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Artikel Rechtsform/Genossenschaft Stadtentwicklung Wohnungspolitik

Keine Überregulierung, bitte!?

Was bringt die großen Hamburger Genossenschaften dazu,
marktliberale Forderungen an die Politik zu stellen?

*** Joscha Metzger ***

Große Genossenschaften tragen in Hamburg mit ihren günstigen Mieten und dem ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder zu einer sozialen Stadtentwicklung bei. Sie genießen daher bei verschiedensten Akteuren einen sehr guten Ruf: Politiker*innen aller Parteien, zivilgesellschaftliche Initiativen sowie Mietervereine betonen regelmäßig ihren Beitrag zum Erhalt bezahlbaren Wohnraums und gemischter Quartiere.
Vor diesem Hintergrund wirken die Forderungen des Vereins der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften an den Senat vom Frühjahr 2020 irritierend: Die Wohnung, so lässt der Verein wissen, sei eine Ware und „Überregulation“ schädlich für die Wohnungsversorgung. Die Forderungen zeigen auf, dass den Genossenschaften im Kontext der aktuellen Wohnungsfrage in Hamburg eine große Bedeutung zukommt.

DIE WOHNUNG, EINE WARE?

Der Verein der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften fordert in seiner Mitgliederzeitschrift vom Frühjahr 2020 einen „fairen Umgang“ des Senats mit den Genossenschaften. Das klingt zunächst selbstverständlich. Die einzelnen Forderungen machen jedoch deutlich, dass es den Genossenschaften darum geht, eine weitere sozialpolitische Regulierung des Wohnungsmarktes zu verhindern und bereits existierende Regelungen zu liberalisieren. Der Verein fordert, dass die Stadt keine weiteren Beschränkungen der Mietendynamik beschließt, die Mehrkosten von Umweltschutzmaßnahmen oder solchen zum barrierefreien Wohnen übernimmt und Grundstücke nicht wie angekündigt in Erbpacht vergibt, sondern weiterhin verkauft. Ansätze wie den Mietendeckel in Berlin oder auch die Senkung der Kappungsgrenze (welche die gesetzlich zulässige Mietsteigerung auf derzeit 15 % in drei Jahren begrenzt) bezeichnet er als Populismus und meint, diese würden den Bau neuer Wohnungen verhindern und insbesondere solche Wohnungsunternehmen „bestrafen“, die keine Maximalmieten verlangen. Da Erbpacht langfristig gesehen teurer sei, als Grundstücke zu kaufen, sieht er dieses bodenpolitische Instrument als „Misstrauensvotum“ gegenüber den Genossenschaften an.
Seine Forderungen begründet der Verein folgendermaßen: Zum einen würde der Hamburger Wohnungsmarkt „funktionieren“ und sei sogar „solidarisch organisiert“. Diese Behauptungen begründet er mit der im bundesweiten Vergleich verhältnismäßig hohen Anzahl an Genossen-schaftswohnungen in Hamburg. Zum anderen verweist er darauf, dass zwar das Wohnen ein „Grundrecht“ sei, die Wohnung selbst aber eine „Ware“. Diese Betrachtung ist in der wohnungspolitischen Debatte unangenehm vertraut: Die Liberalisierung des Marktes, die Abwehr zusätzlicher Kosten und die Drohung, bevor man Grundstücke in Erbpacht nehme, verzichte man lieber ganz auf das Bauen, sind von der profitorientierten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft leidlich bekannt. Irritierend ist dabei nur, dass die Genossenschaften mit ihrer besonderen Geschichte als soziale Wohnungsunternehmen in diesen Chor miteinstimmen.
Die dreißig großen Genossenschaften, die den Verein der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften konstituieren, wurden als Selbsthilfeunternehmen in Krisenzeiten der vergangenen 150 Jahre gegründet, um auch einkommensschwachen Wohnungssuchenden eine gute Wohnung zu ermöglichen: Statt Luxus oder Kellerloch sollte ein guter Standard für alle geschaffen werden. Die Wohnungsgemeinnützigkeit verankerte die Bezahlbarkeit des Wohnens gesetzlich bis zu ihrer Abschaffung im Jahr 1990. Auf ihre Herkunft als sozialpolitisch orientierte Unternehmen beziehen sich die Genossenschaften auch in ihren aktuellen Forderungen mit Stolz: Sie reklamieren für sich, seit über 100 Jahren zum sozialen Frieden beizutragen.
Die Bezugnahme auf den Warencharakter der Wohnung macht jedoch ihre Abkehr von der eigenen Geschichte deutlich: Waren zeichnen sich genau dadurch aus, dass sie auf den Markt gebracht werden, um Profit zu erzielen. Solange Wohnraum als Ware gehandelt wird, lässt sich ein Grundrecht auf Wohnen daher nicht verwirklichen – genau das zeigt der hohe Verdrängungsdruck auf dem dynamischen Wohnungsmarkt in Hamburg. Die auf Demonstrationen häufig geäußerte Parole „die Wohnung ist keine Ware“ zielt darauf ab, Spekulation zu unterbinden und den Preis des Wohnens auf die notwendigen Kosten zu reduzieren. Es geht darum, die Wohnungswirtschaft – z. B. durch eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit – so zu bändigen, dass ihr Angebot wieder den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden entspricht.

