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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen Wohnprojekte Hamburg

Alle irgendwie Freundinnen

*** von Gabi und Rike ***

Rund 20 Frauen und Kinder in einer Groß-WG. Seit zwei Jahren – jeden Tag. Geht das? Zwei Bewohnerinnen meinen: Na und ob!

Frauenfreiraum im Patriarchat

Unser Projekt haben wir nach Olga Benario benannt. Sie war als Kommunistin in den 20er und 30er Jahren in Deutschland, der Sowjetunion und Brasilien aktiv. Anfang 1942 wurde sie von den deutschen Faschisten in der Gaskammer des Konzentrationslagers Ravensbrück umgebracht. Rabiata steht für „die Wütende“.

Unterschiedliche Lebensentwürfe bezüglich Beruf, Kindern, Elternbeziehung, Liebesbeziehung und FreundInnenschaften finden, streiten und bereichern sich bei uns unter einem Dach. Ziel ist nicht die Erfüllung eines einheitlichen – nach political correctness entwickelten – Anspruchs. Das haben einige von uns in den Siebzigern und Achtzigern in verschiedenen WG’s erprobt. Olga steht für den Versuch, jenseits von gesellschaftlichen Vorgaben, Beurteilungen und Sanktionen feministische Perspektiven zu entwickeln – Raum für jede von uns zur Weiterentwicklung von ihrem Punkt aus. In Olga Rabiata soll jede ihren individuellen Lebensentwurf umsetzen können. Das heißt, daß es ideelle oder konkrete Räume gibt, die kinderfrei oder gerade gefüllt mit Kindern, männerfrei oder mit Kindsvätern und Freunden, Reproduktionsraum für „Karriere-Frauen“ oder Raum für kreative und politische Betätigung bieten. Es gibt Frauen, die viel reisen und welche, die beruflich viel unterwegs sind. Frau kann sich entscheiden, wo sie sich abgrenzt und wo sie Gemeinsamkeiten nutzt, vorantreibt oder ausbaut.

Wir sind 15 Frauen und 7 Kinder

In Olga zieht keine ein wie in eine WG. Eine Entscheidung für Olga Rabiata ist das Eingehen einer Bindung zu ca. 20 anderen Menschen und eine Entscheidung für eine langfristige Wohnperspektive. 1989 taten sich die ersten von uns zusammen. Viele sind dazu gekommen, nur fünf sind gegangen. Bisher kam keine dazu, die wir nicht irgendwie schon kannten.

Wir teilen mehr als den Kühlschrank und die Wohnung. Wir leben zusammen und sind alle auch irgendwie Freundinnen. Es gehört zu unserem Alltag, daß häufig bei einer der Mitbewohnerinnen Existenzielles passiert: Geburten, Todesfälle, begonnene und gekündigte Jobs, Stipendien und Dissertationen, Fortbildungen, Kinderkrankheiten, Liebeskummer und neue Lieben. In Olga heißt das: Halt erfahren, zusammen feiern und gemeinsam die nächsten Schritte entwickeln. Jede Einzelne hat trotzdem Entscheidungsfreiheit, wieviel sie im einzelnen damit zu tun haben kann und will und die Sicherheit, daß es immer welche gibt, die einspringen.

Ein bißchen schöner wohnen

Nach längerer Diskussion haben wir uns für Neubau statt Altbausanierung entschieden. Nach Grundstückssuche und Genossenschaftseinstieg konnte in Zusammenarbeit mit unserer Architektin Beata Huke-Schubert die Bauplanung beginnen. Uns war es wichtig, durch große (französische) Fenster viele sonnendurchflutete Räume zu erhalten. Trotz Neubau sind die Räume schön und keinesfalls einheitlich geworden. Kein Zimmer gleicht im Grundriß dem anderen, jedes hat seine eigene Atmosphäre. Ein großer Gemeinschaftsraum und eine große, gemütliche und zudem noch funktionale Küche sind zentraler Treffpunkt im Haus. Ein internes Treppenhaus verbindet die drei von uns bewohnten Stockwerke.

Die Fliesen haben wir selbst ausgesucht, zugeschnitten und an die Wand geklebt. Jetzt sind die acht Bäder und Klos ein sehenswerter Ausdruck unserer unterschiedlichen Geschmäcker. Ansonsten gehörten noch die Holzfußböden, die Küchengestaltung und die Dachgartenbegrünung zu unseren Eigenleistungen. Dadurch haben wir nicht nur Geld eingespart, sondern auch Streß und Spaß gehabt und eine Menge gelernt.

Jetzt wohnen wir schon seit zwei Jahren in unserem Haus zusammen, haben immer noch Spaß und lernen immer noch dazu.

Sechs Tage Vollpension

Unser Alltag ist auf eine Art unspektakulär normal. Beim Frühstück in der großen Küche treffen sich schon morgens diejenigen, die gleichzeitig aufstehen müssen. Morgenmuffeln ist erlaubt. Tagsüber geht jede ihren Verpflichtungen nach. Dabei begegnen wir uns zum Teil zufällig, zum Teil verabredet und zum Teil auch gar nicht. Abends essen wir alle zusammen warm. Jeden Tag sind zwei von uns dafür zuständig. Dadurch, daß wir die Reproduktionsarbeit gleichmäßig auf alle verteilen, reduziert sich der Aufwand für jede Einzelne: Nur einmal die Woche Einkaufen und Kochen, alle drei Wochen putzen! Jede Woche oder alle 14 Tage (je nach Bedarf) treffen wir uns zum Plenum. Wir sind immer noch mit vielen organisatorischen und baulichen Fragen beschäftigt. Eine Entscheidung für Olga ist nicht zuletzt auch Entscheidung für die Mitarbeit in der Selbstverwaltung des Projekts und der Genossenschaft.

Wahrscheinlich sind wir bundesweit das einzige Frauen-Stadt-Wohnprojekt dieser Größe. Unseres Wissens nach sind viele Versuche, große gemischte Wohnkollektive umzusetzen, gescheitert. Wir wollten es trotzdem versuchen und können nach zwei Jahren praktischer Wohn-Erfahrung feststellen: Unsere Lust, das Projekt wachsen zu lassen, wiegt die natürlich auch bestehenden Schwierigkeiten bei weitem auf.

Gabi und Rike sind Bewohnerinnen des Projektes Olga Rabiata in Hamburg-Ottensen

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 3(1998), Hamburg