*** von Renate Narten und Sylvia Tischer ***
Im Rahmen eines Forschungsprojekts für das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau konnten wir 1997/98 in den Niederlanden ca. 200 realisierte gemeinschaftliche Wohnprojekte älterer Menschen mit ca. 4.800 Wohnungen ermitteln, viele weitere befanden sich im Bau oder in der Initiativphase. Dabei handelte es sich ausschließlich um Wohnprojekte für Menschen ab 55 Jahren, die fast alle in der „Landesweiten Vereinigung von Wohngruppen älterer Menschen“ (LVGO) organisiert waren.
Weg von altersgemischtem Wohnen
In der Altersstruktur der Bewohner liegt ein gravierender Unterschied zu den entsprechenden Projekten in Deutschland, die weit häufiger an einem generationengemischten Wohnen interessiert sind. Es gibt in den Niederlanden durchaus auch altersgemischte Projekte – seit Ende der 70er Jahre als sogenannte Centraal-Wonen-Bewegung (ca. 90 realisierte Projekte). Aber die neuen Projekte, die seit den 80er Jahren entstanden sind, grenzen sich bewusst gegen eine Altersmischung ab. Die älteren Menschen in diesen Projekten meinen, dass die integrativen Projekte eher den Interessen der Jüngeren als ihren eigenen Bedürfnissen entsprechen.
Zwischen Idealismus und Pragmatismus
Die Gemeinschaftsansprüche sind in den einzelnen Wohngruppen unterschiedlich hoch. Die ersten Wohngruppen aus den 80er Jahren hatten noch relativ idealistische Vorstellungen vom gemeinsamen Leben, z. B. den Anspruch, gemeinsam Gemüse anzubauen, Kleintiere zu halten oder jeden Tag wenigstens einmal gemeinsam zu kochen und zu essen. Die Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten galt als Pflicht. Die zweite Generation von Wohngruppen, die heute mehr als 90 % ausmacht, legt großes Gewicht auf die Autonomie der einzelnen Gruppenmitglieder und die freiwillige Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten. Dass jedes einzelne Gruppenmitglied bzw. jedes Paar über eine eigene abgeschlossene Wohnung verfügt, ist selbstverständlich.
In fast allen Gruppen sind sowohl alleinstehende Frauen und Männer als auch Paare vertreten. Alleinstehende Frauen stellen erwartungsgemäß den größten Anteil. Bei den neueren Projekten hat die Zahl der Paare zugenommen. Die Projektgrößen schwanken zwischen vier und über 100 Wohneinheiten. Insgesamt gesehen bilden die Projekte mit weniger als 20 Wohnungen zwar z. Z. noch die Mehrheit, es gibt heute aber einen deutlichen Trend zu Gruppengrößen zwischen 21 – 30 Wohneinheiten. Diese Größe wird auch von der LVGO und anderen Beratungsstellen empfohlen.
Wohnstandards erhöht
Während in den ersten Wohngruppen aus den 80er Jahren vielfach noch 2-Zimmer- Wohnungen zu finden sind, dominieren heute eindeutig die 3-Zimmer-Wohnungen. Teilweise werden sogar 4-Zimmer-Wohnungen angeboten. Eine 3-Zimmer-Wohnung mit 60 – 70 qm Wohnfläche steht im sozialen Wohnungsbau der Niederlande sowohl Alleinstehenden als auch Paaren zu. Dass sich die 3-Zimmer- Wohnung als Minimalstandard für den altengerechten Wohnungsbau durchgesetzt hat, ist größtenteils auf die Arbeit von Seniorenverbänden und das wachsende Selbstbewusstsein der Älteren zurückzuführen. Sie sind der Auffassung, dass gerade ältere Menschen, die viel Zeit in ihren Wohnungen verbringen, mehr Wohnraum benötigen. Für Alleinstehende sei es wichtig, ein drittes Zimmer zu haben, um Übernachtungsbesuch empfangen zu können. Viele Paare benötigen getrennte Schlafzimmer.
Trend zu mehr privater Wohnfläche
Alle Wohnprojekte verfügen über einen großen Gemeinschaftsraum mit Kochgelegenheit oder Küche. Hobbyräume und Gästezimmer finden sich nur in ca. der Hälfte aller Projekte. Hauswirtschaftsräume kommen nur noch bei einem Drittel vor. Die Anzahl der Gemeinschaftsräume hat sich in den letzten Jahren verringert. In neueren Projekten finden wir häufig nur noch den Wohn-/Essraum mit Pantryküche. Die Ursachen hierfür liegen auf zwei Ebenen:
- Die früheren Wohngruppen erhielten z.T. erhebliche Zuschüsse für die Einrichtung und Ausstattung der Gemeinschaftsräume aus Mitteln des experimentellen Wohnungsbaus. Sie legten auch selbst sehr viel Wert auf differenzierte Gemeinschaftsräume, weil der Gemeinschaftsanspruch hoch war.
- Die individuellen Wohneinheiten sind im Laufe der Jahre immer größer geworden, so dass der Bedarf an Gästeund Hobbyzimmern zurückgegangen ist. Das dritte Zimmer der privaten Wohnung hat diese Funktion übernommen. Während die ersten Wohngruppen z.T. noch bereit waren, auf einen Teil der privaten Wohnfläche zu Gunsten der Gemeinschaftsräume zu verzichten, legen die neueren Gruppen mehr Wert auf ausreichend große Privaträume.
Ein gelebter Konsens
In sieben ausgewählten Projekten konnten wir ausführliche Interviews mit den Bewohnern führen. Zu diesem Zweck waren wir mehrere Tage bei den Gruppen zu Gast und haben teilweise in deren Gästezimmern übernachtet. Unser Eindruck war, dass die Gruppen um so besser funktionieren, je mehr Wahlfreiheit bei den Kontakten innerhalb der Gruppe besteht (Gruppengrößen über 20 Wohneinheiten), je freiwilliger sich das Gemeinschaftsleben gestaltet und je selbstverständlicher die Gruppenmitglieder trotzdem bereit sind, sich an die einmal gegebenen Regeln des Zusammenlebens zu halten.
Renate Narten und Sylvia Tischer arbeiten im Büro für sozialräumliche Forschung und Beratung in Hannover. Ihre Studie „Räume für gemeinschaftliche Wohnprojekte älterer Menschen – Erfahrungen aus den Niederlanden“ mit Projektdokumentation ist beim Kuratorium Deutsche Altershilfe, Reihe „thema“ als Bd. 168 und 169 Köln 2001 erschienen.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 10(2003), Hamburg