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Über den Boden zur solidarischen Stadt

Interview mit Sabine Horlitz von der Berliner Stadtbodenstiftung

*** Gesprächsführung: Joscha Metzger ***

Mit der Stadtbodenstiftung wollt ihr Grund und Boden dauerhaft dem Markt entziehen und selbstverwaltetes Wohnen ermöglichen. Könnt Ihr die Stiftung kurz vorstellen und sagen, welche Pläne Ihr habt?

Sabine Horlitz: Die Berliner Stadtbodenstiftung wurde 2021 von 150 Menschen gegründet. Sie ist aus einer Initiative hervorgegangen, in der unterschied­liche Akteure und Interessen zusammenkamen: Menschen aus Nachbarschaftsinitiativen und Haus­projekten, Genossenschaftler*innen und alternative Projektentwickler*innen, aber auch Forschende und in der Bezirkspolitik Aktive.

Ziel der Stadtbodenstiftung ist es, einen Gegen­pol zur Spekulationsspirale wie zur Praxis der Top- Down Planung zu setzen, indem Immobilien dem profitorientierten Markt entzogen und für eine zivil­gesellschaftlich gelenkte, soziale Nutzung gesichert werden. So soll das bewahrt und geschaffen werden, was in den jeweiligen Nachbarschaften benötigt wird: bezahlbarer Wohnraum, gewerbliche, soziale oder kulturelle Nutzungen – von Nachbarschafts­zentren über Gewerbehöfe bis zu Gemeinschafts­gärten.

Die Stiftung orientiert sich dabei am Modell des Community Land Trust. Sie knüpft an bestehende Bodenstiftungen wie die Stiftung Edith Maryon oder die Stiftung Trias an, führt aber Elemente des Com­munity Organizing und eine basisdemokratische Be­setzung ihrer Organe ein. Die Stiftung möchte ein Modell zivilgesellschaftlich-solidarischer Stadt­entwicklung sein, das unterschiedliche Akteure zu­sammenbringt und soziale Zielsetzungen langfristig sichert.

Wie funktioniert so ein Community-Land-Trust? Was sind die wesentlichen Charakteristika?

Community Land Trusts (CLT) sind ein ge­meinschaftliches, nicht gewinnorientiertes Eigentumsmodell und gleichzeitig ein Modell der Selbstverwaltung. Der erste CLT im heutigen Sinn wurde in den USA Ende der 1960er Jahre von Bürger­rechts-Aktivist*innen in der Nähe von Albany, im länd­lichen Georgia gegründet, um angesichts der rassis­tischen Diskriminierung in der Bodenpolitik schwar­zen Farmer*innen einen dauerhaft gesicherten Zugang zu Ackerland und Wohnraum zu ermöglichen. In den 1980er Jahren, als zunehmende Aufwertungs­prozesse in US-amerikanischen Städten zur Ver­drängung vor allem einkommensschwacher Haus­halte führten, wurden die ersten städtischen CLTs gegründet. Mittlerweile haben CLTs weltweit Ver­breitung gefunden. Im Frühjahr dieses Jahres wurde zudem das Europäischen CLT-Netzwerk gegründet, das als Sprachrohr für das Modell in Europa fungie­ren soll.

Aber zur Struktur: CLTs sind, vereinfacht ge­sagt, durch zwei Grundprinzipien gekennzeichnet: Das erste Grundprinzip besteht in der Trennung des Eigentums am Grund und Boden vom Eigen­tum am Gebäude. Der Boden verbleibt dauerhaft im Eigentum des CLTs, bzw. in unserem Fall im Eigen­tum der Stiftung. Die Gebäude und Nutzungsrechte werden im Erbbaurecht vergeben. Das Erbbaurecht ist das zentrale Instrument mit dem die sozialen und inhaltlichen Zielsetzungen der erbbaurechts­nehmenden Projekte personenunabhängig und auf Dauer festgeschrieben werden. So z.B. spezifische Nutzungsquotierungen wie ein bestimmter Anteil an belegungsgebundenen Wohnungen oder eine be­sondere Zugänglichkeit für Menschen in prekären Lebenssituationen. Die Kontrolle der Einhaltung der im Erbbaurecht festgeschriebenen Vorgaben obliegt den CLTs, bzw. der Stiftung. Als Treuhänderin des Bodens wirken diese somit als dauerhafte Garantin der Gemeinwohlorientierung der Projekte.

Das zweite Grundprinzip ist das der Selbst­verwaltung und Mitbestimmung. CLTs sind demo­kratisch verwaltete und lokal verankerte Organi­sationen mit der Möglichkeit zur Mitgliedschaft. Alle Nutzer*innen sind stimmberechtigte Mitglieder, aber auch alle Menschen aus der Nachbarschaft kön­nen es werden. Die Definition einer Nachbarschaft ist dabei Sache der einzelnen CLTs. Einige beziehen sich auf überschaubare innerstädtische Gebiete oder einen kleinen ländlichen Bezirk, andere um­fassen ganze Städte bis hin zu Metropolregionen. Die von John Davis, einem der wichtigsten Vertreter der CLT-Bewegung in den USA, 2015 geprägte Kurzformel „community-led development on community-owned land“ fasst die Kernidee der CLTs treffend zusammen.

