Interview mit
Marko Lohmann, Vorsitzender des VNW-Landesverband Hamburg e.V. und Vorstand der Bergedorf-Bille eG.
Das Thema, wie wir im Alter mit oder auch ohne Pflege-bedürftigkeit wohnen und leben wollen, ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus gerückt. Wo sehen Sie in Hamburg aktuell die größten Hürden für diese Zielgruppe ausreichend Wohnraum zu gestalten?
Zuletzt habe ich mir im September 2024 einen guten Überblick über mehrere innovative neue Wohnkonzepte zu diesem Thema verschaffen können, die in den letzten etwa zwölf Jahren in Hamburg realisiert worden sind. Doch inmitten der Krise für Bauinvestitionen sinkt leider mindestens bis Ende 2025 auch in Hamburg noch die Zahl von fertigen oder begon-nenen neuen Wohnungen. Da die Stärkung altersfreundlicher Quartiere auch im Einklang mit dem Hamburger Aktionsplan von Juli 2024 insbesondere über Neubau gelingt, leidet auch dieses Segment unter der derzeitigen Rezession. Aus diesem Tal können alle daran Beteiligten nur mit deutlich mehr Entschlossenheit heraus kommen und einem neuen Vorrang für bezahlbaren Neubau guter Wohnkonzepte!
Die demografische Entwicklung in vielen Hamburger Quartieren lässt mit ihrem steigenden Anteil älterer und hochbetagter
Menschen deutlich erkennen, dass wir schon in wenigen Jahren in eine Versorgungslücke geraten könnten. Bisherige Angebote stationärer Pflegeangebote geraten von verschiedenen Seiten zunehmend unter Druck durch Stichworte wie Fachkräftemangel, Refinanzierung oder nötiger Reform der Pflegeversicherung.
Zudem nimmt der Wunsch immer mehr Menschen zu, anstelle bisheriger stationärer Angebote lieber kleinere modulare
Lösungen im eigenen Quartier anzustreben. Weiter wünschen sich viele, dass sie selbstbestimmt in der Nähe zu ihrem bisherigem Wohnumfeld wohnen bleiben können, gerne auch in Gemeinschaft, um durch viele soziale Kontakte und Teilhabe länger gesund und resilienter für persönliche Krisen zu sein. Zudem werden mit zunehmenden Bewegungs-einschränkungen weitere Wege zu Nahversorgung oder Gesundheits-vorsorge kaum noch möglich. Wenn dann im persönlichen Einzelfall plötzlich Pflegebedarf besteht, dann gelingt es heute noch viel zu selten, die Gesamtheit dieser Wünsche erfüllen zu können.
Der Anteil barrierearmer Wohnungen ist Dank vieler Neubauten und etlicher kleinerer Umbauten im Bestand der letzten etwa zwölf Jahre zwar gestiegen, jedoch noch immer zu gering. Im Bestand ist der Abbau von Barrieren nur im geringen Umfang wirtschaftlich vertretbar. Zwar geht da noch was, doch wir brauchen vor allem deutlich mehr barrierearme Neu-bauten im Quartier mit modularen Angebote im Pflegekontext. In der Gesellschaft ist die Offenheit oder gar Begeisterung für diese
Strategie nach unseren Erfahrungen noch stark ausbaufähig. Noch überwiegt die Haltung: „In meinem Quartier soll möglichst alles so bleiben wie es ist.“
Was können die gemeinwohlorientierten Wohnungsunter-nehmen dafür tun, dass Menschen möglichst lange in ihren Wohnungen bleiben können, auch wenn sich die Bedarfe mit dem Alter gegebenenfalls ändern? Welche Maßnahmen ergreift Ihre Genossenschaft dafür, und welche erfolgreichen Ansätze sehen Sie bei anderen Hamburger Genossenschaften?
Für die gemeinwohlorientierten Wohnungsunternehmen in Hamburg ist das lebenslange Wohnen seit mindestens zwei Jahr-zehnten eines der wichtigsten Ziele ihres Handelns. Beispielsweise hat die Bergedorf-Bille eG in ihrem Leitbild verankert, dass sie für vielfältiges lebenslanges Wohnen in lebendiger Nachbarschaft und nachhaltig lebenswerten Quartieren steht. Sie bietet ihren Mitgliedern auf mehreren Ebenen Angebote zum Wohnen im Alter 1 wie z.B. Angebote für Hausnotrufdienste und ambulante Pflege, teils auch Kooperationen mit Trägern für stationäre Pflege – wenn denn eine ambulante Pflege in der bisherigen Wohnung nicht mehr ausreichend oder möglich ist. Es bestehen individuelle kleine Umbauangebote von Haltegriffen über höhere WC-Aufsätze bis hin zum Umbau des Bades mit Dusche statt bisheriger Badewanne.
Die Bergedorf-Bille eG stärkt mit ihrem Konzept „QuartierMitWirkung“2 Impulse für mehr Beteiligung der Mitglieder und wagt Investitionen in neue Wohnformen wie z.B.
