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Artikel Wohnungspolitik

Hamburg, deine Bindungen

Wo sind sie geblieben?

*** von Tobias Behrens ***

Wohnungspolitische Bindungen sind ein wesentlicher Bestandteil der staatlichen Wohnungspolitik seit dem I. und II. Wohnungsbaugesetz aus den Jahren 1950 und 1956.

Dieses Prinzip, welches auch in dem Wohnraumförderungsgesetz von 2001 fortgeführt wurde, funktioniert folgendermaßen: Der Staat gibt einem Bauherrn preisgünstige Darlehen, für die dieser Wohnungen errichtet. Dabei muss sich der Bauherr an diverse Vorgaben in Bezug auf technische Bedingungen, Wohnungsgrößen, bauliche Standards etc. halten.

Außerdem verpflichtet sich der Bauherr, bestimmte Belegungsbindungen und Verpflichtungen einzugehen, die in den Förderbescheiden bzw. Darlehensverträgen festgelegt werden. Es gibt im groben zwei Arten von Bindungen, die heute noch von Bedeutung sind.

Zum einen sind das einkommensbezogene Bindungen – d. h. es dürfen die Wohnungen vom Bauherrn nur an Menschen vergeben werden, die bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Diese Grenzen werden zurzeit bundesweit im Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) festgehalten und in den einzelnen Ländergesetzen konkretisiert. In Hamburg liegt z. B. die Einkommensgrenze für die Berechtigung für eine Wohnung des ersten Förderweges 30% über der Bundesgrenze. Festgelegt ist diese Grenze in dem Hamburgischen Wohnraumförderungsgesetz im § 8. Um eine geförderte Wohnung anzumieten, muss der Mieter einen sog. Wohnberechtigungsschein (ehem. § 5-Schein) beim Wohnungsamt beantragen und seinem Vermieter vorlegen.

Vergabe über das Wohnungsamt

Zum anderen sind das sogenannte Wohnungsamts-Bindungen: d. h. diese Wohnungen dürfen vom Vermieter nur auf Vorschlag des Wohnungsamts vermietet werden. Diese Wohnungsamtsbindungen sind insbesondere für Menschen mit großen Handicaps am Wohnungsmarkt vorgesehen, z. B. Menschen, die aus öffentlich rechtlicher Unterbringung kommen, die aus der Haft entlassen wurden, die aus Frauenhäusern kommen oder Menschen, die aus der Obdachlosigkeit kommen. Für diese Menschen werden sog. Dringlichkeitsscheine oder Dringlichkeitsscheinbestätigungen (diese gelten nur für Menschen aus öffentlich rechtlichen Einrichtungen) von den Wohnungsämtern ausgestellt. Bauherren bzw. Vermieter dürfen dann die Wohnungen mit sog. WA-Bindungen nur an Menschen vermieten, die einen Dringlichkeitsschein vorlegen können.

Die Art und die Verteilung der Bindungen haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Früher war es üblich, dass von den geförderten Wohnungen 50% sogenannte WA-Bindungen waren, d. h. hier mussten Menschen mit Dringlichkeitsschein einziehen, für die restlichen 50% galten nur einkommensbezogene Bindungen. Innerhalb der Förderwege sind dann in den letzten beiden Jahrzehnten diverse Differenzierungen aufgetreten. So gab es neben dem klassischen ersten Förderungsweg auch einen zweiten und dritten Förderungsweg und die frei vereinbarte Förderung nach § 88 d, II. Wohnraumförderungsgesetz, mit dem jedes Bundesland besondere vertragliche Regelungen abstimmen konnte.

In Hamburg wurden die Förderungsbestimmungen im Jahr 2007 erheblich verändert. Seitdem gibt es für geförderte Wohnungen nur noch eine 15-jährige Bindung, wobei sich die Bindungen nur auf die Einkommenshöhe beziehen. Auf die Festsetzung von WA-Bindungen hat die Baubehörde seit 2007 vollständig verzichtet. Nur noch in besonderen Fördersegmenten gibt es einzelne sog. WA-Bindungen.

Wie sich dies auf die Versorgung von Menschen mit Dringlichkeitsscheinen oder -bestätigung auswirkt, hat die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) kürzlich in einer Aufstellung dargestellt. Im Jahr 2012 wurden insgesamt 8.079 D-Scheine ausgestellt (Scheine und Bestätigungen). Unversorgt aus dem Vorjahr 2011 waren noch 7.390 Fälle (Scheine und Bestätigungen), es gab also einen rechnerischen Bedarf von ca. 15.000 Fällen. Versorgt wurden im Jahr 2012 nur 2.893 Fälle, die von dem Bedarf abzuziehen sind. Selbst wenn man von dieser Zahl eine geschätzte Zahl von 3.000 bis 5.000 Fällen abzieht, die sich u.U. irgendwie anders mit Wohnraum versorgt haben (Schätzung der BSU), dann bleibt immer noch eine Zahl von ca. 5.000 bis 7.000 unversorgten Dringlichkeitsfällen, die in Hamburg auf eine Wohnung warten.

