Kategorien
Architektur/Planungskultur Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen Wohnprojekte national/international

„Habitat“ in Hannover

*** von Peter Hansen ***

Auch diesmal stellt FreiHaus ein besonderes Wohnprojekt vor, das soziale Akzente setzt. Diesmal geht es um moslemische Migrantenfamilien in Hannover.

Anregung auf der 2. Habitatkonferenz

Angesichts von Staatsbürgerschaftsdünkeln und Fremdenangst ist das Zusammenwohnen von Migranten und Deutschen ein wichtiges Thema – und Heilmittel. Integration gelingt durch Nähe – nicht zuletzt durch räumliche. In unseren Städten stammt ungefähr jeder siebte aus anderen Ländern. Es ist längst überfällig, mehr über die Wohnwünsche in anderen Kulturen und Religionen zu wissen. Eine gründliche Telefonbefragung, viele Einzel- und Gruppengespräche und ein Architektenwettbewerb standen deshalb am Anfang unseres Projektes am Kronsberg, zu dem wir durch Teilnahme an der 2. Habitatkonferenz der UNO in Istanbul 1996 angeregt wurden.

Multikultureller Wohnungsbau

Das Habitatquartier mit seinen 93 geförderten Mietwohnungen wird von ca. ein Drittel Migranten und zwei Drittel deutschen Familien nach der Fertigstellung Ende 1999 bezogen werden. Zehn Wohnungen werden speziell nach moslemischen Glaubensregeln hergerichtet. Dabei werden z.B. WCs nicht Richtung Mekka ausgerichtet, da eine rückwärtige Entblößung dorthin nicht schicklich ist. Auch wird deren Einsehbarkeit bei den Gebetswaschungen baulich vermieden. Der Schlaftrakt kann durch ein flexibles Wand-Tür-Element vom Wohnbereich optisch abgetrennt werden. Vor Einblicken schützen Schiebejalousien.

Wegen der üblichen Trennung von Frauen und Männern bei Besuchen oder Feiern wird die Küche größer und das Wohnzimmer kleiner angelegt. Der internationale Anspruch ist auch aus dem Außenraum ablesbar. So ist die im Bebauungs-Plan angelegte Blockstruktur zur Vermeidung einer abgrenzenden Ghettobildung offen und transparent angelegt. Ein Platanenbestandener Bouleplatz, eine raumprägende Flanier-Diagonale und eine grüne Mitte mit offener Wasserführung dienen nicht als Abstandsflächen, sondern der Erholung und den Kindern.

Raum für Nachbarschaft

Zentrale Bedeutung hat ein Gemeinschaftshaus. Hier bietet ein Döner-Kiosk mit Teestube und Obstladen eine wohnnahe Versorgung. Zwei Gruppenräume mit Teeküche ermöglichen Kinderspielen, Familienfeiern und Mietertreffen. Es gibt einen Fitnessraum mit Sportgeräten sowie eine Sauna mit Dusche. Religionsgruppen können freitags oder sonntags abwechselnd gemeinsame Gebete und Treffen organisieren. In einem Service-Büro werden selten benötigte Geräte und Möbel (Rasenmäher, Gästebetten oder Besuchsgeschirr) gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen. Ein quartiersbezogenes Carsharing-Angebot macht die Mieter mobil. Ein ebenerdiger Waschsalon mit Fernseher erspart eigene Geräte und macht die Wäschepflege zum Nachbarschaftstreffen.

Architektur: Planungsbüro Schmitz Aachen. Landschaftsarchitektur: Spalink-Sievers

Flexibel und ökologisch wohnen

Die Wohnungen mit ein bis sieben Zimmern sind oft als Allraum-Grundrisse mit gleichgrossen Zimmern und zentralen Wohnküchen angelegt. Einzelne Trennwände können flexibel gesetzt werden. Alle Erdgeschoss-Wohnungen haben kleine Mietergärten, auf dem Dach sind begrünte Terrassen mit Pergolen geplant. Für grosse Familien sind Maisonette-Wohnungen mit Reihenhausqualität im Bau. Eine lebensnahe Besonderheit ist das Angebot der bevorzugten Vermietung von Kleinwohnungen an die Oma, den Opa oder die flügge werdenden Kinder, die nahe aber doch selbständig bei ihrer Stammfamilie leben können. Ökologie findet dadurch besondere Beachtung, dass höchster Niedrigenergiestandard, Regenwasserversickerung, gesunde Baumaterialien und begrünte Dächer geboten werden.

Interesse am gemeinsamen Wohnen

Die Nettokaltmiete kann durch die Wohnbauförderung um zehn Mark je Quadratmeter gehalten werden und durch eine Ausweitung der Einkommens- und Flächenbegrenzungen wirkt der Segregation entgegen. Das Interesse ist groß: Gute Architektur, Flexibilität der Grundrisse, nachbarschaftsfördernder Service und ökologisches Bauen von Migranten werden ähnlich geschätzt wie von aufgeschlossenen deutschen Familien. Und – gemeinsam wohnt es sich besser!

Dr. Peter Hansen ist Projekt-Initiator und geschäftsführender Gesellschafter des Gundlach Woh­nungs­unternehmens und Wohnbund-Mitglied.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 4(1999), Hamburg