Anders planen, bauen, wohnen
*** von Britta Becher ***
In diesem Jahr feiert STATTBAU HAMBURG ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre, das klingt nach einer Erfolgsgeschichte, denn wer hätte damals gedacht, dass das ganze so lange gut gehen würde. Im Laufe der Jahre veränderte sich so einiges: die Projekte, die Stadtteile, die Bewohnergruppen und nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
STATTBAU HAMBURG wurde 1985 (u.a. von MhM, den Autonomen Jugendwerkstätten und Netzwerk Selbsthilfe) mit dem Ziel gegründet, selbst verwalteten und sog. alternativen Wohnformen zur Umsetzung zu verhelfen. Anstoß für die Gründung bzw. für die Beteiligung an der Gründung von STATTBAU waren die Hausbesetzungen und Proteste von Mieterinitiativen, die Anfang der 80er Jahre die wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Akteure beschäftigten und die lautstark einen anderen Umgang mit den innerstädtischen Altbauquartieren und ihren BewohnerInnen forderten. Die wohnungspolitisch aktive Szene von Architekten, Anwälten und anderen Alternativen um Mieter helfen Mietern herum, gründete 1983 eine Initiativgruppe und 1985 die Gesellschaft für einen Alternativen Sanierungsträger.
STATTBAU trat als Vermittler zwischen Behördenvertretern und Wohnprojektgruppen auf und wurde treuhänderischer Sanierungsträger für einzelne Objekte in der Phase der Sanierung. In den Anfangsjahren musste die Verhandlungsbereitschaft der Stadt oftmals erst noch herbeiargumentiert werden, damit leerstehende und zum Abriss vorgesehene Häuser doch noch erhalten werden konnten und ein Übernahmekonzept für die sich gründenden Selbsthilfegruppen entwickelt werden konnte.
Gemeinsam mit den Häusergruppen wurden Nutzungskonzepte geschrieben, notwendiger Instandsetzungsaufwand ermittelt und Anträge auf Finanzierung gestellt. Die Unterstützung und Organisation der baulichen Selbsthilfe auf den Baustellen der Wohnprojekte und die Finanzierungskonzepte für Baumaßnahmen, die Gründung von tragfähigen Organisationsstrukturen, z.B. Vereine oder Genossenschaften gehörte zu den Aufgaben der Anfangsjahre. Nach Fertigstellung der Bauvorhaben verabschiedete sich STATTBAU aus dem Verfahren und übergab die Gebäude ihren BewohnerInnen zur Selbstverwaltung.
Neue Qualitäten im Planen Bauen Wohnen
So sind in Hamburg sind in den letzten rund 30 Jahren eine Vielzahl von unterschiedlichen Bau- und Hausgemeinschaften entstanden – im Altbau, im Neubau, als Genossenschaft oder als Wohnungseigentümergemeinschaft.
Die neuen Wohnformen bieten Lebensqualitäten, die anderswo nicht so leicht zu finden sind. Ihr Hauptanliegen ist es, in einer verbindlichen Nachbarschaft zu leben, in der man sich versteht und auf die man sich verlassen kann und gemeinsam einen Ort zu gestalten, in dem man z.B. gemeinsam Politik macht, sich engagieren kann und geschätzt wird. Familien, Alleinerziehende, Singles, ältere Menschen – für Viele bieten gemeinschaftliche Wohnformen eine Möglichkeit, ihre Mehrfamilienhäuser mit zu planen und ihre Nachbarschaft zu organisieren, wie z.B. in dem Projekt Wohnen Jung & Alt an der Max-Brauer-Allee, dem generationsübergreifenden Projekt im Passivhaus in der Telemannstraße oder im Autofreien Wohnen an der Saarlandstraße.
Dazu kommt die Beteiligung der zukünftigen NutzerInnen an der Planung der Grundrisse ihrer Wohnungen und der Bauweisen der Häuser, sowie auf lange Sicht absehbare Mietbelastung, Schutz vor Eigenbedarfskündigungen oder Luxusmodernisierungen.
…rückblickend: in einem Vierteljahrhundert hat sich die Welt verändert
Wer sich erinnert: vor gut 25 – 30 Jahren sah die Welt noch anders aus. Kein Euro, keine Wiedervereinigung, keine wachsende Stadt. Stattdessen gab es das Problem des Bevölkerungsrückgangs durch Abwanderung über die Stadtgrenzen hinaus und in die neu entstehenden Wohnsiedlungen an den Rändern der Stadt. Die schlecht bewirtschafteten, zum Abriss oder zur Modernisierung vorgesehenen Häuser in den innenstadtnahen Viertel waren jedoch für bestimmte Bevölkerungsgruppen attraktiv, was dazu führte, dass diejenigen, die auf preiswerte Mieten, kurze Wege und ihre gewachsene Nachbarschaft angewiesen waren, bleiben wollten. Und es gab in den innerstädtischen Quartieren der Hansestadt Hamburg leerstehende Häuser, die Stadterneuerung begann mit der Planung der ersten Sanierungsgebiete. Gleichzeitig war es für Viele schwierig eine Wohnung zu finden, für junge Menschen, MigrantInnen, Wohngemeinschaften und nicht verheiratete Paare war es nahezu unmöglich einen Mietvertrag zu bekommen.
