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Artikel Wohnprojekte Hamburg

Schröderstift – Kinder höherer Stände

*** von Arndt Prenzel ***

Es ist eines der ältesten real existierenden Wohnprojekte in Hamburg: das Schröderstift. Nach 18 Jahren hat manch einer, der damals dabei war, graue Haare. Ein Bericht.

Vor fast 150 Jahren

Das Schröderstift war zu seiner Zeit das „größte und am reichsten ausgestattete aller Hamburger Stifte“. Nach dem Großen Brand wurde Johann Heinrich Schröder kein Gelände in St. Georg zuteil. Man wies ihm das noch ländliche Areal im Papenlande nördlich der Sternschanze zu. In den Jahren 1851/1852 entstand das Schröderstift- Hauptgebäude. Dort durften „unverschuldet in Not geratene Damen höherer Stände“ einziehen. Parallel zum Bau wurde das Gebiet vor dem Dammtor erschlossen.

„Wohnstiftungen sind nicht allein unter dem Aspekt einer solidar-gemeinschaftlichen Philanthropie zu sehen, sondern als ein Instrument“ – so Michael Eissenhauer in einem Buch über Stiftungen – durch das „soziale Mobilität nach unten am Einzelschicksal korrigierend verhindert werden sollte“.

130 Jahre danach

Genau 130 Jahre später war es wieder soweit. Unverschuldet in Not geratene Kinder höherer Stände fanden Aufnahme in dem verfallenen Gebäude, das vom Studentenwerk imAuftrag der SAGA an Studiosi vermietet wurde.

Kaum jemand, der ins Schröderstift zog, war nicht organisiert. Der legendäre Kommunistische Bund Westdeutschlands hatte eine starke Basis. Doch auch die anarchistische Fraktion – falls es jemals eine Fraktion gegeben hat – war präsent, der Staatsschutz vermutete eins um andere Mal RAF-Mitglieder im Bau. Doch die verdächtigten Munitionskisten entpuppten sich lediglich als Bücherregale.

Als 1980 europaweit die „Kraker“ unterwegs waren und in Berlin Häuser besetzt wurden, schlug im Schröderstift die Stunde der Mieterselbstverwaltung. Die SAGA wollte das Gebäude abreißen lassen. Der Protest war gewaltig. Unisono schlugen Architektenkammer, Denkmalschützer, Historiker und Kraker Alarm. Die Bewohner forderten neue Gutachten und bestürmten die Politiker im Bezirksamt und Rathaus. Dort zeigte man sich beeindruckt. Mutig ebnete die damalige Bezirksamtsleiterin Ingrid Nümann-Seidewinkel den Weg. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi ließ sich auf der legendären „Matratzenkonferenz“ vorrechnen, dass der Erhalt billiger als der Abriss sei.

In den Jahren danach waren die Mieter mit der Instandsetzung der Gebäude beschäftigt. Für das kleinste Detail wurden Stunden aufgebracht. Die Diskussionslust war ungebrochen. Die wöchentliche Debatte wurde bis in die 90er Jahre fortgesetzt. Nach wie vor galt: 100 Bewohner – 1000 Meinungen.

Freundschaften, Fraktionen, Feindschaften

Der Weg der Bewohner war und ist unterschiedlich. Während der eine beschloss, Bundesfilmpreisträger zu werden (und dies auch wurde), legte sich der nächste in die soziale Hängematte. Viele Studiosi wechselten durch die Instandsetzungsarbeit beinahe zwangsläufig ins Baugewerbe, manche blieben Student. Das Konglomerat an sehr verschiedenen Menschen funktioniert wie andere Gemeinwesen auch. Es gibt Freundschaften, Fraktionen, Feindschaften und Vollversammlungen. Hier wird mittlerweile professioneller debattiert. Auch ist dem Vorstand im Laufe der Jahre ein Mehr an Arbeit, Aufgaben und Verantwortung zugewachsen.

Haus der Generationen

In Streitfällen geht es um die Autonomie der „Häuser“. Jedem Hauseingang sind automatisch Wohnungen zugeordnet daraus ergibt sich die Hausgemeinschaft. Familien sind entstanden, die Zahl der Kinder ist groß und die Generation der hier aufgewachsenen „Kids“ beansprucht Raum. Dennoch kommen immer wieder neue Leute ins Stift. Nach wie vor gibt es Aktivitäten wie eine „Stifts-Zeitung“. Die „Kids“ laden zum sonntäglichen „Café Caramba“.

Auf dem Sommerfest ist „Treffen“ angesagt. Dann kommen nicht nur die Uralt- Stiftler und lassen sich an den grauen Haaren ziehen. Auch die Nachbarn undFreunde aus dem Stadtteil sind dabei. Nach vielen kulturellen Ereignissen – von Circus Roncalli bis zum turbogeilen Himmelszelt — ist es etwas ruhiger geworden. Politisch engagiert sind heute eher wenige. Der Erhalt des Gebäudes wird die Schröderstiftler auch im nächsten Jahrtausend beschäftigen. Und bald ist das Stift dann wieder das, was es einmal war: Ein Haus der Generationen. Gerade gab es wieder einen „Kindersegen“. . . womit die Kinder und Jugendlichen ein Viertel der Bewohnerschaft stellen.

Arndt Prenzel ist Journalist und Bewohner des Schröderstıfis seit 1976.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 5(1999), Hamburg