Die Wohngemeinschaft von Mobilee Pflegenetzwerk Kiel e.V.
*** mit Thimo Lüeße ***
Die erste Demenz-WG in Kiel besteht seit Anfang 2005. Sie wird getragen von Mobilee – Pflegenetzwerk Kiel e. V., einem gemeinnützigen Verein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die Lebenssituation von alten und pflegebedürftigen Menschen zu verbessern.
Dr. Thiemo Lüeße, der Geschäftsführer des Vereins, hat mit FreiHaus über die Erfahrungen mit dieser WG gesprochen.
FreiHaus: Mittlerweile ist Mobilee ein fester Begriff, wenn es um Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz in Schleswig-Holstein geht. Haben sich also die Anstrengungen gelohnt?
Lüeße: Die Anstrengungen haben sich gelohnt, weil wir für die acht WG-Mitbewohner eine Alternative zur stationären Versorgung geschaffen haben, in der sie sich wohl fühlen. Alle bisher elf Menschen, die in der WG gelebt haben und leben, sind in der Gemeinschaft aufgeblüht und haben ein wirkliches neues Zuhause gefunden.
Sie sprechen von elf Menschen, die bisher in der WG gewohnt haben…
Lüeße: Momentan leben acht Menschen in der WG – das entspricht der Anzahl der Zimmer, die zur Verfügung stehen. Hinzu kommen noch die Gemeinschaftsräume. In der Zeit seit 2005 sind bereits drei Mitbewohner in der WG verstorben. Das war jedes Mal eine schwere Belastung, gleichzeitig hat sich die Gemeinschaft aber auch als sehr tragfähig erwiesen. Wir können also sicher sagen, dass mit unserem Modell des Wohnens für Menschen mit Demenz ein weiterer Umzug – etwa in ein Heim – nicht erforderlich wird. Das gilt sowohl für den Fall sehr starker Demenz als auch für Bettlägerigkeit.
Wie ist die Idee zur ersten Kieler Demenz- WG entstanden?
Lüeße: Die Grundidee stammt ja gar nicht von uns. Im Bundesgebiet gibt es schon seit Jahren alternative Projekte für Menschen mit Pflegebedarf. Hier in Kiel ging die Initiative von Mobilee aus.
Wie funktioniert die WG und wie teilen sich die Kosten auf?
Lüeße: Die Wohnung ist von Mobilee gemietet und wird an den jeweiligen Mitbewohner untervermietet (Miete ca. 350,00 €). Mit dem Pflegedienst – alle Mitbewohner haben sich für denselben Pflegedienst entschieden – wird dann noch ein Betreuungsvertrag (monatlich 995,00 €) und ein Pflegevertrag abgeschlossen. Für Essen und Trinken kommen dann noch 220,00 € in die „Mannschaftskasse“. Die wichtigste Aufgabe von Mobilee ist, die Aufgabe des Vermieters zu übernehmen und die Sitzungen des Angehörigenbeirates zu moderieren. Das klingt ein bisschen technisch, ist es aber gar nicht. Denn letztlich entscheidet die Arbeit im Angehörigenbeirat darüber, wie intensiv die Eigenverantwortung der Mitbewohner gelebt werden kann.
Was unterscheidet die Mobilee-WG von anderen WGs in Schleswig-Holstein?
Lüeße: Mobilee hat sich mit anderen Trägern von Haus- und Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz zu einem Qualitätszirkel zusammengeschlossen. Gemeinsam ist Allen das Anliegen, den Menschen, die mit ihrer Demenz leben, weiterhin ein „reiz-volles“ Leben bieten zu können. Die Teilnahme am normalen Leben mit der Eigenversorgung – Einkaufen, Essen kochen – und sozialen Kontakten steht dabei im Vordergrund. Der größte Unterschied besteht in der Immobilie. Einige WGs in Schleswig-Holstein sind mit öffentlichen Fördergeldern finanziert, umgebaut und renoviert worden. Das haben wir nicht gemacht. Wir nutzen Wohnraum, so wie er vorhanden ist. Es finden nur ganz geringe Anpassungen statt, die wir mit dem WOPA, einem Projekt zur Wohnraumanpassung, koordinieren. Ein zweiter Unterschied besteht in der Größe. Die Mobilee-WG bietet Platz für acht Mitbewohner, andere Konzepte sehen bis zu 14 Menschen vor. Wir finden, dass acht eine optimale Größe ist.
Hand aufs Herz. Läuft alles so rund, wie es klingt?
Lüeße: Wir haben zwei Themen, die uns immer wieder beschäftigen. Zum einen erweisen sich die Verhandlungen mit dem Sozialhilfeträger bisweilen als äußerst schwierig. Wir haben derzeit zwar ein sehr gutes Verhältnis zur Landeshauptstadt Kiel als Sozialhilfeträger, die erste WG wäre aber beinahe an den Verhandlungen mit der Stadt gescheitert. Es scheint hier und dort der Glaube vorzuherrschen, dass das Leben in einer WG kostengünstiger sei als das Leben in einem Pflegeheim. Das ist natürlich nicht so. Mit ca. 3.300,00 € im Monat sind die Gesamtkosten mit einer stationären Einrichtung vergleichbar. Wir meinen aber, dass die Betreuung besser ist als in einem Pflegeheim herkömmlicher Art. Das zweite Thema ist die tatsächliche Mitarbeit der Angehörigen in der WG. Es gibt regelmäßige Sitzungen des Angehörigenbeirats, der die wichtigen Dinge für die WG beschließt und es gibt auch sehr engagierte Angehörige, die sich für die Mitbewohner im Alltag einsetzen und diese unterstützen. Aber das ist nicht durchgängig so. Wir arbeiten aktuell an Ideen, um die Unterstützung der Angehörigen zu fördern. Das könnte so aussehen, dass die Angehörigen gewisse Betreuungszeiten übernehmen, z. B. wenn die Mitarbeiter des Pflegedienstes auf einer Fortbildung sind, oder auch feste Aufgaben übernehmen, z. B. gemeinsames Kochen am Wochenende.
Stichwort Zukunftsmusik…
Lüeße: Der Bedarf an alternativen Wohnformen ist riesig. Allein in Kiel dürften ca. 3.000 Menschen mit Demenz leben. In alternativen Wohnformen leben bisher 20 Menschen, acht davon in der Mobilee-WG: Daher planen wir natürlich weitere WGs, zunächst in Kiel.
Dr. Thiemo Lüeße ist Geschäftsführer des Mobilee Pflegenetzwerk Kiel.
zuerst veröffentlicht: FreiHaus 14(2007), Hamburg