Um den in den 80er Jahren verbreiteten Abrissbestrebungen etwas entgegensetzen zu können, gründetet MhM 1985 STATTBAU. Der 1987 als solcher vom Senat anerkannte alternative Sanierungsträger hilft bei der Gründung von Wohnprojekten. Konzentrierte er sich in den Anfangsjahren darauf, die Sanierung alter Häuser in Eigenarbeit zu unterstützen, stehen mangels zur Verfügung stehender Altbauten heute genossenschaftliche Neubauprojekte im Zentrum der Arbeit. Zusammen mit MhM half STATTBAU Ende der 80er Jahre, den Konflikt um die Hafenstraße zu entschärfen und betreute die Sanierung der Häuser. STATTBAU hat mit anderen Akteuren die Wohnungsbaugenossenschaft Schanze e.G. als Dach gegründet, um Menschen, die sich zu Baugruppen und Mietergenossenschaften zusammentun wollen den Weg zum eigenen Projekt zu erleichtern. Und STATTBAU hat zusammen mit den Bewohnerinitiativen der ex-Neue Heimat Siedlungen Falkenried und Farmsen mit der Gründung neuer Genossenschaften zur Übernahme der Bestände zukunftsfähige Organisationsformen geschaffen.
Zu den Partnern der heutigen Wohnprojekte sind traditionelle Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften hinzugekommen, die mit Gruppen kooperieren, sie an der Planung der Grundrisse beteiligen und ihnen Mitspracherechte bei der Belegung freiwerdender Wohnungen einräumen. In diesen Kooperationen finden in den vergangenen Jahren u.a. einige Wohnprojekte für Jung und Alt ihr Dach, die den langen Weg eines selbst verwalteten Projekts nicht mehr gehen wollen oder können. Dennoch werden kaum Ansätze dieser nachbarschaftlichen oder gemeinschaftsorientierten Impulse in den Bestand überführt.
Neue Akteure, neue Verfahren
Die Arbeit bei STATTBAU hat sich ebenfalls verändert. Die selbst verwalteten Wohnprojekte, in denen die BewohnerInnen eigenhändig den Schwamm in ihren maroden Altbauten sanierten, um ihre Wohngemeinschaftswohnungen zu realisieren gibt es nicht mehr. Stattdessen werden hochkomplexe Gebäude in Passivhausbauweise oder Niedrigenergiehausstandard gebaut. Die BewohnerInnen der Projekte denken nach wie vor nachhaltig. Zum sozialen Miteinander im Projekt gesellt sich immer häufiger auch ein Bewusstsein für Energie einsparende Technik. So werden in einem Neubauvorhaben mit 20 Wohnungen schnell mal 4 Millionen Euro bewegt.
Die Anforderungen an Energie-Effizienz und CO2-Einsparung hat auch die Arbeit in der Architekturabteilung stark verändert. Anstelle der Koordination und Bauleitung für Selbsthilfebaustellen sind die Stattbau-ArchitektInnen nun als Energieberater und Qualitätssicherer für die WK-Klimaschutz- Programme tätig und beraten kleine und mittlere Genossenschaften in Bauzustandsüberprüfungen.
Räume für Gemeinbedarf und integrative Wohnformen
Nicht nur Räume für das Wohnen, sondern zunehmend auch für das soziale und kulturelle Initiativen hat STATTBAU mit auf den Weg gebracht. Hierzu gehören zahlreiche Bauvorhaben für Gemeinbedarfseinrichtungen, Kitas, Mietergemeinschaftsräume, Stadtteilkulturzentren, Jugendmusikzentren etc. Damit kann in den Stadtteilen die notwendige Infrastruktur mit Räumen für Eigeninitiative, für soziale Träger oder Stadtteilkultureinrichtungen und ihre Angebote entstehen. Die Erfahrungen, die STATTBAU bei den Bauvorhaben für Wohnprojekte gesammelt hat, fließen in die Projektentwicklung und Baubetreuung für die Gemeinbedarfsprojekte mit ein.
Ein wichtiges Thema bei der Entwicklung innovativer Wohnformen ist 2006 hinzugekommen: Mit der Hamburger Koordinationsstelle für Wohn-Pflege- Gemeinschaften entwickelt STATTBAU Wohnangebote für Menschen mit Pflegebedarf, z.B. aufgrund von Demenz aber auch von anderen Erkrankungen. Hier entstehen gruppenorientierte Projekte mit Quartiersbezug, die den Alltag der BewohnerInnen in den Mittelpunkt stellen.
Da wo STATTBAU auch konzeptionell arbeitet, z.B. zur Wohnungsversorgung für Obdachlose, für psychisch Kranke, Menschen mit Assistenzbedarf, für Auszubildende, kurz für Menschen, die sich am Wohnungsmarkt nicht selbst angemessen versorgen können und für selbst bestimmte Wohnformen auch für alte Menschen mit Pflegebedarf, wird angestrebt, dass die Konzepte praxistauglich sind.
So steht in Kürze die Gründung einer neuen Genossenschaft an. Gemeinsam mit Trägern der AG Reha hat STATTBAU die Grundlagen und das Modell einer neuen Genossenschaft erarbeitet. Die AG Reha ist ein Trägerzusammenschluss von psychosozialen und rehabilitativen Einrichtungen zur Förderung der sozialen und beruflichen Integration psychisch beeinträchtigter Menschen. Mit der neuen Genossenschaft soll die Wohnungsversorgung vor allem von psychisch Kranken verbessert werden, denn diese Gruppe fällt bei der momentanen Wohnungsmarktlage bei der Wohnungssuche hinten runter.
Mit der Akzentuierung der Arbeitsschwerpunkte hat STATTBAU von Anfang an Aufgaben an der Schnittstelle von Stadtentwicklung und sozialpolitischen Belangen geleistet. Bei der Gründung von Genossenschaften gelten sie als Überzeugungstäter.
Britta Becher war vor langer Zeit in Häusergruppen in St. Pauli aktiv, hat STATTBAU auf diese Weise kennen gelernt und arbeitet seit 1992 dort.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 17(2010), Hamburg