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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Lebendiges Wohnen in St. Georg

*** von Claudia Reinhard ***

Wohnen in der Stadt mit Kindern, anstelle Umzug ins Umland. Das war auch schon vor 15 Jahren Thema in Hamburg. Und es sollte St. Georg sein, ein ungewöhnlicher Wunsch für Haushalte, in denen Kinder wohnen. Die neu gegründete Wohnungsbaugenossenschaft gab sich – in Anlehnung an den Namensgeber des Stadtteils – den Namen Drachenbau. Der Ritter Georg bezwang einen Drachen und rettete die Königstochter damit davor,dem Ungeheuer als Opfer vorgeworfen zu werden.

1987 wurde die Drachenbau e.G. gegründet. Sie war eine der ersten gegründeten Genossenschaften in den 80-er Jahren in Hamburg. Ihr ehrgeiziges Ziel: Ein Fabrikgebäude, im Innenhof der Schmilinskystraße gelegen, sollte zum Wohnprojekt aus verschiedenen Wohngemeinschaften umfunktioniert werden. Zu dem Projekt gehört weiterhin ein – ehemals sanierungsbedürftiger – Altbau und zwei Neubauten, die nacheinander errichtet wurden. Begegnet wurde dem Vorhaben im Stadtteil anfangs mit Skepsis von außen. Zu neu waren die Ideen der Baugemeinschaft.

Integration in den Stadtteil

Als die Baumaßnahmen zu Ende gingen, tauchten nach und nach immer mehr DrachenbauerInnen in den Vereinen und Gremien vor Ort auf, denn sie verstehen sich als aktive Mitglieder ihres Stadtteils. Sie setzen sich dafür ein, dass die gewachsenen Strukturen vor Ort so weit wie möglich erhalten bleiben. Deshalb sind sie bei vielen Gelegenheiten dabei: sei es u.a. bei Stadtteilfesten, bei der Gestaltung des Lohmühlenparks oder in der Theatergruppe der Geschichtswerkstatt. Die Gruppe gehört zum festen Bestandteil St. Georgs und ihre AktivistInnen sind dort als lokale AkteurInnen wohlbekannt.

Engagement und soziales Mietmodell

Drachenbau umfasst z. Zt. rund 50 GenossInnen und ist Mitglied bei der Schanze e.G., dem wohnbund e.V., der Dachgenossenschaft Wohnreform e.G. und Kreditgeber für andere innovative Baugemeinschaften. Wegen der überschaubaren Mitgliederzahl kann Drachenbau nach wie vor das schaffen, was in größeren Genossenschaften schwerer zu verwirklichen ist: die direkte Mitwirkung aller an den Fragen des Zusammenwohnens. Beispiel Miete: „Jeder gibt, was er kann“, ist ein Grundsatz für die Beteiligung der Nutzer an den Wohnkosten. Es gibt keine festgelegte Miete pro Quadratmeter. Jeder legt nach Selbsteinschätzung seine individuelle Miethöhe fest. Und dann wird gerechnet, ob damit alle Kosten gedeckt werden können. Seit 15 Jahren wird so verfahren. Sollte dieses Modell nicht mehr funktionieren oder nicht mehr akzeptiert werden, bleibt immer noch die sonst übliche Quadratmeter-Miete. Schon während der Planungs- und Bauphase „gab jeder das, was er konnte“ – z.B. wurde Essen für alle gekocht oder jedes Mitglied zahlte nur so viel Geld ein, wie es die finanziellen Möglichkeiten erlaubten. Wer Nichts hatte, beglich seinen genossenschaftlichen Anteil später.

Kerngeschäft und Sahnehäubchen

Diese beiden Begriffe kennzeichneten auf einem Wochenendseminar im Mai 2000 die Perspektiven des Wohnmodells. Wofür sie stehen? Das Kerngeschäft ist die Wohnungsverwaltung, welche durch 14-tägige Plena bewerkstelligt wird. Und das Sahnehäubchen? – ja das kann vieles sein. Für viele, gerade auch für Alleinstehende mit oder ohne Kindern, stellen die Nachbarn ihre Wahlfamilie dar. Es entsteht eine soziale Verbundenheit, wie man sie ansonsten nur in klassischen Familien findet. Man fühlt sich nah, geht sich jedoch auch manchmal lieber aus dem Weg, weil man sich gerade gestritten hat. Anderen BewohnerInnen reicht es, einfach nur preisgünstig zu wohnen und Menschen Tür an Tür zu haben, mit denen man sich gut versteht. Das Sahnehäubchen variiert, je nachdem, wie die individuellen Ansprüche gelagert sind. Aber ein wichtiger Konsens besteht: die gemeinschaftliche Orientierung.

Claudia Reinhard ist Studentin der Geographie an der Universität Hamburg und Praktikantin bei STATTBAU HAMBURG

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 9(2002), Hamburg