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Bremen: Aktuelles vom Beginenhof

*** von Erika Riemer-Noltenius ***

Seit zwei Jahren leben in den 85 Wohnungen des neu gebauten Bremer Beginenhofes alleinstehende Frauen aller Altersstufen und alleinerziehende Mütter. Die Parterreflächen der dreistöckigen Gebäude sind ausschließlich für Gewerbe vorgesehen, für Geschäfte, Praxen, Büros, Kindergarten, Gesundheitszentrum, Restaurant usw., von denen bislang drei Viertel vermietet sind. Das Projekt befindet sich seit Oktober 2001 im Insolvenzverfahren, weil die vom Wirtschaftssenator in Aussicht gestellten Fördergelder für die Gewerbeflächen nicht ausgezahlt wurden. Wann und wie dieses Insolvenzverfahren beendet werden kann ist noch völlig ungeklärt.

Das Konzept bleibt erhalten

Der Insolvenzverwalter hat sich mit der einzigen Gläubigerin, der Sparkasse, darauf verständigt, das Beginenkonzept zu erhalten. Das bedeutet, dass ausschließlich Frauen Wohnungen kaufen oder mieten können. Anders bei den Gewerbeflächen: Hier war von vornherein geplant, dass auch Männer Nutzer sein können, weil es in Bremen einfach nicht genügend unternehmerisch handelnde Frauen gibt, um die Räume zu füllen. Mit der Verwaltung des gesamten Projektes wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die GEWOBA, die größte bremische Wohnungsbaugesellschaft beauftragt. Sie allein ist zusammen mit dem Insolvenzbeauftragten zuständig für Vermietung und Verkauf der Wohnungen

Erhebliche Baumängel

Noch immer sind Handwerksbetriebe damit beschäftigt, Baumängel zu beseitigen. Insbesondere gibt es Probleme mit dem Regenwasser. Die Rohrkapazitäten waren offensichtlich falsch berechnet, so dass Tiefgarage und Keller schon einige Male überflutet wurden. Es besteht aber die berechtigte Hoffnung, dass diese Schäden in Kürze endgültig behoben sein werden. Erst danach ist an einen Verkauf der Wohnungen zu denken. Das ursprüngliche Konzept sah die Drittelung der Wohnungen in Eigentums-, Miet-, und Sozialwohnungen vor. Doch viele Eigentümerinnen haben angesichts der Baumängel den Kauf rückgängig gemacht und den Kaufpreis zurückgefordert. Die Gläubigerin will diese Frauen jetzt durch erhebliche Preisnachlässe zurückgewinnen.

Das Zusammenleben der Beginen

Das Finanzdebakel hat die Stimmung der Bewohnerinnen erheblich beeinträchtigt, zumal viele von ihnen gravierende Verluste hinnehmen mussten. Trotzdem ist die Fluktuation erstaunlich niedrig. Die meisten leben gerne in diesem wunderschönen Projekt, das für meinen Geschmack der schönste und eleganteste Neubau des Jahres 2001 in Bremen ist. Es gibt regelmäßige Bewohnerinnenversammlungen einmal im Monat, die von einem gewählten Gremium vorbereitet und durchgeführt werden. In den Gemeinschaftsräumen werden Feste gefeiert – Geburtstag hat jede einmal im Jahr – es werden Gesellschaftsspiele veranstaltet und dort die zahlreichen Besucherinnen empfangen und bewirtet, die aus ganz Deutschland nach Bremen kommen. Im Jahr 2002 waren es über 500, die Bremerinnen nicht mitgezählt.

Zukunftsperspektiven

Das Bremer Beginenhof Modell ist weit über Bremens Grenzen hinaus bekannt geworden. Dafür sorgte die Anerkennung als Expo 2000-Projekt und die Auszeichnung durch die Sonderorganisation der Vereinten Nationen UNCHS (United Nations Center of Human Settlement) im Oktober 2001. Nur in Bremen wird der Beginenhof von den Politikern ignoriert und von der Presse verleumdet. Zum Glück bleibt dieses Negatvimage ein lokales Phänomen und beeinträchtigt nicht die Ausbreitung der Renaissance der Beginenkultur in anderen Städten der Bundesrepublik. Es gibt bereits ein bundesweites Beginennetzwerk in 12 Städten. Der Bau neuer Beginenhöfe ist absehbar in Berlin, Bielefeld und Essen. In den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten wird nach meiner Einschätzung in jeder größeren Stadt Deutschlands ein Beginenhof entstehen, zumal die Wohnform in Gemeinschaften immer beliebter wird und immer größeren Zuspruch findet.

Dr. Erika Riemer-Noltenius ist Initiatorin und Bewohnerin des ersten modernen Beginenhofes und Protagonistin für die Renaissance der Beginenkultur in Deutschland.

Mehr Infos unter: www.beginenhof.de

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 10(2003), Hamburg