*** von Birgit Wolter ***
Innerstädtische Quartiere sind insbesondere in Metropolen einem hohen Veränderungsdruck ausgesetzt. Zugleich sind sie die Heimat ihrer Bewohner*innen, die nicht selten seit Jahren dort wohnen. Die altersgerechte Entwicklung der Quartiere und der Schutz bestehender Nachbarschaften sind zentrale Aufgaben für die Stadtentwicklung im urbanen Kontext.
Wohnen und Leben im Alter
Das Altwerden im vertrauten Wohnumfeld ist für die meisten älteren Menschen ein wesentlicher Wunsch. Die emotionale Bindung an die Wohnung, die biografische Erinnerungen birgt, gewachsene soziale Beziehungen in der Nachbarschaft und die Kraft von Alltagsroutinen bilden den Kern einer starken Verwurzelung vieler älterer Menschen in
ihrer Wohnumwelt. Häufig leben sie schon lange in ihrer Wohnung und sind im Quartier gut verankert.
Mit zunehmendem Alter und abnehmender Mobilität werden die Aktionsradien aber häufig enger und die Alltagsbewältigung muss an die räumliche Umwelt angepasst werden. Barrieren in der Wohnung und im Wohnumfeld können nun ärgerliche Hindernisse darstellen oder aber auch die Gesundheit gefährden, etwa wenn sie zu Stürzen führen.
Trotzdem finden Umzüge im Alter nur relativ selten und oft aus einer Notsituation heraus statt, oft auf Grund von Pflegebedürftigkeit. Neben der starken Bindung, die viele ältere Menschen an ihre Wohnung und ihr Quartier haben, schränken der große Mangel an barrierearmen, altersgerechten Wohnungen, die Furcht vor dem Aufwand bei einem
Umzug und nicht zuletzt die oft deutlich höheren Mieten nach einem Wohnungswechsel die Wohnmobilität älterer Menschen ein. Eine Mietkostenüberlastung stellt einen wichtigen Risikofaktor für
Altersarmut dar, insbesondere nach einer Verwitwung.
Auch mit Pflegebedarf wohnen die meisten Menschen daher in „normalen“ Wohnungen: deutschlandweit lebten 2021 nur ca. 16% der Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen. Die überwiegende
Mehrzahl wohnt trotz Pflegebedarfs im eigenen Haushalt, unterstützt von ambulanten Pflegediensten und Angehörigen. Damit ist die
Altersgerechtigkeit des Wohnraums und des Quartiers
nicht nur für ältere Menschen relevant, sondern auch für die Personen, die bei Pflegebedarf unterstützen. Je länger der Alltag aus eigener Kraft
bewältigt werden kann, desto entlastender ist dies für ältere Menschen und ihr soziales Umfeld.
Urbane Quartiere für ältere Menschen
Altersgerechte Quartiere zeichnen sich durch barrierearme Wohnungen, eine kleinteilige, dichte Angebotsstruktur, die auch die Bedarfe älterer Menschen adressiert, sichere öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität und vielfältige, gut nutzbare Mobilitäts- und Unterstützungsangebote aus.
Urbane Quartiere erfüllen diese Anforderungen oft nur begrenzt. Zwar sind sie meist – im Gegensatz zu suburbanen oder ländlichen Quartieren – von guter, vielfältiger Infrastruktur geprägt. Gerade in Altstadtquartieren sind Wohnungen und Wohngebäude aber häufig nicht barrierearm, Straßen mit Kopfsteinpflaster gepflastert und Bordsteine nicht abgesenkt. Öffentliche Toiletten und Sitzgelegenheiten im Straßenraum sind oft Mangelware. Eine starke Versiegelung und zu wenige Grünflächen können zu einer Überhitzung im Sommer führen, worunter vor allem ältere Menschen stark leiden.
