*** mit Senatorin Anja Haiduk ***
Seit Mai 2008 gibt es in Hamburg die bundesweit erste schwarz-grüne Regierungskoalition in einem Bundesland. FreiHaus sprach mit der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Anja Hajduk (GAL), über die Rolle von gemeinschaftlichen Wohnformen, die Wohnraumversorgung von Menschen mit niedrigem Einkommen und über zukünftige Schwerpunkte der Wohnungspolitik. Das Gespräch führten Britta Becher und Tobias Behrens.
Qualitäten der Baugemeinschaften
FreiHaus: Baugemeinschaften sind seit Jahren ein Bestandteil der Hamburger Wohnungspolitik. Auch in diesem Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass Baugemeinschaften eine tragende Säule der Hamburger Wohnungspolitik bleiben sollen. Welche Qualitäten sehen Sie in diesen besonderen Wohnformen?
Hajduk: Baugemeinschaften kennzeichnet besonders, dass sich in der Regel die Akteure länger kennen – das erfordern auch die Prozesse der Projektentwicklung. Sie haben eine gemeinsame Phase der Planung hinter sich und haben dabei die jeweiligen Interessenlagen miteinander besprochen: wie will man wohnen, wie will man zusammen leben und dadurch haben diese Projekte ein Element von funktionierender Nachbarschaft. Das ist es, was diese Gemeinschaften auszeichnet. Die Erfahrung zeigt auch, dass es besondere Kreativität und innovative Ideen sind, die sich in den Baugemeinschaften zeigen und dies besonders im energetischen Bereich. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ökologische Aspekte und umweltverträgliche Bauweisen besonders bei Baugemeinschaften verwirklicht wurden.
Darüber hinaus sind Baugemeinschaften häufig offen für die Integration besonderer Belange, ob es nun Menschen mit Behinderungen sind oder andere soziale Belange, die da Platz finden.
Zugang zu Grundstücken verbessern
FreiHaus: Trotz der Unterstützung der Stadt ist es vielfach für Projektgruppen immer wieder schwer, ihre Projekte zu realisieren. Vor allem der Zugang zu Grundstücken ist sehr schwer bzw. langwierig. Wie kann Ihrer Meinung nach gewährleistet werden, dass Projektgruppen in der Frage des Zugangs zu Grundstücken gestärkt werden und sich nicht zwangsläufig in die Abhängigkeit von klassischen Genossenschaften oder Bauträgern begeben müssen, was eingeschränkte Mitsprachemöglichkeiten bei Gestaltung, Architektenauswahl, Festlegung des energetischen Standards oder Nachbelegung haben könnte?
Hajduk: Ein Grundproblem ist die Knappheit städtischer Grundstücke. Mit Hinblick auf Baugemeinschaften lässt sich noch hinzufügen, dass es eine besondere Knappheit an Grundstücken in den nachgefragten Stadtteilen gibt. Hierbei finde ich es wichtig, dass wir die aktuellen und zukünftigen Entwicklungsprojekte, also einerseits HafenCity, aber auch die Altonaer Bahnhofsflächen und vor allem den Planungsraum „Sprung über die Elbe“ für Baugemeinschaften öffnen.
Der Zugang zu Grundstücken soll zukünftig gestärkt werden, wir haben momentan einen Anteil von 15% der städtischen Geschosswohnungsbaugrundstücke, der für Baugemeinschaften zur Verfügung gestellt wird. Diesen wollen wir auf 20% erhöhen. Wichtig ist auch die Verfahrensfrage. Die Vergabe der Grundstücke im Rahmen der letzten Wohnungsbauoffensive hat mit Blick auf Art und Umfang der Berücksichtigung der Baugemeinschaften zu Unzufriedenheit geführt.
Im Juni haben wir zu einer Informationsveranstaltung wegen neuen Grundstücken für Baugemeinschaften eingeladen. Es ist deutlich geworden, dass die Projektgruppen mit dem Ergebnis und auch mit dem Verfahren nicht zufrieden waren. Wir wollen das Verfahren so ändern, dass zukünftig die für Baugemeinschaften ausgewählten Grundstücke diesen direkt zugeordnet werden.
FreiHaus: Das hieße, dann würde die Auswahl der Gruppen auch direkt laufen und auch mit Anhandgabeverfahren an die Gruppen selbst. Das war ja in der Vergangenheit das Besondere an dem Verfahren, dass die Projekte die Anhandgabe für ein Grundstück direkt erhielten und für sich prüfen konnten, was die beste Möglichkeit ist: ob sie das Projekt mit einer eigenen Genossenschaft, in Kooperation mit einer traditionellen Genossenschaft oder als Eigentumsprojekt umsetzen.
