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Artikel Klimaschutz/Mobilität Wohnprojekte Hamburg

Leben ohne Auto – Das Wohnprojekt Saarlandstraße

*** vom Achim Selk ***

In den letzten Monaten stieß die Diskussion um den globalen Klimawandel und seine Folgen zunehmend auf Akzeptanz in der Öffentlichkeit und zeigt mittlerweile sogar Auswirkungen auf die Automobilbranche. Zumindest auf deren Werbekampagnen – „Opel macht Deutschlands Straßen sauberer“. Andere sind da konsequenter: Sie verzichten ganz auf die Produkte, die angeblich die Straßen sauberer machen. Zumindest so die Bewohner in der Saarlandstraße, wo die erste Wohnsiedlung Hamburgs realisiert wurde, in der die Menschen freiwillig ein Leben komplett ohne Auto führen. Nicht nur deshalb besitzt dieses Wohnprojekt Modellcharakter. Auch aufgrund des gemeinschaftlichen Wohnens lohnt sich eine nähere Betrachtung.

In welcher Diplomarbeit kommen wir denn diesmal vor?“ fragt mich eine freundliche Radfahrerin, als ich – mit Kamera und Lageplan ausgestattet – die Siedlung näher erkunde. Zweifellos steht die erste autofreie Wohnsiedlung Hamburgs seit ihrer Errichtung zunehmend im öffentlichen Interesse und findet nicht nur in der Fachwelt der Stadt- und Verkehrsplaner Beachtung, sondern ist oft Thema von Reportagen in Zeitungen und Magazinen.

Autofreies Leben

Bereits 1992 hatte sich der Verein „Autofreies Wohnen e.V.“ gegründet, um mit diesem modellhaften Wohnprojekt zu beweisen, dass ein Leben ohne Kraftfahrzeug möglich ist. Von der Stadt wurde sie auf eine 3ha große Brachfläche an der Saarlandstraße verwiesen. Dieser Standort vereinte mehrere Vorteile in sich: Zentrale Lage in der Stadt, gute Anbindung an den ÖPNV sowie direkte Nähe zum Barmbeker Zentrum und zum Stadtpark. Geplant wurde eine dreiteilige Bebauung mit insgesamt 230 Wohnungen, in der winkelförmige Wohnblöcke und zweiteilige Punkthäuser Innenhöfe umfassen.

Es dauerte 8 Jahre, bis die ersten Wohnungen bezugsfertig waren. Im Jahr 2000 wurden zunächst die beiden südlichen Wohnhöfe der Siedlung fertig gestellt. Mit intensiver Planungsbeteiligung der zukünftigen Bewohner errichteten dort die „Wohnwarft – Genossenschaft für autofreies Wohnen“ und die Eigentümergemeinschaft „Barmbeker Stich“, die beide aus der Initiative „Autofreies Wohnen e.V.“ hervorgingen, zusammen mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG und der gemeinnützigen GmbH „Leben mit Behinderung Hamburg“ insgesamt 111 Wohnungen.

Spielplatz statt Parkplatz

Wer heute die Siedlung betritt, dem fällt sofort auf, dass dort – anstatt parkender Autos – diverse Aufenthaltsbereiche, Mietergärten, Kinderspielplätze und inzwischen viel Grün die Räume zwischen den Häusern prägen. Insbesondere die Wohnhöfe beherbergen mittlerweile eine bunte Pflanzenvielfalt. Vom gemeinschaftlich genutzten Außenraum hat man einen direkten Zugang zum Kanalufer und damit ein qualitätsvolles Wohnen mitten in der Stadt mit besonderem Hamburger Flair.

Besonders sind auch die „Fahrradgaragen“, die sich vor den Hauseingängen befinden und bequem zu erreichen sind. Alle Bewohner der Siedlung verpflichten sich vertraglich zum Verzicht auf ein eigenes Auto, und steigen aufs Fahrrad oder in Bus und Bahn.

