlorientierte Immobilien- und Stadtentwicklung untergeordnet sehen. Am 18. Juni 2018 trafen sie sich in Berlin und gründeten – gewissermaßen als Antipoden zur dominanten rein gewinnorientierten Vermarktung – den Verein Netzwerk Immovielien e.V.4) Siehe auch Beitrag ab Seite 27.

Auch das Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat unter dem Titel Baukultur für das Quartier. Prozesskultur durch Konzeptvergabe 2017 ein Forschungsfeld initiiert.5) Mitte November 2018 werden in München, entlang von Beispielen aus zehn Städten (für Hamburg das Projekt Kleine Freiheit), Ergebnisse vorgestellt und erörtert. Auch andere Akteure beteiligen sich an der Debatte: Die Architektenkammer Hessen und der Hessische Städtetag z. B. haben 2017 eine Orientierungshilfe zum Konzeptverfahren erstellt.6)

FAZIT

Die Debatte ist eröffnet und die Chancen, viele Kommunen zu einer Änderung ihrer Vergabepraxis zu bewegen, dürften nicht schlecht stehen. Dafür sind die Argumente zu überzeugend. Ob das aber ausreicht, einen grundlegend anderen Umgang mit Immobilien zu erreichen, das ist fraglich. Es bleibt demnach also noch viel zu tun. 

1) Download unter http://verein.fgw-ev.de/service-und-informationen/publikationen.html
2) Vgl. http://verein.fgw-ev.de Dokumentation bundesweiter Austausch Konzeptverfahren
3) Mehr dazu unter http://verein.fgw-ev.de/fach-informationen/konzeptverfahren.html
4) Vgl. https://www.netzwerk-immovielien.de/
5) Vgl. https://www.bbsr.bund.de Baukultur für das Quartier. Prozesskultur durch Konzeptvergabe. – Start 2017
6) Vgl. https://www.akh.de Orientierungshilfe zur Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität

Josef Bura ist 1. Vorsitzender des Forums für gemeinschaftlichen Wohnens e. V.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 23(2018), Hamburg