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Artikel Rechtsform/Genossenschaft

„Wir sind Genossenschaft!“

Die Genossenschaft als Dach für neue Wohnformen

*** von Britta Becher ***

Viele Menschen sind der Meinung, wir seien Papst, Weltmeister oder sogar Pokal! Dem mag man zustimmen oder nicht. Eines lässt sich jedoch mit Bestimmtheit sagen: „Wir sind Genossenschaft“. In Hamburg gibt es eine Vielzahl von Wohnprojekten im Alt- und Neubau, davon sind ca. 32 Neubauprojekte als genossenschaftliche Wohnprojekte organisiert. Seit 1985 sind so 22 neue Genossenschaften entstanden, davon drei, die als Dachgenossenschaft gegründet wurden, d. h. sich als Träger für weitere Projekte anbieten. Davon können andere Städte nur träumen. Und viele Menschen träumen auch davon, für sich ein Projekt mit Freunden umzusetzen, in denen sie das Wohnen gut nachbarschaftlich und gemeinschaftlich organisieren können.

Anlässlich des aktuellen ExWoSt- Forschungsfeldes (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau – Forschungsprogramm des Bundesbauministeriums) zum Thema „Modelle genossenschaftlichen Wohnens“ setzen wir mit dieser Ausgabe den Schwerpunkt auf genossenschaftliche Projekte. STATTBAU HAMBURG hat in den letzten Monaten ein Forschungsprojekt mit dem Schwerpunkt „Neue Wohnformen in (Dach)-Genossenschaften“ bearbeitet. Damit will das Bundesbauministerium Erfahrungen auswerten und Impulse aufnehmen, um die Rolle von Genossenschaften bei der Wohnungsversorgung zu stärken und sozusagen als „dritten Weg“ zwischen Eigentum und Miete stärker zu fördern. Genossenschaften sind nicht nur wichtige Akteure der Wohnungsversorgung, sondern verbinden aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus solidarisches und kooperatives Handeln miteinander.

Die Grundpfeiler der Genossenschaften sind das Identitätsprinzip und die daraus abgeleitete Förderung der Mitglieder sowie die demokratische Mitbestimmung (ein Mitglied = 1 Stimme). Die Aspekte von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Mitbestimmung spielen vor allem bei den jungen Genossenschaften wieder eine große Rolle. Die jungen Hamburger Genossenschaften sind in ihrer Vielfalt eine richtige Fundgrube an Informationen und Erfahrungen. Eine Besonderheit im Vergleich mit anderen Städten ist, dass sie i.d.R. mit Wohnungsbaufördermitteln bauen und das bedeutet, dass sie preiswertes Wohnen, zumal in Mietwohnungen, realisieren.

Direkte Beteiligung der BewohnerInnen: Wir sind Genossenschaft

Die kleinen genossenschaftlichen Projekte, die gemeinhin unter dem Titel „Neues Wohnen“ zusammen gefasst werden, verwirklichen viele Qualitäten in ihren Projekten. Dadurch, dass die zukünftigen Bewohner und Bewohnerinnen direkt an der Planung und allen Entscheidungen in Bau- und Nutzungsphase beteiligt sind, ja, diese sogar aktiv umsetzen, sind sie an allen Aktivitäten der Genossenschaft direkt beteiligt.

Seit vielen Jahren schon werden in den Projekten des nutzerorientierten Bauens die Anforderungen der BewohnerInnen umgesetzt, d. h. die Bedürfnisse nach Nachbarschaft, Kommunikation, Unterstützung im Alltag etc. werden innerhalb der Hausgemeinschaften erfüllt. Die gemeinsamen Aktivitäten werden von allen geschätzt: Kindern, Jugendlichen, Singles, Familien und hier vor allem Alleinerziehenden und zunehmend auch von älteren Menschen.

Gemeinsame Waschküchen, Gartengestaltung oder Car-Sharing-Projekte, die Organisation von Schulkinder-Mittagstischen zur Entlastung von Kindern und Eltern, Tanzabende oder Doppelkopfturniere im Gemeinschaftsraum, Theaterbesuche, – den Aktivitäten sind (fast) keine Grenzen gesetzt.

Auch in Schleswig-Holstein bewegt sich etwas. Seit Beginn der Landeskampagne zur Förderung genossenschaftlichen Wohnens ist es zur Gründung von drei Dachgenossenschaften gekommen. Weitere genossenschaftliche Initiativen, die ihre nachbarschaftlichen Wohnprojekte umsetzen wollen, stehen am Start (näheres im Artikel auf S. 11).

Drei Varianten sich genossenschaftlich zu organisieren

Eine Möglichkeit, sich für ein Wohnprojekt zusammen zu schließen, ist die Gründung einer Nutzergenossenschaft, d. h. eine Gruppe (i.d.R. mit einem Haus) bildet eine Genossenschaft. In dieser Form steckt für die BewohnerInnen das größtmögliche Maß an Autonomie und Selbstverwaltung. Aber auch die Verantwortung ist groß: alle anfallenden Aufgaben und Kosten müssen innerhalb dieser kleinen Genossenschaften bewältigt werden.