Quartiere, deren öffentliche Räume vernachlässigt und die besonders stark von Umweltbelastungen betroffen sind, sind häufig zugleich jene Gebiete,
in denen vermehrt Menschen mit geringem Einkommen leben. Vor allem ältere Menschen mit niedriger Rente sind den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken oft schutzlos ausgeliefert. Eine Verbesserung der Wohnbedingungen, zum Beispiel durch die Anlage und Pflege von
Grünanlagen, den Abbau von Barrieren im öffentlichen Raum und die Gestaltung von Begegnungsorten, erleichtert das Leben im Alter und erhöht die Attraktivität eines Viertels. Eine solche (an sich positive) Entwicklung führt aber nicht selten zugleich zu einem Anstieg der Mieten und einer Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Bei geringer Rente oder nach einer Verwitwung können bereits relativ moderate Mieterhöhungen oder steigende Energiekosten eine Überlastung der älteren Mieter*innen darstellen, ganz zu schweigen von Mieterhöhungen, die alle Möglichkeiten des Mietspiegels auszuschöpfen versuchen.
Eine Aufwertung von Innenstadtlagen, verbunden mit dem Zuzug einkommensstarker Haushalte, kann zudem eine Veränderung der Infra- und Angebotsstruktur nach sich ziehen. Angestammte Läden für Waren des täglichen Bedarfs, günstige Gaststätten oder soziale Begegnungsstätten können hohe Gewerbemieten nicht zahlen und müssen nicht selten zugunsten von Geschäften mit einem hochpreisigen Angebot oder Ladenketten aufgeben. Die eigenständige Versorgung und die soziale Teilhabe älterer Menschen kann angesichts solcher Entwicklungen nachhaltig gefährdet sein.
Herausforderungen für Stadtentwicklung und Wohnungsbau
Angesichts der demografischen Entwicklung ist es dringend erforderlich, dass sich der Wohn- und Städtebau auf die neuen Herausforderungen einstellt. Einer Prognose des Statistischen Bundesamtes von 2021 zufolge, wird die Altersgruppe der 70- bis unter 80-Jährigen in Hamburg bis 2040 um 46% wachsen und jene der 80-Jährigen und Älteren um 6,7%. Zugleich ist absehbar, dass weniger Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und Gesundheits- oder Mobilitätsdienstleistungen vermutlich nicht mehr im gewohnten Umfang angeboten werden können. Insofern stellt der barrierearme und altersgerechte Um- und Neubau von Wohnungen und Quartieren, der das eigenständige Leben auch mit gesundheitlichen Einschränkungen ermöglichen soll, eine Kernaufgabe der nächsten Jahre dar. Auch die Anpassung von Quartieren an die Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere an Hitzeperioden, durch Grünräume, Wasserflächen, Verschattungen und Ruhebereiche im öffentlichen Raum ist ein Thema, dem sich Städte heute stellen müssen.
Hierbei sollten gewachsene nachbarschaftliche Strukturen, die eine wichtige soziale Ressource für alte Menschen sein können, geschützt und die Verdrängung einkommensarmer Haushalte sowie (hoch-)alter Mieterinnen verhindert werden. Die Stärkung solidarischer Nachbarschaften durch Begegnungsorte und -anlässe, die Beteiligung von Bewohnerinnen (auch hochbetagter, pflegebedürftiger, nicht Deutsch sprechender Personen) an der Quartiersentwicklung und bei Bedarf eine Quartierssozialarbeit bilden Eckpfeiler inklusiver, lebendiger Wohnumwelten. Vor allem sozial orientierte Genossenschaften oder kommunale ohnungsbaugesellschaften sind geeignete Partner, innerstädtische Quartiere und integrative Wohnprojekte zu entwickeln. Innerhalb von Genossenschaften oder Wohnprojekten könnte ein Wohnungstausch zwischen älteren Menschen in großen und jungen Familien in kleinen Wohnungen gesteuert werden, um Wohnraum effektiv zu nutzen. Eine Kooperation mit sozialen Trägern, die Bildungs-, Begegnungs- oder Pflegeeinrichtungen als zentrale Orte im Quartier einbezieht, kann interessante Synergieeffekte erzeugen. Hierbei wäre eine stärkere Öffnung von Bildungs- und Pflegeeinrichtungen in die Quartiere wünschenswert.
Entwurf, Um- und Neubau von barrierearmen und bezahlbaren Wohnungen, Wohnprojekte sowie klimaresiliente, altersgerechte Quartieren stellen eine anspruchsvolle, aber lösbare Aufgabe an Architektinnen, Städtebauerinnen, Kommunalverwaltungen und Wohnungswirtschaft dar. Eine Privatisierung von Immobiliengewinnen bei gleichzeitiger Vergesellschaftung der Folgekosten einer verfehlten Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik sollten dagegen vermieden werden.