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Versorgungssicherheit im Quartier – ein Gewinn für ältere Menschen

*** Gudrun Kaiser ***

Wenn die ambulante Versorgung älterer und pflegebedürftiger Menschen durch Ange-hörige und Professionelle gestärkt werden soll, dann muss sie dorthin kommen, wo die Menschen leben: möglichst direkt in ihre Wohnungen und Häuser oder eingestreut in ihre Wohnquartiere, beispielsweise als ergänzende Tagespflegeeinrichtungen, ambulant betreute Wohngemein-
schaften oder gemeinschaftliche Dritte Orte.
Das entspricht nicht nur dem Wunsch vieler Menschen, sondern ist auch erklärtes, pflegepolitisches Ziel der sozialen Pflegever-
sicherung (§ 3 SGB XI).

Das Wohnumfeld, mit dem sich Menschen identifizieren,
in dem sie sich zuhause fühlen und an dessen gesellschaftlichem Leben sie teilhaben und teilnehmen, kann ein ganzes Stadtviertel sein, ein Straßenzug oder ein Dorf, ein gewachsenes oder neu entstandenes Wohngebiet. Entscheidend für die Menschen ist weniger die eindeutige räumliche Definition als vielmehr der Radius der gefühlten Zugehörigkeit.
Besonders für ältere Menschen ist die Bindung an ihr Wohnumfeld oft über lange Jahre gewachsen. Sie möchten dort meist auch dann noch wohnen bleiben, wenn bauliche Barrieren die Mobilität in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus mit zunehmendem Alter zunehmend einschränken.
Umfragen bestätigen seit Jahrzehnten den überwiegenden Wunsch, selbst bei Pflegebedarf möglichst im vertrauten Umfeld wohnen zu bleiben.
Ein Wohnungswechsel ist aber durchaus noch eine Option, wenn er tatsächlich innerhalb des vertrauten Radius stattfin-den könnte und Verbesserungen wie beispielsweise Barrierefreiheit, weniger Wohnfläche oder eine niedrigere Miete mit sich brächte
– solche Angebote sind jedoch selten. Derzeit wird von einem Fehlbedarf von etwa 2,5 Millionen barrierefreier Wohnungen ausgegangen.

Quartiersqualitäten
Idealtypisch bietet ein Wohnumfeld aus stadt- und sozial-
planerischer Perspektive nicht nur öffentlich geförderten und frei finanzierten barrierefreien Wohnraum für alle Generationen,
sondern auch neue, alternative Wohnformen, öffentliche Treffpunkte, eine gute Nahversorgung und Verkehrsanbindung, und bestenfalls auch eine gute sowohl niedrigschwellige als auch professionelle Versorgungsinfrastruktur, also Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Jung und Alt. In einem solchen Kontext können ältere und pflegebedürftige Menschen auf gezielte und bedarfsentsprechende professionelle Hilfe, und ebenso auf ehrenamtliche und nachbarschaftliche Kontakte zurückgreifen, die angesichts zunehmender pflegerischer Kosten und Personalnot eine immer bedeutendere Rolle einnehmen.
Erst wenn mehrere dieser Wohnumfeld-Qualitäten bei der Entstehung neuer oder der Ertüchtigung bestehender Wohngebiete gegeben oder geplant sind, sprechen wir heute von „Quartieren“, als lebendige Orte des inklusiven, gemeinschaftlichen Zusammenlebens der Generationen in
urbanen oder ländlichen Räumen.
Solche Quartiersprojekte ermöglichen auch älteren und pflegebedürftigen Menschen einen langen Verbleib in den gewohnten vier Wänden oder in neuen Wohn-und Versorgungsangeboten in deren unmittelbarer Nähe.
Das inzwischen etwas überstrapazierte Label Quartier wird jedoch oft vorschnell verliehen. Nicht jede größere neue Wohnanlage erfüllt die Kriterien der oben beschriebenen Qualitäten. Vor allem die Entwicklungen neu zu erschließender Standorte in Lagen ohne jeglichen städtebaulichen Kontext stehen zunächst naturgemäß nicht für den Verbleib älterer Menschen im gewohnten sozialen Umfeld, sondern eher für einen Aufbruch ins Neue – für ein Wohnumfeld, in dem Verbundenheit erst mit der Zeit wachsen muss. Andererseits bietet gerade die Bereitstellung von Bauland für neue Quartiere den Platz für dringend benötigten zusätzlichen barrierefreien Wohnraum. Sie können daher besonders den „jüngeren Alten“ gefragte Alternativen zum zu groß gewordenen Einfamilienhaus und den rechtzeitigen Start in eine neue Quartiersgemeinschaft gemeinsam mit Gleichgesinnten bieten. Solche Neubau-Quartiere benötigen eine besonders sorgfältige städtebauliche Planung und Vernetzung ihrer Wohn- und Versorgungsangebote nach innen und nach außen. Dabei ist ein unterstützendes kommunales, wohnungs- oder privat-wirtschaftliches Quartiersmanagement für den Aufbau aktiver Nachbarschaften, niedrigschwelliger Angebote und Begleitung des gemeinsamen Lebens und Alterns der Quartiersbewohner-
schaft hilfreich.
Auch reine Projekte der Altenhilfe, die unterschiedliche ambulante und stationäre Wohn- und Betreuungsformen an einem gemeinsamen Standort bündeln, werden gern als Quartiere bezeichnet. Einerseits bieten sie der altershomogenen Bewohnerschaft zwar tatsächlich attraktive, fließend
ineinander übergehende Betreuungsformen in Pantoffelnähe. Eine sehr hohe Konzentration alter Menschen und pflegerischer Angebote auf derselben Liegenschaft birgt jedoch andererseits ein Risiko, dass sich aus einem guten hybriden Projektansatz große Komplexeinrichtungen mit altershomogener Bewohnerschaft in Randlagen entwickeln, die sich mit zunehmender Größe und Kapazität eher vom Zielgedanken inklusiver und generationengemischter Quartiersentwicklungen entfernen.

