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Selbstbau als innovativer Beitrag

Integration durch Arbeit – ein Wiener Selbsthilfeprojekt
mit Flüchtlingen für bezahlbaren Wohnraum

*** von Sabine Pollak und Silja Tillner ***

Selbstbau, Integration und Materialexperiment. Ein engagiertes Wiener Projekt stellt sich vor.

Wien ist eine wachsende Stadt und sowie in den meisten Metropolen entsteht eine erhöhte Nachfrage nach leistbarem Wohnen. Gleichzeitig stiegen auch in Wien die Grundstückspreise in den letzten Jahren massiv an. Es wird also zunehmend schwieriger, gefördertem Wohnbau, der in Wien seit Mitte der 1990er Jahre den hauptsächlichen Wohn raumbedarf abdeckt, zu errichten. Viele Wohnungssuchende weichen daher auf den frei finanzierten Privatwohnungsmarkt aus.

2015 erhöhte sich vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingskrise der Druck auf den privaten Wohnungsmarkt noch. Asylberechtigte haben zwar ein Bleibe- und Arbeitsrecht, aber erhalten keinen Zugang zum sozialen Wohnbau.

Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zu einem Selbstbau-Wohnprojekt, das unter der aktiven Mitwirkung von Asylberechtigten für die am Bau Mitwirkenden leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen soll. Ein erstes Konzept wurde bereits 2015 erstellt und dem Aspern Beirat der Seestadt Wien (das größte Stadterweiterungsareal Wiens) präsentiert. Die Idee stieß auf großes Interesse, woraufhin die Architektinnen Silja Tillner und Sabine Pollak Anfang 2016 ein Forschungsprojekt bei der Wiener Wohnbauforschung beantragten. Man wollte untersuchen, wie ein Selbstbauprojekt im Kontext des geförderten Wiener Wohnbaus umsetzbar wäre. Als historischer Bezug diente dabei die erste Wiener Siedlerbewegung am Beginn des 20. Jahrhunderts, die den Wiener Wohnbau ebenso stark prägte wie die Bauten des Roten Wiens.

Zeichnung: Köb&Pollak Architektur

INTEGRATION DURCH SELBSTBAU

Die Frage nach einer möglichen Integration von Asylberechtigten beschäftigt seit 2015 viele. In den Diskussionen war man sich meist einig darüber, dass für eine solche Integration die neu zuziehenden Personen in einen Arbeitsprozess integriert werden müssen. Zugleich benötigt es gute, kommunikative, flexible und vor allem leistbare Wohnbauten. Es lag also nahe, diese Erkenntnisse zusammen zu führen und die Idee zu dem Projekt entstand: ein Selbstbau-Wohnprojekt in Wien, das unter anderem mit Asylberechtigten gebaut wird, die dann auch darin wohnen sollen. Ein solches Projekt sollte zum einen leistbar sein und zum anderen einen Beitrag zu einer Integration von Asylberechtigten leisten.

Die Ende 2016 abgeschlossene Forschungsarbeit bildet nun die Grundlage für ein konkretes Projekt und für weitere, ähnliche Vorhaben, die vielleicht folgen werden. 2016 war auch jenes Jahr, in dem sich Diskussionen innerhalb der Disziplin der Architektur meist auf die Biennale in Venedig bezogen, und hier vor allem auf die Arbeit des chilenischen Architekten Alejandro Aravena. Er prägte diese Biennale als Kurator und zugleich als Architekt und Autor etlicher Selbstbauprojekte in Chile. Diese Projekte beruhen meist auf Eigeninitiativen, werden gemeinsam mit zukünftigen BenutzerInnen konzipiert und mit diesen in Eigenarbeit errichtet.

Aravenas Selbstbau-Projekte und viele andere aus allen Kontinenten zeigten, dass die Architektur solcher Projekte meist experimenteller ist als bei herkömmlichen Wohnbauten. Sie zeigten auch, dass Selbstbau-Projekte besser angenommen werden und mehr Identifikation erzeugen als normale Auftragsarbeiten, denn Bauen verbindet. Selbstbau-Projekte sind meist auch nachhaltiger als traditionell gebaute Projekte, da lokale Baustoffe in traditionellen Bauweisen zum Einsatz kommen. Und letztlich integrieren sie mehr Frauen in den Bauprozess, als es sonst der Fall ist. Die Biennale 2016 demonstrierte, dass es nicht um vordergründige Ästhetik geht, sondern um das gemeinsame Entwickeln und Realisieren von Projekten, die jenen dienen, die an dieser Entwicklung beteiligt sind. Insgesamt ist das Interesse an Hands-on- oder 1:1-Projekten seit einigen Jahren groß und hat durch den Kontext der Biennale gleichsam eine fachliche Approbation erhalten.

