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Artikel Wohnprojekte national/international

Frischer Wind in Hannover

*** von Kirsten Klehn ***

In Niedersachsen gibt es seit langem eine kontinuierliche Nachfrage nach gemeinschaftlichen Wohnformen, und es hat sich eine lebendige, vielfältige Wohnprojektelandschaft entwickelt. In den letzten Jahren ist insbesondere das Interesse an Wohnprojekten für ältere Menschen bzw. Mehrgenerationenprojekten angestiegen. Die demographische Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren in Niedersachsen zwar regional sehr unterschiedlich vollziehen, die allgemeinen Trends zur Verkleinerung der Haushalte und zunehmenden Alterung der Bevölkerung gelten jedoch auch für weite Teile des Landes. Insofern wird mit einem weiteren Anstieg der Nachfrage nach gemeinschaftlichen Wohnformen allgemein und speziell für das Wohnen im Alter zu rechnen sein.

Die niedersächsische Wohnprojektelandschaft umfasst das ganze Spektrum unterschiedlicher Formen des gemeinschaftlichen Wohnens. Im ländlichen Raum überwiegen die eigentumsorientierten Projekte in Form von Wohnungseigentümergemeinschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbRs) im Reihen- oder Einfamilienhausbau. Es gibt eine Reihe alternativer Projekte, die in der Nachnutzung von Kasernen, Fabriken und ähnlichen Nutzungsbrachen entstanden sind, wie z. B. das „Trillke-Gut“, ein altes Gutsgebäude in Hildesheim, das,zum Wohnen umgenutzt, heute in genossenschaftlicher Trägerschaft von den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst verwaltet wird.

Neue Genossenschaften und Kooperationen

In Hannover sind im Rahmen der Sanierung mit der Selbsthilfe Linden eG und der WOGE Nordstadt eG in den 80er Jahren neue Genossenschaften entstanden, die bis heute eine Vielzahl von Hausprojekten mit gemeinschaftlicher Selbsthilfe im Neubau und in der Altbaumodernisierung entwickelt haben. In den letzten Jahren ist eine weitere Projektart hinzugekommen – Projekte in Kooperation mit der „traditionellen“ Wohnungswirtschaft. Gruppen, insbesondere älterer Menschen, die gemeinschaftlich wohnen wollten, sind auf Wohnungsunternehmen, die größere Neubauvorhaben vorbereiteten, zugegangen und haben mit diesen als Projektentwickler und -träger ihre Vorstellungen auf Mietoder Eigentumsbasis umgesetzt.

Die Projekte entstehen bisher weitgehend selbstorganisiert bzw. auf Initiative von Architektinnen und Architekten, intermediären Organisationen und neuen Wohnungsgenossenschaften. Es gibt ein locker geknüpftes Kommunikations- und Informationsnetz unter denen, die in dem Themenfeld Wohnprojekte aktiv sind.

Förderung von Wohnprojekten ist Vergangenheit

Anders als in Hamburg gibt es in Niedersachsen zur Zeit keine besondere finanzielle Förderung gemeinschaftlicher Wohnprojekte. Dies war nicht immer so. Mitte der 90er Jahre gab es eine kurze Periode, in der das Land Mittel zur Förderung von Wohnprojekten bereitstellte. Eine Studie zum Thema „Gruppenbauvorhaben in Niedersachsen“ im Auftrag des Landes ergab schon seinerzeit, dass zahlreiche realisierte Wohnprojekte und neue Projektinitiativen existierten und die Rahmenbedingungen für gemeinschaftliche Projekte zu verbessern wären. Vom Land wurde ein Leitfaden mit Gründungshilfen für Wohnprojektinteressierte herausgegeben und eine Anschubförderung eingerichtet, mit der Projektinitiativen besondere Kosten der Projektentwicklung finanzieren konnten. Einigen Projekten wurde dadurch der Weg zur Realisierung erleichtert, vielleicht erst ermöglicht. Leider wurde die Förderung schon nach zwei Jahren – nach einem Wechsel der Landesregierung – wieder eingestellt. Auch in den Förderbestimmungen des öffentlichen Wohnungsbaus finden die besonderen Bedarfe und Erfordernisse von gemeinschaftlichen Wohnprojekten kaum Berücksichtigung.

In Hannover tut sich was

Während das Thema auf Landesebene zu ruhen scheint, beginnt in der Landeshauptstadt ein belebender Wind zu wehen. Seit etwa einem Jahr arbeitet das Bürgerbüro Stadtentwicklung im Auftrag der Stadt Hannover an der Unterstützung und Initiierung von Wohnprojekten bzw. Baugemeinschaften. Das zur Verfügung stehende Budget dafür ist gering. Deshalb besteht ein wichtiger Ansatz besteht darin, die Energien all derer, die schon seit langem in dem Themenfeld Wohnprojekte arbeiten, zu bündeln und zu vernetzen. Über Zeitungsartikel, Workshops und Wohnprojektetage wurde die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens stärker in die Öffentlichkeit getragen. In einem Kooperationsnetzwerk aus Stadtverwaltung,Architektinnen und Architekten, intermediären Organisationen, wie dem Forum für gemeinschaftliches Wohnen im Alter e.V. und dem Institut für Wohnpolitik und Stadtökologie e.V., sowie der Finanz- und Wohnungswirtschaft werden weitere Strategien zur Förderung entwickelt. Als ein Ergebnis der Arbeit hat die Stadt in diesem Jahr erstmalig Fördermittel für die Anschubberatung von Wohnprojektinitiativen bereitgestellt. Damit ist in der Landeshauptstadt ein wichtiger Schritt getan, um Wohnprojektgruppen in der Aufbauphase zu stützen und ihre Chancen in der Konkurrenz mit professionellen Projektentwicklern um geeignete, attraktive Grundstücke und Objekte zu verbessern.

Die Förderung nachbarschaftlicher und gemeinschaftlicher Wohnformen ist jedoch nicht nur in städtischen Räumen gefragt. Auch im städtischen Umland und in den ländlichen Kommunen werden Wohnkonzepte gebraucht, die Antworten bieten auf die zunehmende Überalterung und die Auflösung familiärer Netze. Es bleibt zu hoffen, dass der frische Wind aus Hannover auch im Rest des Landes neue Energien entfacht.

Kirsten Klehn ist Dipl. Ing. Architektin und seit 1996 freie Mitarbeit im Institut für Wohnpolitik und Stadtökologie e.V. (IWS). Dort ist sie u.a. für die Beratung von Wohnprojekten zuständig. Als Vorstand der Wohnungsgenossenschaft WOGE Nordstadt eG entwickelt und begleitet sie Projekte im Wohnungsbau.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 11(2004), Hamburg