Community-Land-Trusts ermöglichen eine demo­kratische Verwaltung von Boden und Immobilien, die die Selbstverwaltungsansätze aus der Wohn­projekte-Szene durch die Beteiligung von Nach­barschaft und Zivilgesellschaft ergänzt. Was sind die Vorteile der Einbeziehung weiterer Akteure in gemeinwohlorientierte Projekte?

Ziel der Stadtbodenstiftung ist es, dass unter­schiedliche Interessen in der Stiftung vertreten sind und dass insbesondere jene eine Stimme haben, die sonst in Stadtentwicklungsfragen meist nicht mit­entscheiden können. Dem Selbstverständnis der CLTs folgend sollen die Selbstverwaltungsstrukturen über die unmittelbaren Nutzer*innen hinaus ausgeweitet und so der Charakter des Bodens als Gemeingut ge­stärkt werden. Die Stiftung hat zu diesem Zweck eine rechtlich-organisatorische Struktur, die unter­schiedliche Sichtweisen integriert und zwischen den Interessen der Nutzer*innen, den Zielsetzungen der Stiftung sowie den Bedürfnissen der jeweiligen Nachbarschaften und der breiteren Öffentlichkeit vermittelt. Dies spiegelt sich auch in der Besetzung der Organe. Das Kuratorium ist das zentrale Ent­scheidungsorgan der Stiftung. Dort sitzen neben Ex­pert*innen auch Vertreter*innen der Nutzerschaft und aus den jeweiligen Nachbarschaften. Es wird zu­dem ein Stiftungskomitee geben, das für alle an den Projekten Beteiligten, ebenso wie für Nachbar*innen und Stifter*innen offen ist. Es ist mit einer Mitglieder­versammlung vergleichbar und stellt in dieser Art ein Novum in der Stiftungslandschaft dar.

Auch auf Ebene der Projekte und Nachbar­schaften möchten wir Möglichkeiten der Mitsprache erproben. Das macht sicher nicht in jedem Fall Sinn. Aber wenn es beispielsweise ein Haus mit einem hohen Anteil an Gewerberäumen gibt, soll der Nach­barschaft ein Mitsprache- und Vorschlagsrecht bezüglich der Nutzungen eingeräumt werden.

Wie ist der Stand der Projektentwicklung?

Derzeit sind wir mit Eigentümer*innen von drei Mehrfamilienhäusern in Verhandlung und planen, die Immobilien zusammen mit Genossenschaften zu erwerben. In zwei der drei Fälle sind die Eigen­tümer*innen auf uns zugekommen mit dem Wunsch, die Häuser mit ihren günstigen Mieten dauerhaft zu sichern. Wir denken, dass hier gerade die lokale Aus­richtung der Stiftung Potential hat. Immerhin sind etwa 20 % der Immobilien in Berlin im kleinteiligen Privateigentum. In Kooperation mit dem Verein Wohnraum für Alle wollen wir zudem ein Modell er­arbeiten, um Eigentumswohnungen wieder in Miet­wohnungen umzuwandeln.

Wir versuchen, verschiedene Wege zu gehen, um an Boden zu kommen. Letztes Jahr haben wir bei­spielsweise zusammen mit zwei Künstlerinnen das Projekt Gemeingut statt Leerstand durchgeführt. Wir haben leerstehende Immobilien in allen Bezirken aufgespürt und sind mit Menschen aus den Nachbar­schaften vor Ort ins Gespräch gekommen, um ihre Geschichten, aber auch ihre Nutzungsideen zu er­fahren. Wir verfolgen diese Fälle und versuchen, dar­aus Projekte zu entwickeln.

Auf Bundesebene wird derzeit über die Ein­führung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit (NWG) diskutiert. Welche Erwartungen habt ihr in Bezug auf eine NWG?

Wir würden die Einführung einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit sehr begrüßen, allein schon deshalb, weil damit ein Zeichen für die Wichtig­keit der Schaffung dauerhaft leistbaren Wohnraums gesetzt wird. Für uns als Stiftung ist der Status der Gemeinnützigkeit sehr wichtig, einerseits ist die Ge­meinnützigkeit ein Instrument der externen Kontrolle unserer Geschäftstätigkeit, indem beispielsweise die Verwendung unserer Mittel kontrolliert wird, andererseits ermöglicht sie uns, Schenkungen ent­gegen zu nehmen, ohne dass Schenkungssteuer an­fällt. Inwiefern eine Neue Wohnungsgemeinnützig­keit auch direkt der Stiftung zugutekäme, wäre noch zu klären, da wir ja „lediglich“ den Boden halten und nicht als Wohnungsunternehmen auftreten. Abzu­warten bleibt natürlich auch, wie viele Unternehmen sich tatsächlich an der NWG interessiert zeigen.

Wie kann man Euch sonst unterstützen?

Als neugegründete Organisation freuen wir uns über jede Form der finanziellen Unterstützung zur Förderung unserer gemeinnützigen Arbeit und des Bodenerwerbs. Den größten Gestaltungsspiel­raum geben uns Schenkungen von Grundstücken, auch von bebauten Grundstücken. Wir suchen zu­dem bestehende Berliner Hausprojekte, die über eine Bodenschenkung und den Erbbaurechtsvertrag ihre eigenen Ziele dauerhaft sichern möchten und Eigentümer*innen, die ihre in Berlin und Umgebung liegende Immobilie dauerhaft in guten Händen wissen möchten.

Dr. Sabine Horlitz ist Architektin und Stadtforscherin, sowie im Vorstand der Stadtbodenstiftung Berlin.

zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 27(2023), Hamburg