*** von Marc Meyer ***
Die Versorgung mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum wird für immer mehr Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen zum Problem. Damit wackelt ein zentraler Pfeiler der sozialen Existenzsicherung. Eine neue Wohngemeinnützigkeit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Aufbau eines nicht-profitorientierten Segments auf dem Wohnungsmarkt.
Soziales Grundrecht unter Profitdruck
Steigende Bestands- und Neuvermietungsmieten sowie das Fehlen preisgünstiger Wohnungen belasten immer mehr Menschen. Luxusmodernisierungen, Umwandlungsdruck und das Auslaufen der Sozialbindungen geförderter Wohnungen verschlimmern die Situation stetig. Selbst Wohnungsvermieter*innen mit noch überwiegend moderaten Mieten können den Bedarf nicht mehr annähernd decken. Baugenossenschaften haben ihre Wartelisten geschlossen, bei der SAGA sollen 70 000 Menschen in der Warteschleife stehen, insgesamt über 45 000 Personen sind in Hamburg mangels Wohnung derzeit öffentlich untergebracht, über 13 000 vordringlich Wohnungssuchende blieben im letzten Jahr unversorgt.
Warum ist das so? Insbesondere städtische Immobilienmärkte sind zum Tummelplatz profitorientierter Investor*innen jeder Couleur geworden. Wohnungen als Teil der Daseinsvorsorge sind nach inzwischen drei Jahrzehnten neoliberaler Politik auf dem freien Wohnungsmarkt ein spekulatives Handelsgut geworden. Die Anzahl preiswerter Wohnungen sinkt beständig und die Einkommensentwicklung breiter Bevölkerungsschichten kommt nicht im Ansatz hinter den Mietenpreisexplosionen hinterher. Ca. 40 % aller Hamburger*innen haben aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse einen Anspruch auf eine nach dem 1. Förderweg geförderte Wohnung, aber nur ca. 7 % der Hamburger Wohnungen sind (noch) öffentlich gefördert. Während es in den 1970er Jahren in Hamburg noch knapp 400 000 geförderte Wohnungen gab, waren es in 2011 gerade noch 98 772 (im 1. Förderweg). Im Jahre 2022 existierten dann – trotz der Wohnungsbauoffensive des Senats seit 2011 – nur noch 73 070 dieser Wohnungen. Selbst die Stadt Hamburg, die im Vergleich mit anderen Bundesländern zuletzt die meisten preiswerten Wohnungen gefördert hat, kann letztlich nicht gegen den stetigen Wegfall der Sozialbindungen anbauen. Das aktuelle Konzept des sozialen Wohnungsbaus mit der Förderung nur zeitlich begrenzter Belegungs- und Preisbindungen ist nicht in der Lage, die Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen zu gewährleisten.
Das Ziel muss sein: Einmal gefördert, für immer günstig
Die Einigung der Hamburger Volksinitiative Keine Profite mit Boden & Miete, wonach ab Oktober 2024 jeweils in Fünfjahreszeiträumen pro Jahr mindestens 1 000 Wohnungen mit 100-jähriger Mietpreisbindung im 1. Förderweg errichtet werden, davon 200 Wohnungen mit WA-Bindung (Drucksache 22/9845 v. 2.11.2022), ist ein großer Erfolg der mietenpolitischen Bewegung. Diese mit dem Senat vereinbarten Zielzahlen reichen jedoch nicht aus – denn benötigt werden mindestens 100 000 weitere preiswerte Wohnungen.
Damit sich Menschen mit niedrigem Einkommen künftig noch angemessen mit Wohnraum versorgen können, ist die Schaffung eines neuen gemeinnützigen, leistungsfähigen und nicht profitorientierten Wohnungssektors unumgänglich. Dazu gibt es seit vielen Jahren Gutachten und Vorschläge, insbesondere im Auftrag von Bündnis90/ Die Grünen (Jan Kuhnert), Die Linke (Andrej Holm) und von Mietervereinen.