Hajduk: Also das würde ich für ein sehr vernünftiges Verfahren halten. Darüber hinaus sollte es nicht ausschließlich auf sogenannte Wohnungsbauoffensiven beschränkt sein, sondern es sollte regelmäßig Dispositionsrunden geben, wo weiterhin Grundstücke für Baugemeinschaften akquiriert werden können.
Integrative Baugemeinschaften: Familienfreundlichkeit, ökologische Bauweisen und soziale Projekte
FreiHaus: Wie kann gewährleistet werden, dass die Grundstücksvergabe nach Qualitätskriterien stattfindet?
Hajduk: Wir haben ausdrücklich im Koalitionsvertrag festgehalten, dass die Qualität der Konzepte eine maßgebliche Rolle bei der Vergabe von städtischen Grundstücken spielen soll. Und da kommen wir auf unser Thema vom Anfang zurück: Welche Qualitäten haben die Baugemeinschaften, z. B. hinsichtlich Familienfreundlichkeit oder ökologischem Standard oder Unterstützung von Quartiersstrukturen.
Ein Schritt in diese Richtung kann auch die Integration sozialer Projekte sein. Aus diesen Gründen wollen wir zukünftig die Konzeptqualität maßgeblich berücksichtigen und ich glaube, das ist mit Blick auf Baugemeinschaften ein guter und angemessener Faktor.
FreiHaus: Vielerorts sind die Grundstückspreise so hoch, dass geförderter Wohnungsbau und Baugemeinschaften nicht realisiert werden können. Der Grundstücksmarkt fördert die Segregation der Stadt.
Hajduk: Hier gibt es die Notwendigkeit auf die realen Grundstückspreise zu schauen und die innerhalb der Förderung zu berücksichtigen, soweit es vertretbar ist. Gleichzeitig sollten sich Baugemeinschaften überlegen, dass es eine Grundstücksknappheit und Konkurrenz gibt und dass es gilt, „neue“ Stadtteile zu entdecken. Das heißt, dass nicht nur die Politik an der Entwicklung von Stadtteilen arbeitet, sondern dass auch Baugemeinschaften eine bestimmte Rolle spielen können. Mein Blick geht dabei stark nach Wilhelmsburg. Es gibt z. B. im Rahmen der IBA im Moment viele interessante Anstöße für die Stadtentwicklung und deswegen befürworten wir auch, wenn Baugemeinschaften diesen Stadtteil in ihre Überlegungen einbeziehen.
Zwei Bausteine: Eigentum und genossenschaftliches Wohnen
FreiHaus: Bau- und Hausgemeinschaften gibt es im individuellen und im genossenschaftlichen Eigentum. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Vor- und Nachteile des individuellen gegenüber dem genossenschaftlichen Eigentum und wo werden in der Zukunft die Schwerpunkte der Förderung liegen?
Hajduk: Wir haben damit zwei Möglichkeiten wie Baugemeinschaften funktionieren. Es ist nicht richtig, das in Konkurrenz zueinander zu setzen. Wenn ich es richtig einschätze, hat es sich in der jüngeren Vergangenheit bewährt, dass beide Eigentumsformen berücksichtigt werden, dass sie sogar jeweils zur Hälfte unterstützt und gefördert werden. Ich habe den Eindruck, das Verhältnis spiegelt sich in der Nachfrage wieder und wir brauchen sowohl Angebote für Leute, die den Weg über Genossenschaften wählen und für Leute, die dies nicht tun. Und deswegen würde ich immer beide berücksichtigen.
Wohnungsbauförderung für Baugemeinschaften verbessern
FreiHaus: In der Vergangenheit wurde in Hamburg eine Vielzahl von neuen Genossenschaften gegründet. Mit der neuen Förderung, die seit 2003 verändert ist, konnte es diese Neugründungen nicht mehr geben, weil aufgrund der Förderung von Beginn an ein Defizit entsteht, das von jungen Genossenschaften noch nicht aufgefangen werden kann. Eine große Bestandsgenossenschaft kann so was über ein paar Jahre tragen, aber nicht die neu gegründeten ohne Bestand. Das hat dazu geführt, dass diese Hamburger Erfolgsgeschichte, dass eine Bewohnergruppe eine Genossenschaft für ihr Hausprojekt gründete, nicht mehr fortgesetzt werden konnte und entweder der Weg zu traditionellen Genossenschaften oder in Dachgenossenschaften gesucht wurde bzw. werden musste. Unsere Frage ist, ob Sie die Möglichkeit sehen, die Fördersituation wieder soweit zu verändern, dass Neugründungen von Genossenschaften aufgrund der finanziellen Möglichkeiten umsetzbar sind?
