Erfahrung aus 15 Jahren Gofi-Luzie
*** Sonja Schelper ***
Ich schreibe aus der Perspektive einer 69- jährigen lesbischen Frau, die seit 15 Jahren überzeugt und glücklich im Wohnprojekt Gofi-Luzie in Klein Borstel lebt.
Warum überhaupt „Wohnprojekt“?
Für mich und eine andere gute Freundin gab es neben den allgemeinen Vorteilen vor gut 20 Jahren auch einen biographischen Anlass – den frühen Tod unserer jeweiligen Lebensgefährtinnen. Ich hatte keine engere familiäre Bindung, keine Kinder und so war klar, mein Bezugsrahmen wird meine Wahlfamilie sein – für das gute Leben jetzt und auch für später im Alter. Wenn man mich fragt, sage ich: „Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens!“ Simone de Beauvoir hatte mich mit ihrem Buch „Das Alter“ inspiriert. Sie schreibt, dass auf ein sinnvolles Alter nur hoffen kann, wer vorher die Chance zu einem sinnvollen Leben ergreift.
Mit ein paar lesbischen Freundinnen gründeten wir eine Initiative, fanden passende Partner*innen und sicherten vertraglich ab, dass
ein Drittel der Wohneinheiten an von uns ausgewählte lesbische Frauen gehen würden. Nach einigen Jahren der intensiven Planung sind wir 2009 mit 60 Erwachsenen und 20 Kindern in 42 Wohneinheiten eingezogen.
Durch vielfältige gemeinsame Aktivitäten – Feste, Gartentage, Plena, Ausflüge, gemeinsame Essen, Sport etc. hat sich ein solides freundschaftliches Netz entwickelt – zu manchen enger, zu anderen lockerer. So konnte ich der Einsamkeit des Alters als mögliche Herausforderung schon in jüngeren Jahren gelassen begegnen: wenn ich aus dem Urlaub oder anderer Abwesenheit nach Hause komme, treffe ich meist schon auf dem Weg Mitmenschen aus meinem Projekt und werde freudig begrüßt.
Oder des Abends bei Redelust gehe ich ein, zwei Treppen runter und trinke einen Wein bei einer meiner Freundinnen.
Auch zu Coronazeiten waren die Vorteile dieses Zusammenlebens unübersehbar: Wir haben uns ausgeholfen, von den Balkonen gemeinsam gesungen, waren immer in Kontakt, konnten Einkäufe für die Erkrankten machen.
Da sich die große Mehrheit hier im Projekt sehr wohl fühlt, gibt es kaum Wechsel in der Wohnungsbelegung und wir werden eben miteinander alt.
Schicksalsschlägen gemeinsam begegnen
Inzwischen sind allerdings schon drei Frauen aus unserem Projekt verstorben. Die erste war meine direkte Nachbarin und Freundin. Sie war ein wenig seltsam geworden, hatte unerklärliche Ausfälle und hätte allein sicher nichts unternommen. Dank der Initiative einer anderen Freundin und Nachbarin konnte sie zu einem Arztbesuch und einer Behandlung bewegt werden. Genau das wird bei vielen Alleinlebenden ohne Wohnprojekt sicher nicht passieren – es fehlen Außenblicke und ein sich Kümmern. Einkaufen, ein bisschen versorgen und kleine regelmäßige Besuche waren in der Gruppe leicht zu organisieren, ohne dass eine überlastet wurde. Leider ist sie dann doch überraschend schnell verstorben, ohne Familie und auch ohne jegliche Regelungen. Das war eine echte Herausforderung, gemeinschaftlich zu klären, wie die Wohnungsauflösung
und Beerdigung vonstattengehen sollen. Wir haben das kollektiv gut gelöst, ein würdiges Trauern und Abschied nehmen organisieren können.
Das hat unser Zusammengehörigkeitsgefühl weiter gestärkt.
Ausgelöst durch die Schicksalsschläge haben wir entschieden uns besser auf die Zukunft vorzubereiten. Deshalb gibt es jetzt in der Gemeinschaftswohnung ein Kästchen mit Karteikarten, wo alle Mitglieder hinterlegen können, wer einen Schlüssel zu der eigenen Wohnung hat und wer im Ernstfall verständigt werden soll. Die hinterlegten Informationen haben uns schon mehrmals gute Dienste geleistet.
Alltag zusammen leben
Natürlich gibt es für mich auch wichtige Beziehungen und Arbeitszusammenhänge außerhalb des Projektes, aber die sind immer mit Ortswechsel und Verabredungen verbunden. Hier im Wohnprojekt erneuert sich der Kontakt schon auf dem Weg zum Mülleimer, vieles entsteht spontan auf Zuruf oder von Balkon zu Terrasse. Ich bin keine besondere Kochfreundin, aber mit einer kleinen Gruppe zusammen ab und an für alle im Wohnprojekt zu kochen, das macht mir Spaß. Das machen inzwischen mehrere Kleingruppen und so kommen viele dann mittags zu einem leckeren Essen zusammen und müssen nicht immer nur für sich allein kochen.
Ich gehe auch regelmäßig zu meiner Tara-Meditationsgruppe – alles direkt vor Ort, im benachbarten Wohnprojekt der „Autofreien“.
Und ob nun Wahlen anstehen oder Fußball oder Olympia – in der Gemeinschaftswohnung auf großer Leinwand und im Gespräch mit den anderen macht das Verfolgen solcher Ereignisse es mehr Spaß.
Das gegenseitige Kümmern klappt quer durch alle Gruppierungen des Projektes ganz gut und doch macht es für mich einen Unterschied, dass ich keine Bio-Familie mehr habe und im späteren Alter auf jeden Fall meine Freundinnen als Haupt-bezugsgruppe sehe und eben auch mit ihnen zum Queer Filmfestival, auf Demonstrationen oder zum Tanzen gehe.
Daher bin ich auch aktiv bei der Gründung unserer Gruppe „Älter werden unterm Regenbogen“ dabei, die über die Grenzen des Projektes hinaus ins Stadtviertel einen Bezug zu anderen älteren Lesben pflegt.
Aktuell wohne ich wunderbar im zweiten Stock ohne Fahrstuhl mit Dachterrasse, direkt gegenüber wohnt meine Partnerin und Frau, genauso, wie ich es mir immer gewünscht habe. Ich hoffe, dass das noch lange so bleiben kann. Aber wenn nicht, dann denke ich, es wird sich auch eine Möglichkeit finden ins Erdgeschoss zu ziehen. Jedenfalls möchte ich hierbleiben – möglichst bis zum Ende.
Mein Fazit ist: ich bin froh, mich frühzeitig gekümmert zu haben und kann auch anderen nur raten, nicht zu lange zu warten. Die Vorteile einer guten Gemeinschaft sind durch nichts zu ersetzen!