Die Schaffung eines neuen, nicht profitorientierten Wohnungssektors wird ohne finanzielle Förderung nicht möglich sein. Im Rahmen der Neuen Wohngemeinnützigkeit wird es neben umfangreichen steuerlichen Erleichterungen (u. a. Gewerbe-, Körperschafts- und Erbschafts-sowie Grund- und Grunderwerbssteuerbefreiung), Zuschüssen und Fördergeldern auch öffentliche Kapitalbeteiligungen geben müssen, um die Eigenkapitalbasis gemeinwohlorientierter Unternehmen für die Erfüllung sozialer Aufgaben zu stärken. Gemeinnützige Träger müssen darüber hinaus bevorzugten Zugang zu attraktiven Grundstücken mit besonderen Erbbaurechten erhalten.
Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen müssen sich im Gegenzug zur Förderung einer Gewinnbeschränkung sowie einer Bau- und Investitionsverpflichtung zum Ausbau und der Sicherung des Bestandes an preiswerten Wohnungen verpflichten. Sie sollen sich auf die Versorgung bedürftiger Bevölkerungsgruppen konzentrieren, Mieter*innen-Mitbestimmung gewährleisten und Transparenzanforderungen sowie staatlichen Überprüfungen unterliegen.
Eine solche „Neue Wohngemeinnützigkeit“ (NWG) zielt auf die Unterstützung bestehender Träger der sozialen Wohnraumversorgung und soll zudem die Entstehung neuer gemeinnütziger Träger fördern. Vorrangiges Ziel ist die Schaffung zahlreicher neuer, nach ökologischen Kriterien und qualitativ hochwertig gebauter, auf Dauer sozial gebundener Mietwohnungen. Die Regelungen der NWG sollten sich aber auch an bestehende Wohnungsunternehmen adressieren und diesen ermöglichen, einen Teil ihres Wohnungsbestandes in eine gemeinnützige Bindung zu überführen. Auch diesen Wohnungen im Bestand sollte eine Umstellung auf soziale und klimagerechte Bindungen ermöglicht werden. Auf diesem Wege – so die Hoffnung – kann kurzfristiger als durch reine Neubauaktivitäten ein räumlich verteiltes Angebot von dauerhaft belegungs- und mietpreisgebundenen Wohnungsbeständen entstehen.
Die NWG wird darüber hinaus weitere positive Effekte entwickeln: In diesem neuen Wohnungssegment wird der Bestand statt über Modernisierungsmieterhöhungen mittels Förderung modernisiert. So kann Klimaschutz sozialverträglich umgesetzt werden und an Akzeptanz gewinnen. Ein großer Bestand an gemeinnützigen, bezahlbaren Wohnungen kann bewirken, dass Transferleistungen bei den Kosten der Unterkunft an gemeinwohlorientierte und nicht an profitorientierte Wohnungsunternehmen gezahlt werden. Ziel der NWG ist zudem, eine Wohnraumversorgung ohne Diskriminierung jedweder Art sicherzustellen.
Wie auch immer eine künftige NWG im Detail aussehen wird, es gibt keine Alternative zu der Schaffung eines solchen neuen, nicht profitorientierten Segmentes auf dem Wohnungsmarkt, mittels dem – möglichst – kurzfristig eine große Anzahl dauerhaft gebundener, preiswerter Wohnungen zur Verfügung gestellt werden kann.
Politische Untätigkeit und Blockadehaltungen bei den dringend anstehenden gesetzlichen Regelungen sind Ausdruck einer unerträglichen Klientelpolitik und sozial unverantwortlich. Offenbar bedarf es einer noch stärkeren Mieter*innenbewegung, um die notwendigen Veränderungen für eine Neue Wohngemeinnützigkeit durchzusetzen.
Marc Meyer ist Rechtsanwalt bei Mieter helfen Mietern (Hamburger Mieterverein e. V.) und einer der Initiatoren der Volksinitiative Keine Profite mit Boden und Miete
zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 27(2023), Hamburg