Wenn man sich vor diesen Bedarfszahlen den Wohnungsmarkt anschaut, stellt man fest, dass es Ende 2012 in Hamburg noch ca. 54.000 WA-gebundene Wohnungen gab. Von diesen Wohnungen sind aber noch mal ca. 7.220 Wohnungen abzuziehen, weil diese in sogenannten Freistellungsgebieten liegen, in denen die Vermieter von den Verpflichtungen der Bindungen freigestellt worden sind. Dies geschah aus stadtentwicklungspolitischen Überlegungen heraus und ist jeweils auf 5 Jahre befristet. Zur Zeit sind Mümmelmannsberg, Neuallermöhe West und Steilshoop bis zum 31.12.13 freigestellt.

Bei einer Fluktuation von ca. 8% pro Jahr stehen demnach aber nur ca. 3.700 Wohnungen überhaupt zur Vermietung an Dringlichkeitsfälle zur Verfügung. Zu den benötigten 5.000 bis 7.000 Wohnungen klafft also eine große Lücke.

Rasante Abnahme der Wohnungen mit Einkommensbindung

Zur Zeit gibt es in Hamburg noch ca. 98.000 Sozialwohnungen insgesamt, davon ca. 58.000 mit WA-Bindungen. Es verbleiben also ca. 40.000 einkommensgebundene Wohnungen. Diese Zahl verringert sich in den nächsten Jahren rasant. So werden (ohne die Neubauaktivitäten) im Jahr 2014 nur noch 85.000 Wohnungen in der Bindung sein, weil im Jahr 2013 durch vorzeitige Ablösung der Bindungen, die die Unternehmen vor 10 Jahren beantragt haben, eine besonders große Zahl herausfallen wird. Im Jahr 2020 werden noch 61.000 gebundene Wohnungen vorhanden sein. Durch die Neubauaktivitäten der BSU werden diese Zahlen etwas verbessert. Zur Zeit sollen 2.000 Wohnungen pro Jahr gefördert werden, so dass die tatsächlichen Zahlen inkl. der Neubauaktivitäten im Jahr 2014 bei 88.500 und im Jahr 2020 bei 75.900 liegen.

Entwicklung der gebundenen Wohnungen im Bestand (aus dem WK Jahresbericht 2012)

Allerdings laufen die neuen Bindungen, die seit 2007 ausgesprochen wurden, nur 15 Jahre und sie haben keinerlei Verpflichtungen bezüglich der Unterbringung von Dringlichkeitsscheinbesitzern – sind also nicht mehr so viel wert.

Die jetzt betriebene Wohnungspolitik läuft darauf hinaus, sich langfristig auf eine noch viel geringere Zahl einzustellen. Vorausgesetzt es bleibt bei 2.000 geförderten Wohnungen pro Jahr und einer nur 15 jährigen Laufzeit, so werden max. nur noch 30.000 gebundene Wohnungen ohne eine einzige WA-Bindung vorhanden sein. Dieser Zustand tritt erst ab 2037 ein, wenn alle langen Bindungen endgültig ausgelaufen sein werden – aber die politischen Weichenstellungen dahin werden schon heute gestellt!

Diese Zahlen bzw. Entwicklungen sind der BSU natürlich bekannt und es werden seit einigen Jahren verschiedene Versuche unternommen, hier gegen zu steuern. So wurden die Förderprogramme „Besondere Wohnformen“ und „Ankauf von Belegungsbindungen“ neu entwickelt, die allerdings nur mit sehr geringen Zahlen in den Statistiken auftauchen. Im Jahr 2012 wurden nur 11 Wohnungen im Programm „Besondere Wohnformen“ gefördert. In den Jahren zuvor waren es mehr (2011 waren es noch 93), doch seit die Mietobergrenzen für Kosten der Unterkunft auf 327,– €/monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt reduziert wurden, gibt es kaum noch Bauherren, die Interesse an dem Programm haben.

Ebenso verhält es sich mit dem Bau von rollstuhlgerechten Wohnungen. Hier wurden im Jahr 2012 nur 3 Wohnungen gefördert.

