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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen Wohnprojekte Hamburg

Ein Stück Geschichte zum Anfassen

Einblicke in das Pantherhaus

*** von Ulrike Petersen ***

Ungezählt sind die Interviews, die Vorträge und Fotos über das „weiße Haus der Grauen Panther“ in Hamburg-St. Pauli. Und nun soll wieder etwas zu Papier über ein Jahrzehnt Wohnprojektepraxis der generationenübergreifenden Art.

Kurzgefaßt – denn mehr als 4000 Zeichen stehen nicht zur Verfügung – könnte es so klingen: 4-Etagen-Wohnhaus, erbaut 1911, Eigentum der SAGA, Sozialer Wohnungsbau, 1. Förderweg, vollständig modernisiert, seit 1986 generalvermietet an Graue Panther Hamburg e.V., 8 unterschiedlich große Wohneinheiten, Büro-, Beratungs- und Gemeinschaftsraum, Garten, Dachterrasse, kein Fahrstuhl, keine DIN 18025, keine Hausordnung, z.Zt. 11 Bewohner im Alter von 1 bis 85 Jahren: Else, Kurt, Inge, Hartwig, Enno, Lieschen, Lenchen, Ulrike, Friederike, Jürgen, Martina plus Freunde, Gäste, Dauerkatzen und Pflegehunde, Hausgemeinschaft Alt und Jung als Alternative zum Pflegeheim, Nähe von innen plus Hilfe von außen, Kontrapunkt großstädtischer Isolation, autonomes Wohnprojekt, preisgekrönt, zweimal beforscht, bundesweit bekannt.

Nochmal, etwas anders:

Ein ganz normaler Sonntagmorgen im Sommer 1997. Es klopft an der Tür, Enno kommt herein und sagt, daß es Else nicht so gut geht; das hat Inge ihm erzählt, denn dort hat Else Bescheid gesagt, bevor sie sich wieder hinlegte. Das ist eine Botschaft! Erhöhte Wachsamkeit, nachsehen, wie es Else geht, fragen, ob sie etwas braucht. Abends sitzen alle auf der Dachterrasse – auch Else – und überlegen, was passieren soll, wenn in einem Jahr der Mietvertrag mit der SAGA ausläuft.

Ein ganz normaler Dienstagabend. Jürgen klingelt bei Lenchen und verkündet, noch bevor sich die Tür zum Hausflur öffnet, unüberhörbar ‚Das Essen ist fertig!` Demnach ist es kurz vor 19 Uhr. So wie an 3 weiteren Abenden in der Woche trifft sich seit einigen Monaten die `Kochgruppe` (4 Bewohner plus gelegentliche Mitesser) im 4. Stock. Heute gibt es Spaghetti à la Martina. Und zum Nachtisch Neuigkeiten aus dem Haus.

Ein ganz normaler Mittwoch. Vormittags wieder eine Gruppe zu Besuch; diesmal sind es 50 Hausmeister aus Dänemark, die sich für das Haus interessieren. Else, Ulrike und Kurt stehen Rede und Antwort, Fritz, ‚halber Däne` und sogenannter freilaufender Panther, dolmetscht. Und abends tagt, allwöchentlich seit fast zwei Jahrzehnten, das Pantherplenum. Der Verein beschließt, daß eine ‚Kirchenkate` im Garten gebaut werden soll, Obdach für einen wohnungslosen Menschen.

Donnerstag, Freitag, Samstag … 90. Geburtstag, Fernsehaufnahmen für ‚Mona Lisa`, Oster-Frühstück, Sommerpause, Panthertheater, Gast aus St. Petersburg, Taufe, Journalist aus Japan, Krankenhauseinweisung, Kindergeburtstag, Diskussion mit Altenpflegerinnen, Besuch aus Prag …

Oder so:

Die Idee für das ‚Pantherhaus` ist ein Ergebnis gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung, initiiert von den Grauen Panthern, die sich in Hamburg unabhängig von Parteien und Verbänden für ein menschenwürdiges Alt-werden stark machen. Das strukturelle Gegenbild zum Hausgemeinschaftsprojekt ist das Pflegeheim, es verlangt nach Alternativen. Daran, das beweist das große Interesse an selbstorganisierten gemeinschaftlichen Wohnformen für das Alter, hat sich bis heute nichts geändert. Der Verein kann sich über mangelnde Nachfrage nicht beklagen und stehtWohngruppen, Architekten, Politikern und Forschern mit Rat und Tat zur Seite.

Aus dem jahrelangen Ringen mit Politik und Verwaltung konnte im Pantherhaus ein Ort entstehen, an dem Arbeit und Wohnen, Nähe und Distanz im Sinne alltäglicher Begegnung möglich wurden. In Abkehr zu lebenslaufbezogenen Festlegungen von Alt und Jung entwickelte sich der Austausch zwischen den Generationen in eigener Regie. Das Miteinander, weder animations- noch betreuungsbedürftig, hat seine eigene Dynamik und wird geprägt von den Höhen und Tiefen der Hausbewohner, die sich von selbst streiten und wieder vertragen, die sich und anderen helfen, wenn`s drauf ankommt.

Selbstorganisation, Selbststeuerung, Selbstverwaltung und schließlich Selbsthilfe im praktischen Zusammenleben sind zentrale Bestandteile des Pantherhauses und seiner zwei Folgeprojekte in St. Georg und Harburg. Diese drei Wohnprojekte treten beständig und offensiv gegen überholte Bauvorschriften und Förderrichtlinien an und wollen im Sinne menschengerechter Wohnraum- und Gemeinwesengestaltung nachbarschaftliche Netze schaffen. Sie leben von der Offenheit, Verantwortung, Freiwilligkeit und Neugierde der Hausbewohner. In der Bandbreite innovativer Wohn- und Versorgungsformen im Alter zählen sie zu den autonomen Wohnformen. Sie holen das Leben und Erleben von Alter, Krankheit und Tod in die gesellschaftliche Mitte, ohne betriebswirtschaftliches Kalkül, ohne Verwaltungsmehraufwand, ohne Stellenplan und Bettenschlüssel, ohne Hierarchie der Pflegestufen, ohne Netz und doppelten Boden.

*Grabe dort, wo Du stehst.“ Doku-Montage über die Wohnprojekte der Grauen Panther Hamburg e.V., 1993, 1. Teil: Das Pantherhaus.

Ulrike Petersen ist Mitglied der Grauen Panther Hamburg e.V. und langjährige Bewohnerin des Pantherhauses

Zuerst veröffentlicht: FREIHAUS 1(1997), Hamburg