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Beitrag der Redaktion Klimaschutz/Mobilität Stadtsanierung/Stadterneuerung

Aufwendige energetische Sanierung ermöglicht langfristigen Erhalt von Wohnraum in denkmalgeschützten Gebäuden

*** Irina Panaitescu ***

Attraktives Quartier: Reichardtblock
Die vier Baublöcke des Reichardtblocks entstanden 1929 bis 1931 als erste Wohnhäuser der 1892 gegründete Altonaer Spar- und Bauverein eG (Altoba) im Stil der neuen Sachlichkeit – mit schnörkellosen klaren Fassaden, kubischen Formen und ohne Satteldach. Die Wohnanlage mit rund 400 Wohnungen ist dank zeitgemäßer Grundrisse mit komfortablen Wohnküchen und der großzügigen, grünen Höfe im Inneren der Blockrandbebauung ausgesprochen attraktiv und wer in diesem Quartier wohnt, möchte dieses ungern wieder verlassen.

Herausforderung energetische Sanierung
Die energetische Sanierung denkmalgeschützter bewohnter Wohngebäude ist grundsätzlich eine Herausforderung. Beim Reichardtblock kamen noch einige unerwartete Heraus-forderungen dazu: zum Beispiel wurde bei den Vorunter-suchungen für die anstehende Fassadensanierung deutlich, dass nicht nur die Schäden gravierender waren, als es der optische Eindruck vermuten ließ. Auch gaben die 20.000 m² Backstein-fassaden nur auf den ersten Blick ein einheitliches Bild. Die Bestandsaufnahme ergab erhebliche Schäden in den zweischaligen Fassaden: Die mineralischen Bindemittel des Mauermörtels in der Verblendschale waren weitgehend ausgewaschen. Bei Probe-öffnungen trat der Sand wasserfallartig aus. Die Mauerschalen waren nicht mehr ausreichend verankert – die Standsicherheit war nicht mehr dauerhaft gewährleistet.

Umfassendes Maßnahmenkonzept aufgestellt
Um den langfristigen Erhalt der Bausubstanz und den Verbleib der Bewohnerinnen in ihrem Quartier zu ermöglichen, entwickelte der Altonaer Sparund Bauverein ein Sanierungskonzept, das die baulichen Notwendigkeiten aber auch die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und der Genossenschaft berücksichtigt.
Oberstes Ziel war der dauerhafte Verbleib aller Bewohner*innen in ihren Wohnungen und eine bezahlbare Miete bzw. Nutzungsgebühr. Bauliche Ziele waren eine Verbesserung des Wohnkomforts durch neue Bäder, erneuerte Zu- und Abwasserleitungen sowie aufgearbeitete Treppenhäuser, Hauseingangs-und Wohnungstüren. Eine zukunftssichere Energie-versorgung wurde durch den Anschluss der Wohnanlage an das Fernwärmenetz erreicht und Heizkosten durch neue denkmalgerechte Holzfenster inklusive Fensterfalzlüftung, der Dämmung von Kellerdecken und Dach sowie der Sanierung der Backsteinfassaden eingespart.
Um die Sanierung von rund 400 Wohnungen zu stemmen, wurde das Vorhaben in acht Bauabschnitte aufteilt. Die Belastung durch eine ständige Baustelle irgendwo in der Wohnanlage ist all-gegenwärtig.
Während der Strangsanierung in ihren Wohnungen konnten die Bewohner-innen allerdings für jeweils mehrere Wochen – in der Regel in eine durch die Altoba zur Verfügung gestellte Ausweichwohnung – umziehen. Für die Altoba ist es eine große Herausforderung, die notwendigen Übergangs-Wohnungen zu ermöglichen. Zudem sind jährlich bauabschnittsweise viele Wohnungen frei zu räumen. Alternativ bietet die Altoba den Bewohner-innen an, eine bereits modernisierte Wohnung zu beziehen, sofern das Mitglied die Modernisierungsarbeiten und damit einhergehend zwei Umzüge (einmal in die Ausweich-wohnung und dann auch wieder zurück) nicht wahrnehmen möchte. Insbesondere ältere Mitglieder nehmen das Angebot an und beziehen in diesem Zuge eine kleinere Erdgeschosswohnung (meist mit Reduzierung von drei auf zwei Zimmer).

Einblick in die Abläufe und Herausforderungen
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Energieberaterin bei STATTBAU HAMBURG habe ich das Projekt über viele Jahre begleitet.
Der Zyklus eines neuen Bauabschnitts beginnt im Januar und jährlich werden im Prinzip die gleichen Arbeiten ausgeführt. Es ist für mich wie in dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“, wenn ich jedes Jahr den gleichen Menschen bei den gleichen Arbeiten begegne und das, wie im Film, über acht Jahre. Zu den Maßnahmen gehören: Trockenlegung der Keller, Erneuerung der Fenster, Dämmung der Dachböden und Kellerdecken, Herstellen einer zentralen Wärmeversorgung (Fernwärme), Ausbau der Gas-Kombi-Therme, Montage der Frischwasserstation zur Warm-wasserversorgung, Erneuerung der Zu- und Abwasserleitungen, Erneuerung der Bäder und Ausbau von Dachgeschossen zu Wohnraum.
Und dass die denkmalgeschützten Fassaden doch in dieser Form erhalten bleiben konnten, ist der Weiterentwicklung auf dem Markt der Dämm-stoffe zu verdanken: Ein rettender Schaum, der unsichtbar im Verborgen zwischen den Mauerwerkschalen haftet und notwendige energetische Einsparungen ermöglicht, war die Lösung. Nur selten hat ein Dämmstoff, in diesem Fall organischer Polyurethan-PUR, so eine bedeutende Rolle in der Standsicherheit der Fassade gespielt.
Durch die Wiederholungen der jährlichen Bauabschnitte sind die Arbeiten und Abläufe überwiegend Routine. Mittlerweile kenne ich die Polier*innen und viele, der auf dem Bau arbeitenden Menschen, mit Vornamen. An schönen Tagen bleiben wir kurz im Gespräch über alle möglichen Themen.
Es herrscht eine selten familiäre Atmosphäre auf der Baustelle.
Wenn sich ein Bauabschnitt dem Ende nähert, organisiert die Altoba eine Weihnachtsfeier am Standort. Alle Baubeteiligten sind eingeladen, um den Abschluss eines weiteren Bauabschnitts mit dem Bauherrn zu feiern. Die Atmosphäre ist entspannt, es gibt Würstchen, auch vegan, Glühwein und Softdrinks. Das Feiern geht langsam zu Ende. 2024 wird der letzte Bauabschnitt abgeschlossen.