DIE POLITISCHE ROLLE DER GROSSEN GENOSSENSCHAFTEN

Wie kommt es, dass sich die Genossenschaften den Widerspruch leisten können, politisch gegen die Interessen ihrer Mitglieder und derjenigen, die es werden wollen, zu agitieren und sich auf der anderen Seite positiv auf Begriffe wie Solidarität und den sozialen Frieden zu beziehen?
Kritik an großen Genossenschaften ist an sich nicht neu. Bereits in den 1980er Jahren betonte der bekannte Genossenschaftstheoretiker Klaus Novy, dass sich immer mehr Bestandsgenossenschaften gegenüber ihren Bewohner*innen wie ganz normale kapitalistische Unternehmen verhalten. Seine Kritik zielte jedoch vorrangig auf mangelnde Mitbestimmungs-möglichkeiten und eine geringe Toleranz gegenüber alternativen Lebensentwürfen und weniger auf die Höhe der Miete.
Nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit begannen die großen Genossenschaften sich dem Markt­geschehen anzupassen. Sie taten dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen erschlossen sie neue Zielgruppen, was auch beinhaltete, für Menschen mit höherem Einkommen zu bauen. Dies wurde unter den Bedingungen eines entspannten Wohnungsmarktes am Ende der 1990er Jahre öffentlich kaum als Problem wahrgenommen. Zum anderen wandten sie sich der Quartiersentwicklung zu und bezogen sich positiv auf Ideen wie Partizipation, Nachbarschaft und Gemeinschaft. Auch wenn die Mitbestimmung in Sachen der Geschäftsführung nach wie vor sehr begrenzt ist, bieten sich ihren Mitgliedern viele Möglichkeiten zum ehrenamtlichen Engagement. Dies wurde in der Öffentlichkeit sehr positiv wahrgenommen. Im Ergebnis galten die Genossenschaften zum Beginn der 2010er Jahre – als die Mietendynamik in Hamburg insgesamt bereits bedrohliche Züge annahm – als die „Guten“ auf dem Wohnungsmarkt.
Dieser gute Ruf hat sich bis heute erhalten. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit die Genossenschaften ihm noch gerecht werden: Seit der Einrichtung des Bündnisses für das Wohnen im Jahr 2011 sitzen die Genossenschaften, vertreten durch den Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen, mit dem Senat und den Verbänden der profitorientierten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft an einem Tisch – und machen sich zunehmend mit letzteren gemein.

WER VERTRITT HEUTE NOCH DIE INTERESSEN DER SOZIALEN BAUHERR*INNEN IN HAMBURG?

Mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber wohnungspolitischen Regulierungen agieren die Genossenschaften zunehmend als Sprachrohr der profitorientierten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Indem sie dabei als Genossenschaftlerinnen sprechen, bekommt ihre Aussage jedoch einen ganz anderen Klang: Wenn die „Guten“ auf dem Markt gegen Regulierung sind, dann muss wohl etwas dran sein. Ist es aber nicht: Die Wohnungsmarktdynamik der letzten Jahre erfordert viel eher eine weitergehende sozialpolitische Regulierung. Welche Ansätze dafür die richtigen sind, kann und muss kreativ diskutiert werden – eine schlichte Ablehnung von ­Kappungsgrenze oder Mietendeckel hilft dabei nicht weiter. Es geht darum, Instrumente zu konzipieren, die Mieterinnen vor Verdrängung schützen und gleichzeitig Neubau und Erhalt bezahlbarer Wohnungen nicht erschweren. Erbpacht ist dabei ein nützliches Instrument, mit dem Grundstückskosten gesenkt und es somit auch sozialen Bauherrinnen, die oftmals nur wenig Eigenkapital mitbringen, ermöglicht wird, zu bauen. Ein weitergehender Ansatz wäre eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, die preiswerten Wohnungsbau fördert und auf Dauer bezahlbar hält. Anstelle dafür zu sorgen, dass sich der Markt den Anforderungen gemeinwohlorientierter Bauherrinnen anpasst, lassen sich die großen Genossenschaften mit ihren markt­liberalen Forderungen jedoch vor den Karren der profitorientierten Wohnungs- und Immobilienwirtschaft spannen. Für die weitere Entwicklung des Wohnens in Hamburg stellt dies eine gewichtige Hypothek dar: Wer ist heutzutage noch in der Lage und Willens, im benötigten Umfang Wohnungen für Menschen mit Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen?
Es ist an der Zeit, das Mietshäusersyndikat, junge Genossenschaften, Stiftungen und andere soziale Träger in das Bündnis für das Wohnen aufzunehmen. Ein solcherart erneuertes Bündnis könnte endlich damit beginnen, Rahmenbedingungen für das Wohnen zu schaffen, die den Bedürfnissen aller Wohnungssuchenden entsprechen – und nicht vorrangig derjenigen, die sich die überteuerten Mieten auf dem aufgeheizten Markt leisten können.

Joscha Metzger hat am Institut für Geographie der Universität Hamburg zum Thema „Genossenschaften und die neue Wohnungsfrage“ promoviert und arbeitet seit Mai 2020 bei Stattbau Hamburg im Bereich Projektentwicklung und Baubetreuung.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 25(2020), Hamburg