Hajduk: Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich dazu sagen, dass wir dabei sind, die Fördergrundsätze für Baugemeinschaften im individuellen und im genossenschaftlichen Eigentum im Hamburger Wohnungsbauförderprogramm zu überarbeiten. Diese Überarbeitung hat das Ziel, den Baugemeinschaften ein Angebot zu unterbreiten, das für diese wirtschaftlich tragfähig ist und wir gehen davon aus, dass davon die kleinen Genossenschaften profitieren können.
Neubauförderung geht vor
FreiHaus: In der Koalitionsvereinbarung ist von einem Bedarf von 5000 bis 6000 neuen Wohnungen jährlich gesprochen, wie soll das Verhältnis von frei finanziertem und gefördertem Wohnungsbau und von Miete und Eigentum aussehen?
Hajduk: Wir sehen im geförderten Wohnungsbau einen substantiellen Anteil, aber die genaue Höhe steht nicht fest. Im Rahmen der Wohnungsbauförderung, die wir ja aktuell gestalten, ist es nach meiner Auffassung richtig, dass die Neubauförderung gegenüber der Förderung des Erwerbs von Bestandsimmobilien eine größere Rolle spielt.
FreiHaus: Weil durch die Förderung des Erwerbs von bestehenden Wohnungen keine neue Wohnung geschaffen wird?
Hajduk: Natürlich ist die energetische Förderung im Bestand auch eine große Zielsetzung, aber aktuell wurde der Eigenheimerwerb im Bestand sehr in den Fokus gerückt. Als wir uns die Zahlen angeguckt haben, war das von der Zielstellung her ein recht hoher Anteil und wir stellen uns vor, diese Anteile zu verschieben und im Rahmen der Eigentumsförderung die Neubauförderung zu stärken.
Preiswerten Wohnungsbau fördern und Belegungsbindungen sichern
FreiHaus: In den vergangenen Jahren gibt es immer stärkere Probleme für benachteiligte Gruppen Zugang zu Wohnraum zu finden. Gleichzeitig hat es einen Rückgang von belegungsgebundenen Wohnungen gegeben. Seit dem Jahr 2003 werden z. B. gar keine Wohnungen mehr mit Dringlichkeitsschein-Belegung gefördert oder gebaut und die Wohnungsunternehmen, die früher die Wohnungsversorgung für Menschen mit niedrigem Einkommen sicher gestellt haben, ziehen sich aus diesem Segment zurück. Gibt es Ansätze, die Wohnungsbaugesellschaften, vor allem auch die SAGA und viele der Genossenschaften, die ihre jetzigen Bestände vielfach mithilfe öffentlicher Förderung in der Vergangenheit aufgebaut haben, wieder ins Boot zu holen oder geht es darum hier neue Partner zu finden? Wie könnten ihrer Meinung nach Ansatzpunkte zu einer Wohnraumversorgung benachteiligter Gruppen aussehen?
Hajduk: Unser Ziel – das haben wir auch im Koalitionsvertrag benannt – ist, Menschen, die Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt haben, wirklich zu unterstützen. Dafür müssen Modelle entwickelt werden. Ganz konkret erachten wir den gezielten Ankauf von Belegungsbindungen im Bestand als einen guten Ansatz. Mit Blick auf die anstehenden Aufgaben sollte das Fachamt aus meiner Behörde mit den anderen Fachbehörden zusammen arbeiten und natürlich auch mit anderen Trägern. Mit sozialen Trägern und Verbänden sollten wir innovative Modelle entwickeln für Menschen mit dem Problem, Zugang zum Wohnraum zu finden. Das ist eine Aufgabe, die vor uns steht, daran arbeiten wir.
FreiHaus: Unsere Meinung dazu ist, dass man einen Instrumenten-Mix braucht. Da ist der Ankauf von Bindungen sicherlich eine Sache, längere Laufzeiten auch. Ggf. müssen auch neue Akteure aufgebaut werden, die diese Rolle spielen können. Das könnte z. B. eine Stiftung sein.
Hajduk: Wir haben vor, in Kooperation mit der Sozialbehörde zu prüfen, ob Wohnraum für benachteiligte Gruppen bereitgestellt werden kann. Vielleicht macht es Sinn, auch bei der Frage der Entwicklung einer Stiftung, die Wohnraum für besondere Zielgruppen erstellt, gemeinsam mit der Sozialbehörde aktiv zu werden.
FreiHaus: Vielen Dank
Hajduk: Das war für mich ein schöner Termin, ich habe viel gelernt.
Britta Becher und Tobias Behrens sind MitarbeiterInnen der STATTBAU HAMBURG GmbH und als rasende ReporterInnen für die FreiHaus unterwegs.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 15(2008), Hamburg