Dabei spielt auch der wissenschaftliche Kontext von Universitäten eine große Rolle. Viele der weltweiten Initiativen zum Selbstbau gehen von Universitäten aus, wie etwa auch in Österreich das Studio BASEhabitat an der Kunstuniversität Linz oder das Design Build – Studio an der TU Wien. Beide sollen in das Wiener Projekt integriert werden.

ZUM KONKRETEN PROJEKT IN WIEN

Zwei Dinge haben in Wien derzeit hohe Priorität: die Schaffung kostengünstigen Wohnraums sowie die Aktivierung von bürgerschaftlicher Eigeninitiative und Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg.

Für das Projekt in Wien soll vor allem die Ziegelbauweise zum Tragen kommen. Selbstbauprojekte in Ziegelbauweise können auf mehreren Ebenen einen wertvollen Beitrag leisten – einerseits auf der praktisch technischen Ebene als „einfache“ und effiziente Baumethode, andererseits auf der sozialen Ebene als Projekt zur Verständigung von Menschen unterschiedlicher Milieus und Kulturen. Wohnungssuchende, Fachleute und Studierende können sich über eine gemein same Arbeit kennenlernen und verständigen. Gleichzeitig können neue Wohnungstypologien entstehen, die ein integratives Modell zum Ziel haben und zwischen Kulturen und Generationen vermitteln. Die Eigenleistung der MieterInnen und ein geringerer Ausbaustandard sollen die Wohnungen außer ordentlich günstig werden lassen. Durch die partizipatorische Komponente wird den MieterInnen mehr als eine herkömmliche Wohnung geboten, nämlich die über das Mietobjekt hinausgehende aktive Teilnahme an einer sozialen Gemeinschaft.

Die Chance zur Umsetzung dieses Experiments entsteht im Rahmen der IBA Wien, die explizit Innovation im Wohnbau unterstützen will. Das Ziel des Projektes, das derzeit den Status eines IBA-Kandidaten hat, ist die Umsetzung eines zukunftsorientierten Modells von Selbstbau, das auf der Entwicklung nachhaltiger Typologien und auf Vorschlägen zu einer neuen Standardisierung im Wohnbau aufbaut. Im Gegensatz zu früheren Selbstbauprojekten geht es nicht um einen hohen Individualisierungsgrad, sondern darum, Selbstbau effizient anzuwenden und weiterzuentwickeln.

Der im Forschungsprojekt theoretisch konzipierte Prozess für Selbstbauprojekte soll im Rahmen der IBA Wien nun in der Praxis getestet und in Zukunft wiederholt werden. Es soll nicht ein singuläres Projekt entstehen, vielmehr soll eine innovative Planungs- und Arbeitsweise installiert werden, die auch zukünftig von anderen Teams angewandt werden kann. Die im Rahmen des Forschungsprojektes vorentwickelten Module sollen in der Praxis getestet und danach reproduzierbar werden.

Ziegel soll als Baustoff möglichst experimentell verwendet werden und über eine reine konstruktive Anwendung hinausgehen. Die verschiedenen haptischen und atmosphärischen Eigenschaften des Materials sowie die strukturellen Möglichkeiten sollen für Wände und Böden ausgetestet werden.

Das im Rahmen des Forschungsprojektes erarbeitete Modell für die Konzeption und Organisation von Selbstbauprojekten soll im Rahmen der IBA anhand eines konkreten Vorhabens in Wien getestet werden, bei dem es um die Realisierung von Selbstbau in verdichteten Gebäudestrukturen geht. Das Testprojekt soll ein mehrgeschossiger Wohnbau mit etwa hundert Wohnungen sein. 

Sabine Pollak ist Architektin in Wien.
Köb&Pollak Architektur, office@koebpollak.com
Silja Tillner ist Architektin in Wien.
Architekten Tillner & Willinger, s.tillner@tw-arch.at

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 22(2017), Hamburg