Weiterhin versucht die BSU mit Wohnungsunternehmen Kooperationsverträge abzuschließen, in denen sich die Wohnungsunternehmen verpflichten, das Abschmelzen der WA-Bindungen nicht umzusetzen, sondern die Belegungsbindungen einzufrieren. Im Gegenzug verpflichtet sich die Stadt, den Wohnungsunternehmen eine größere Flexibilität bei der Belegung der Wohnungen zu erlauben (z. B. Belegungstausch).

In dem Vertrag „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“, den Stadtentwicklungs-, Sozial- und Finanzbehörde im September 2011 mit den wohnungswirtschaftlichen Verbänden aus Hamburg und der SAGA GWG abgeschlossen haben wurde das Ziel genannt, innerhalb eines Jahres mit 10 Wohnungsunternehmen solche Verträge abzuschließen. Tatsächlich sind jetzt nach 2 Jahren nur mit der SAGA GWG und einem weiteren Unternehmen Kooperationsverträge geschlossen worden.

Wie ein Tropfen auf den heißen Stein

Die traditionelle Wohnungswirtschaft versucht, sich von den Bindungen zu lösen und setzt ganz massiv auch das Recht ein, vorzeitig die Bindungen durch Rückzahlungen der WK-Darlehen aufzugeben. Es gilt dann zwar noch eine 10-jährige Nachbindungsfrist, aber insgesamt werden damit die Bindungen noch weiter reduziert – was bei der nun schon langandauernden Niedrigzinsphase auch weiterhin zu erwarten ist.

Die BSU gibt selber zu, dass dieses ein kompliziertes Thema ist und es keine einfachen Lösungen gibt. Besser wäre es wohl, zu sagen, dass es zur Zeit gar keine Lösung gibt.

Im Zuge der allgemeinen aufgeregten Diskussion über den „Mietenwahnsinn“ in Hamburg und das politische Ziel, 6.000 Wohnungen jedes Jahr zu bauen, ist völlig in den Hintergrund getreten, dass von diesen 6.000 Wohnungen fast keine einzige Wohnung zusätzlich für besonders benachteiligte Zielgruppen des Wohnungsmarktes errichtet wird.

Gefordert sind neue Konzepte

Insbesondere müssen die wenigen Bauherren, die bereit sind, für diese besonderen Zielgruppen Wohnungen zu bauen, in die Lage versetzt werden, dies auch zu tun. Mit den zur Zeit bestehenden Förderprogrammen ist dies kaum möglich, weil die Eigenkapitalanforderungen viel zu hoch sind und Träger, die für besonders benachteiligte Mieter Wohnungen bauen, eher zu den kapitalschwachen Bauherren zählen. In den 90er Jahren gab es schon einmal ein Förderprogramm der Sozialbehörde, die Bauherren (es waren damals die Lawaetz GmbH und die Schanze e.G.) das nötige Eigenkapital zur Verfügung gestellt hat, um sie in die Lage zu versetzen, Wohnungen für obdachlose Menschen zu bauen.

Als Bauherren wären weiterhin Träger aus dem Diakonischen Bereich (Kirchengemeinden oder -kreise), Stiftungen, fördern&wohnen oder auch die Wohnungsgenossenschaft Schlüsselbund eG, die von zahlreichen Trägern aus der Behinderten- und Eingliederungshilfe gegründet wurde, um die Wohnraumversorgung für diese Zielgruppe zu verbessern, denkbar. Weiterhin müssten für diese Träger Grundstücke bereitgestellt und im Direktvergabeverfahren vergeben werden – ohne die üblichen Ausschreibungsverfahren.

Dies alles wird die Stadt zusätzliches Geld kosten. Aber es ist mit Sicherheit günstiger, als die Unterbringung von Menschen in öffentlich rechtlicher Form, in Frauenhäusern oder in Maßnahmen der Hilfen zur Erziehung. All diese Hilfesysteme sind völlig überfüllt bzw. ermöglichen keine Auszüge mehr, weil es kaum Wohnungen auf dem Markt gibt, die für diese Zielgruppen zur Verfügung stehen. Dadurch werden jährlich mehrere Millionen Euro ausgegeben, die in der Schaffung von dauerhaftem Wohnraum mit langfristigen Belegungsbindungen wesentlich besser angelegt wären.

Tobias Behrens ist Geschäftsführer von STATTBAU Hamburg GmbH und seit über 20 Jahren Mitglied des Verwaltungsausschusses des Amts für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, der die BSU bei wohnungspolitischen Fragen und Themen berät.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 19(2013), Hamburg