Clusterwohnen in einem klimafreundlichen Umbau ihres früheren Büro-gebäudes in Bergedorf.
Im Rahmen frühzeitiger Beteiligungsangebote haben sehr viele Interes-sierte an Informationstouren im Herbst 2024 zu mehreren vorhandenen Hamburger Pilotprojekten teilgenommen. Darunter sind vorbildliche Konzepte wie „LeNa – Lebendige Nachbarschaft“ der SAGA 3 oder neue Service-Wohnangebote oder Wohngruppen (teils auch für Menschen mit Demenz) von Hamburger Genossenschaften.
Wie stellen sich die Hamburger Genossenschaften im Neubau und in der Modernisierung der Bestände auf die zukünftigen Herausforderungen des demographischen Wandels ein? Wo ist es im Angesicht der Wohnungs- und Baukrise gegenwärtig möglich, mehr als „das Nötigste“ im Wohnungsbau zu tun?
Wichtig ist es, die Quartiersentwicklung ganzheitlich zu betrach-ten. Neben den demografischen Herausforderungen müssen mit hohen Investitionen auch Klimaschutzziele und weitere Zielsetzungen im Laufe der nächsten maximal zwanzig Jahre erreicht werden.
Dazu entwickeln einige Wohnungsunternehmen weitergehende Konzepte mit Fokus auf Bezahlbarkeit sowie ökologischem und ökonomischem Weitblick. Mitten in der Baukrise müssen viele Bestandshalter derzeit zunächst mehr Investitionen für erneuerbare Energien und anderen Klimaschutz leisten. Doch einige so wie wir entwickeln zumindest neue Planungen zur Erprobung ergänzender Wohnformen und quartiersnaher Pflege-stützpunkte, auch für gemeinschaftliche Wohnformen wie Cluster-
wohnen, Wohn-Pflege-Gemeinschaften, Demenz-Wohngruppen und andere Zielgruppen. Die zuvor beschriebenen laufenden und bewährten Angebote und Konzepte werden weiter fortgesetzt.
Welche politischen Strategien und Förderungen braucht es Ihrer Meinung nach, damit die Bereitstellung von preiswertem Wohnraum, der (Um)Bau von barrierefreien Wohnungen und die Entwicklung alternativer Wohnformen wie Baugemein-schaften oder Wohn-Pflege-Gemeinschaften stärker umgesetzt werden können?
Wenn nicht nur aus meiner Sicht mehr altersfreundliche Quar-tiere in Hamburg erwünscht sind, dann benötigen die dafür erforderlichen Bau-projekte deutlich mehr Rückenwind für Wohnungsneubau aus Gesellschaft und Politik. Gemeinsam müssen wir häufiger über diese Bedarfe und ganz-heitliche Lösungsansätze miteinander sprechen.
Als politische Strategie und auch für Förderungen empfehle ich mehr Quartiersansätze anstatt der bisherigen Fokussierung auf einzelne Häuser oder sinnbildliche Leuchttürme.
Denn wenn wir eigentümerübergreifend das umliegende Quartier in den Blick nehmen, dann gelingen uns auch besser finanzier- und bezahlbare Lösungen. Das gilt für Quartiers-Pflegestützpunkte ähnlich wie für mehr erneuerbare Energieversorgung und anderen Klimaschutz im Bestand, als auch für weiter benötigten Neubau.
Ich wünsche mir noch mehr Kooperationen von Politik, Wohnungs- und Sozialwirtschaft, insbesondere aus den Bereichen
Pflege und Eingliederungshilfe. Denn die Erprobung und Evaluation neuer Ansätze wie „LeNa“ sind zwar vielversprechend, doch beispielsweise der Bedarf nach 24/7-Kurzzeit-Pflege in dezentralen kleinen Quartierskonzepten ist wirtschaft-lich derzeit noch nicht tragfähig und braucht daher verbesserte Rahmen-bedingungen.
Auf Seiten der Menschen in Hamburg werbe ich weiter für ein Umdenken zu mehr Offenheit, im eigenen Quartier umzuziehen anstatt jede Wohnung auf den jeweiligen Bedarf umbauen zu wollen. Ich wünsche mir eine neue Willkommenskultur für ergänzenden Neubau vor der eigenen Haustür, auch für altersfreundliche Wohnkonzepte.
In dem jeweils lokalen gemeinschaftlichen Diskurs für geeignete Qualitäts-verbesserungen vor Ort für diese wichtigen Themen üben und stärken wir indirekt auch die wichtigen demokratischen und selbstbestimmten Strukturen zur Selbsthilfe vor Ort.
Diese Strukturen werden zumindest nach meiner Meinung langfristig einer der wichtigsten Bausteine werden!
1 https://bergedorf-bille.de/wohnen/wohnen-im-alter
2 https://bergedorf-bille.de/genossenschaft/quartiermitwirkung
3 https://www.saga.hamburg/immobiliensuche/allgemein/woh-
nen_fuer_senioren