Neue Quartiers – Kooperationen
Die zunehmende Anzahl älterer Mieterinnen und Mieter und deren Bedürfnis nach Versorgungssicherheit im Quartier hat in den letzten Jahren im Quartierskontext bemerkenswerte Kooperationen zwischen Wohnungswirtschaft und Pflegebranche unter Bündelung ihrer Kern-kompetenzen Bauen und Pflegen hervorgebracht. Vor dem Hintergrund branchenübergreifender gemeinsamer Interessen, und um der Mieterschaft Alternativen zum Auszug bei Pflegebedarf anzubieten, werden in diesen Kooperationsprojekten ambulant betreute Wohngemeinschaften, kleine Tagespflegeeinrichtungen und selbst überschaubare vollstationäre Pflegeheime zunehmend als Quartiersbausteine
baulich unmittelbar in den barrierefreien Geschosswohnungsbau in neue oder bereits bestehende Wohnquartiere integriert.
Die professionellen Pflegekräfte, die in diesen „Add-ons“ des Wohnungs-baus tätig sind, bieten der gesamten Quartiersbewohnerschaft mit ihrer professionellen Präsenz vor Ort eine niedrigschwellige Anlaufstelle bei Hilfebedarf, ohne dass für diese Präsenz die Zahlung der im Betreuten Wohnen stets obligatorischen Grundpauschale anfällt. Im Sinne des „Bielefelder Modells“ wird den Pflegediensten im Gegenzug seitens der Wohnungsgesellschaften, Kommunen bzw. Sozialämter oft Mitsprache bei der Belegung der öffentlich geförderten Wohnungen durch Menschen mit Pflegebedarf eingeräumt. Die Unternehmen sichern sich dadurch einen wirtschaftlichen Standort im Umfeld pflegebedürftiger Menschen, aus dem heraus sich weitere Kundschaft für häusliche Pflegedienstleistungen gene-rieren lässt. Die Wohnungswirtschaft bietet mit solchen Kooperationen ihren langjährigen älteren Mieterinnen und Mietern die gewünschte Versorgungssicherheit und bezahlbare Alternativen zum Umzug in Pflegeeinrichtungen oder Service-
wohnanlagen. Sie gewinnt darüber hinaus mit den Betreibenden von Wohngemeinschaften und Tagespflegen willkommene Ankermieter für die oft schwierig zu vermietenden Erdgeschoss-
lagen ihrer Wohnimmobilien.
Über die reine Schaffung von Wohn- und Betreuungsangeboten in ihren Immobilien hinaus, erweitern vor allem kommunale und
genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften im Rahmen der Daseins-vorsorge ihr Portfolio zunehmend um ein eigenes Sozialmanagement. Dort ist qualifiziertes Personal für
Quartiersmanagement, für Moderation und Unterstützung der Mieterschaft, für die Durchführung von Treffen und Beteiligungsverfahren und für die Kontakte zu den Sozialämtern und den Kooperationspartnern zuständig.
Die Kooperationen der Wohnungsgesellschaften umfassen neben der Pflege und Betreuung älterer Menschen auch oft
Angebote der Kindertagesbetreuung. Sie sichern damit langfristig generationenübergreifendes Interesse und einen heterogenen Belegungsmix der Wohnungen am Quartiersstandort und stellen für alle Beteiligten – für die Wohnungs-gesellschaften, die Kooperationspartner sowie für junge und alte Mieterinnen und Mieter – einen Gewinn dar.