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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen

Perlen polieren 2.0

Eine Initiative für Hamburger Wohnstifte

*** von Jörg Schilling ***

Die Hamburger Wohnstifte bewahren einen ganz besonderen Fundus an günstigem Wohnraum. Die Initiative „Perlen polieren“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in mehreren Veranstaltungen darüber aufzuklären.

Hamburger Wohnstifte bewahren einen ganz besonderen Fundus an günstigem Wohnraum. Die Initiative „Perlen polieren“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in mehreren Veranstaltungen darüber aufzuklären. Ursprünglich zumeist für alleinstehende Frauen errichtet, wurden die Zwecke der Wohnstifte mit der Zeit auf Bedürftige aller Art ausgedehnt. Bis heute zeichnet die Kleinteiligkeit der Wohneinheiten die Stifte aus. Das macht sie für die Gesellschaft und das soziale Gefüge der Stadt so wertvoll. Denn der demografische Wandel, die befürchtete Altersarmut vieler Menschen und das weiter steigende Mietniveau erhöhen den Druck auf das Angebot preiswerter Wohnungen. Doch zuerst brauchen die Stiftungen selbst Hilfe. Ihnen fehlen oft finanzielle Mittel für Investitionen oder den Erhalt der Bausubstanz. Gleichzeitig stehen sie vor großen Herausforderungen. Die Wohnungen sollen zeitgemäßen Ansprüchen angepasst werden; Energiestandards und Barrierefreiheit beschreiben die Schwierigkeiten der oft weit mehr als 100 Jahre alten Bauten, von denen viele unter Denkmalschutz stehen. Doch dessen Auflagen stellen die Stiftungen vor weitere Probleme. Und im Gegensatz zu privaten Bauherren, die Aufwendungen für den Denkmalschutz steuerlich geltend machen können, haben Stiftungen, die keine Gewinne erwirtschaften dürfen, nicht diese Abschreibungsmöglichkeiten – eigentlich eine Absurdität, wenn berücksichtigt wird, welch herausragendes bauliches und kulturelles Erbe der Stadt Hamburg die Wohnstifte repräsentieren.

ERBE BEWAHREN

Bis ins 13. Jahrhundert reicht die hanseatische Tradition des Stiftungswesens. Hamburg streitet sich heute mit Frankfurt am Main um den Titel der Stiftungshauptstadt. Viele Wohnstifte wurden – oftmals von jüdischen Mäzenen – Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, um der durch das Bevölkerungswachstum forcierten Wohnungsnot entgegen zu wirken. Sie erhielten – zusammen mit alteingesessenen Einrichtungen, die nach dem Großen Brand oder wegen städtischer Erneuerungsmaßnahmen das Zentrum verlassen mussten – von der Kommune günstige Pachtgrundstücke in Stadterweiterungsgebieten wie St. Georg, Borgfelde, Rotherbaum und Eppendorf. Es entstanden, gemessen an den damaligen Wohnverhältnissen, vorbildliche Unterkünfte, die auch ästhetisch gesellschaftliche (Reform-)Vorstellungen zum Ausdruck brachten.

Dieses Erbe ist in Gefahr. Erste Wohnstifte planten ihren von Investoren begehrten Besitz aufzugeben. Gründe hierfür sind nicht nur in der Finanzmisere und Zinspolitik zu suchen. Oftmals sind die ehrenamtlichen Vorstände über spezifische Fördermöglichkeiten nicht genügend informiert. Bereits 2014 wurde in FreiHaus auf die Misere hingewiesen und gefordert: „Die Perlen müssen poliert werden“. Im Zuge dessen kam es Ende 2015 zur Gründung der aus drei Kooperationspartnern bestehenden gleichnamigen Initiative, die sich die Sicherung und Weiterentwicklung der Wohnstifte zur Aufgabe gemacht hat. Mechtild Kraenzlin von der Homann-Stiftung, Johannes Jörn aus dem Vorstand der Patriotischen Gesellschaft von 1765 und Ulrike Petersen von STATTBAU Hamburg bemühen sich seitdem, ein Netzwerk der Wohnstiftungen aufzubauen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

BESTAND ERFASSEN

Um die Wohnstifte miteinander zu verbinden, war es zuerst nötig, sich mit Hilfe einer fragebogengestützten Telefonumfrage einen Überblick über die Landschaft der Hamburger Wohnstifte zu verschaffen. Den Ausgangspunkt stellte eine Liste der Stiftungsaufsicht von rund hundert Stiftungen dar, die der Zweck der Wohnraumversorgung vereinte. Am 25. April 2017 wurden die Ergebnisse vorgestellt. Ein Viertel der befragten Stiftungen verfügt über Gebäude, die vor 1900 gebaut wurden und nahezu ein Drittel führt in seinem Bestand Bauten, die unter Denkmalschutz stehen. Eine ungefähr gleiche Zahl gab an, dass auf grundlegende Sanierungen in den letzten 25 Jahren verzichtet werden musste. Bei einer durchschnittlichen Größe der Wohneinheiten von 36,5 qm sowie mehrheitlichen Zugangsbeschränkungen betreffend des Alters und/oder der Einkommensverhältnisse bestätigte sich insgesamt der soziale Charakter der Hamburger Wohnstifte.