Aber nicht nur das autofreie Wohnen steht im Vordergrund des Siedlungskonzeptes: Dadurch, dass die Gebäude in Niedrigenergiebauweise errichtet wurden, die Strom- und Wärmeversorgung durch ein Blockheizkraftwerk gespeist wird und zudem Regenwasser und Sonnenenergie genutzt werden, unterstreichen die Bewohner den generellen ökologischen Anspruch, den sie an ihre Siedlung stellen.

„Dann schreib doch aber mal bitte was Neues!“, bittet mich die Radfahrerin, nachdem ich ihr von meiner Absicht erzählt habe, einen Artikel für die FreiHaus über „ihre Siedlung“ zu schreiben. Also: Wie stellt sich der aktuelle Stand des gesamten Wohnprojekts dar, das noch nicht abgeschlossen ist?

Zeichnung: Planungsgruppe APB Haas, FHH, Steß

Der zweite Bauabschnitt – Saar II

Eine weitere Gruppe von Mitgliedern des Vereins „Autofreies Wohnen e.V.“, die sich 2001 zur Baugemeinschaft „SAAR II“ zusammengeschlossen hat, wird unter dem Dach der Baugenossenschaft FLUWOG-NORDMARK eG den zweiten Bauabschnitt – also den nördlichen der drei Wohnhöfe – realisieren. Dort werden ab Herbst 2007 ebenso wie in der Nachbarschaft ein winkelförmiger Wohnblock und ein Punkthaus errichtet, die zusammen einen Innenhof umschließen. Auch hier können sich die zukünftigen Bewohner an der Gestaltung ihrer Wohnungsgrundrisse und des Außenraumes beteiligen. Nach Fertigstellung können etwa 53 Wohnungen mit einem differenzierten Angebot bezogen werden, für die es bereits jetzt zahlreiche Interessenten gibt. 17 Wohnungen davon werden an „Leben mit Behinderung e.V.“ vermietet.

Wie geht es weiter?

Weil sich die Investorensuche für den geplanten Büro- und Gewerberiegel an der westlichen Grundstückgrenze erfolglos gestaltete, wurde 2005 eine Änderung des Bebauungsplans vorgenommen. Nun ist an dieser Stelle eine Wohnbebauung vorgesehen, die in ihrer Riegelbauweise ebenfalls als Lärmschutz für die Siedlung fungieren soll.

Nachdem eine „SAAR III“-Gruppe bei der Vergabe des Grundstücks nicht berücksichtigt wurde, werden dort ab Frühjahr 2008 die Frank-Gruppe, die Baugenossenschaft FLUWOG-NORDMARK eG, die Röder-Stiftung Hamburg und „Leben mit Behinderung e.V.“ durchmischte Wohnformen, u. a. Altenwohnen und ein Hospiz, realisieren.

Sieben Jahre nach Bezug der ersten Wohnungen an der Saarlandstraße kann man festhalten, dass das Konzept einer autofreien Siedlung – trotz einiger Widerstände und nach einem langwierigen Planungsprozess – erfolgreich umgesetzt werden konnte. Dort können die Bewohner ihre Vorstellungen von einem autofreien Leben verwirklichen. Bei den Mietern ist nur eine geringe Fluktuation zu beobachten, was als allgemeine Zufriedenheit gedeutet werden kann.

Ein bislang unentdecktes Potenzial stellt der überbleibende Parkplatz dar, der sich derzeit an der nördlichen Grundstücksgrenze befindet: Auf dieser Fläche könnte man sich durchaus einen vierten Bauabschnitt vorstellen und durch eine blockschließende Bauform auch aus städtebaulicher Sicht abrunden. Eine derartige Umnutzung des Parkplatzes könnte die autofreie Siedlung Saarlandstraße mit einem weiteren Wohnprojekt sinnvoll ergänzen.

Achim Selk ist Student der Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg und absolviert grade ein Praktikum bei STATTBAU.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 14(2007), Hamburg