Mit dem Beitritt zu einer Dachgenossenschaft, die als Dach für mehrere selbst verwaltete Projekte gegründet wurde und auf Erweiterung durch neue Projekte ausgerichtet ist, können die Aufgaben verringert werden. Da jedoch auch die jungen Dachgenossenschaften nicht auf Vermögen zurückgreifen können, müssen die neu eintretenden Projekte das jeweils notwendige Eigenkapital für die Finanzierung ihrer Häuser mit einbringen. Die internen Projektgeschäfte wie Verwaltung, Neuvermietung und Instandhaltung etc. werden weitgehend den Hausgemeinschaften überlassen und von ihnen durchgeführt. Zunehmend gibt es eine neue Form genossenschaftlicher Projekte, indem eine Projektgruppe eine Kooperation mit einer traditionellen Genossenschaft eingeht. Damit besteht die Möglichkeit, dass auch Haushalte, die das notwendige Eigenkapital für die Gründung einer eigenen Genossenschaft oder ein Projekt in einer Dachgenossenschaft nicht aufbringen können, Zugang zu einem gemeinschaftlichen Projekt bekommen. Die Genossenschaft schließt einen Kooperationsvertrag mit einer Gruppe ab, erwirbt ein Grundstück und beauftragt eine/n ArchitektIn, die/der gemeinsam mit der Hausgemeinschaft die Wohnvorstellungen in den Plan und letztendlich in den Bau umsetzt. Die Mitglieder der Hausgemeinschaft treten in die Genossenschaft ein und schließen Einzelnutzungsverträge für ihre Wohnungen ab. Im Kooperationsvertrag mit der Genossenschaft werden die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Hausgemeinschaft geregelt, wie z.B. Vorschlagsrechte bei Neuvermietung und die Nutzung der Außenanlagen und Gemeinschaftsräume. Kooperation mit einer Genossenschaft als Partner bedeutet aber auch, Kompromisse zu machen, bei den Mitsprachemöglichkeiten, der Einhaltung von bestimmten Ausstattungsstandards etc.

Die vier Eckpfeiler: Gruppe, Grundstück, Geld, Beratung

Nach den Ergebnissen der Forschungsarbeit sind die wesentlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um genossenschaftliche Projekte gemeinschaftlichen Wohnens umzusetzen, folgende:

  • Es muss eine aktive und handlungsfähige Gruppe geben, die in der Lage ist, die eigenen Wohnwünsche zu formulieren und den Prozess zu initiieren und zu organisieren.
  • Es muss ein Grundstück zur Verfügung stehen, das die Bedingungen der BewohnerInnen erfüllt (Lage, Erreichbarkeit, Lärmbelastung etc.) und das im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten liegt.
  • Die Gruppe muss in der Lage sein, das notwendige Eigengeld im Rahmen der Finanzierung aufzubringen und es muss ein Förderprogramm zum Bau von Mietwohnungen geben.

Ein Aspekt, der wesentlich zur Verbreitung der Wohnprojekte in Hamburg beigetragen hat, ist das Vorhandensein von niedrigschwelligen Beratungseinrichtungen (STATTBAU HAMBURG und Lawaetz- Stiftung), die zum einen den Weg der Projektentwicklung und -umsetzung mit den Gruppen gehen, aber auch die notwendige Lobbyarbeit im Raum von Politik und Verwaltung und notwendige Öffentlichkeitsarbeit für Interessierte durchführen. Darüber hinaus existieren mit den beiden Dachgenossenschaften Schanze eG und Wohnreform eG zwei Träger für genossenschaftliche Projekte. Mit Architekten und Architektinnen, die Erfahrung in der Planung mit Wohnprojektgruppen haben und mit den bereits realisierten Projekten als Vorbild existiert ein Umfeld, das neuen Projektinitiativen Mut macht, den eigenen Wohntraum umzusetzen. Nicht zuletzt, erst die kommunale Unterstützung (Grundstücke, Wohnungsbauförderung, Beratung), ermöglicht die Projekte.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens konnten in mehreren Städten Interessierte und Initiativen durch Veranstaltungen über Projektgründungen, Förderung und Organisationsformen informiert werden.

Projektleben im Alltag

Die Genossenschaft bietet den Projekten eine sympathische Form, die durch die gemeinschaftliche Finanzierung auch denjenigen die Möglichkeit attraktiver Wohnformen gibt, die sich kein Eigenheim leisten können oder wollen. Die genossenschaftlichen Gremien, wie Vorstand und Aufsichtsrat, die ehrenamtlich die Geschäfte der Projekte führen, werden vielfach durch Arbeitsgruppen ergänzt, die den Alltag der Projekte bewältigen und in denen viele Aufgaben erledigt werden: Gartengruppe, Instandhaltung, Neuvermietung, Umbau von Wohnungen für sich verändernde Bedürfnisse, Organisation von Kinderplenum,Verwaltung usw.

Alle im Rahmen der Forschung befragten jungen Genossenschaften berichteten, sie kämen gut zurecht, und und einige bereits seit fast 20 Jahren. Viele Projekte lassen sich bei der Verwaltung von der P99-Verwaltungs-GmbH unterstützen.

Allein die Kosten der genossenschaftlichen Pflichtprüfung stellen für die kleinen Projekte eine große finanzielle Belastung dar. Die zum 18.8.2006 in Kraft getretenen Änderungen des Genossenschaftsgesetzes bringen hoffentlich genügend Erleichterung, damit die Genossenschaft als Organisationsform für gemeinschaftliches Wohnen weiter Zukunft hat.

Britta Becher hat in 2005/06 bei STATTBAU das ExWoSt-Forschungsprojekt zu (dach)-genossenschaftlichen Trägerstrukturen für Wohnprojekte bearbeitet.   

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 13(2006), Hamburg