Beim Thema Bausubstanz stand die Forderung nach Unterstützung durch Verbände und Politik im Vordergrund. Ausgleichsmodelle könnten die Finanzierung von Sanierungen erleichtern, es sollten mehr denkmalkundige Architekten vermittelt werden und eine bessere personelle Ausstattung des Denkmalschutzamtes wurde als hilfreich beschrieben. Bei der Frage nach der Sicherung neuer Finanzierungsmöglichkeiten war ein großer Bedarf an Aufklärung über zusätzliche Fördermöglichkeiten festzustellen. Alle Teilnehmer kamen überein, dass es wünschenswert sei, die angesprochenen Themenfelder in spezifischen Foren weiter zu vertiefen.

FÖRDERN INSTRUMENTALISIEREN

In diesem Sinne widmete sich die folgende Veranstaltung am 18. Juli 2017 den Fördermöglichkeiten für Hamburger Wohnstifte. Gastgeber war die Köster-Stiftung. Dr. Tobias Behrens, Geschäftsführer der STATTBAU Hamburg, eröffnete das Programm mit Informationen zur demografischen Entwicklung und Wohnraumversorgung in Hamburg – mit dem Fazit, dass das Armutsrisiko bei Senioren sowie das dramatische Abschmelzen der Mietpreis- und Belegungsbindungen im sozialen Wohnungsbau die künftige Bedeutung der Wohnstifte hervorheben wird. Behrens forderte, dass die wichtige Rolle der Wohnstifte offensiver dargestellt werden muss, nicht nur weil sie über preiswerte Wohnungen verfügen, sondern weil sie in teilweiser guter Lage eine Verankerung im Quartier ermöglichen. Daraufhin stellten Olaf Brockmeyer von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen sowie Nina Gust von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz die Förderinstrumente öffentlicher Stellen vor. Gerade letztere Behörde verfügt über ein bisher wenig bekanntes und genutztes Förderprogramm, das für Wohnstifte von Interesse sein könnte. Darüber hinaus präsentierte Mechtild Kraenzlin das Beispiel „fördernder Stiftungen“, die wie die Homann-Stiftung Mittel für Umbau und Ausstattung wie z. B. für barrierefreie Einrichtungen bereitstellen. Übereinstimmend wurde verlangt, dass es ein gemeinnütziges Beratungsangebot für Wohnstifte geben muss, welches auch die Konzeption und Entwicklung der Immobilien einbezieht. Letztendlich läuft das auf eine Organisierung der Wohnstifte hinaus, wie sie Dr. Tobias Behrens am Ende der Diskussion forderte.

NEUES BEWEGEN

Die bisherigen Veranstaltungen haben nicht nur den großen Bedarf an Austausch, Beratung und Vernetzung der Wohnstiftungen dokumentiert. Sie führten ins Bewusstsein, wie teilweise prekär sich die Situation der Stiftungen darstellt und wie wenig dies in der Öffentlichkeit präsent ist. Aber es geht nicht nur darum, das Bestehende zu bewahren, sondern es soll weiter entwickelt und für die Zukunft ausgebaut werden. Auch dafür muss die wichtige soziale Funktion der Wohnstifte stärker herausgestellt werden. Eine gute Möglichkeit bietet sich auf den Hamburger Stiftungstagen, die in der Hansestadt vom 9. bis 13. Oktober 2017 stattfinden. „Perlen polieren.“ wird zu einer Bustour einladen, bei der einzelne Hamburger Wohnstifte besucht werden. Sie hat das Ziel, die Initiative und ihre Ziele der Fachöffentlichkeit sowie der Politik vorzustellen. Vertretern der Presse werden vor Ort die Probleme der Stiftungen erläutert. Fest steht auch der Termin für die dritte große Fachrunde im November 2017, die dem Austausch mit Stiftungs- und Behördenvertretern dient und einen Ausblick auf die Vorhaben und Themen 2018 wirft. Geplant ist beispielsweise im ersten Quartal 2018 ein Fachdialog zum Thema Denkmalschutz.

Alle Aktivitäten dienen einem Zweck: eine große Tradition zu erhalten und für die Zukunft zu rüsten. Denn dass die Schmuckstücke ihren alten Glanz zurückerhalten, dient keinem Luxusgebaren. Es stellt die Investition in eine sozial verträgliche und damit lebenswerte Stadt dar.

Dr. Jörg Schilling ist Kunst- und Architekturhistoriker und Mitglied im Beirat und Arbeitskreis Denkmalschutz der Patriotischen Gesellschaft von 1765.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 22(2017), Hamburg