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Artikel Beitrag der Redaktion Netzwerk Stadtentwicklung Wohnungspolitik

Nachhaltigkeit und Bauen – oder: wie geht „richtig“ bauen heute?

Die Hamburger Debatte über soziale und ökologische Aspekte der Wohnungsfrage scheint festgefahren. Zeit, sie um eine dritte Option zu ergänzen: Anders bauen!

*** von Katrin Brandt und Joscha Metzger ***

Die Debatte um den Beitrag des Gebäudesektors zur Klimakrise ist in vollem Gange. Derzeit tragen die Errichtung (und Entsorgung) von Gebäuden sowie deren Betrieb – also die Bereitstellung von Gebäude-wärme und Warmwasser – zu einem Drittel den Treibhausgasmissionen in Deutschland bei. Hinzu kommt, dass es in den vergangenen Jahren kaum gelungen ist, diese Emissionen zu senken, die aktuell steigenden Heizkosten bessere Wärmedämmung für jede*n wünschenswert machen – und Kostensteigerungen zugunsten der Gebäudeklimabilanz sich sofort auf die soziale Frage der Bezahlbarkeit des Wohnens durchschlagen. Es ist insofern höchste Zeit, die Wohnungsfrage in ihren sozialen sowie ökologischen Aspekten zu stellen. Bisher findet die Debatte in Hamburg jedoch bemerkenswert verkürzt als eine zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen des Bauens statt.

Seit 2011 besteht das Hamburger „Bündnis für das Wohnen“, in dem der Senat gemeinsam mit den Verbänden der Wohnungs- und Immobilien-wirtschaft die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau erleichtern will. Das Bündnis gilt als Erfolgsmodell: „Mehr als 116.400 Wohnungen wurden seitdem genehmigt, mehr als 80.000 Wohnungen fertiggestellt“, teilt die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen per Presseerklärung mit. Zielzahl sind 10.000 weitere Baugenehmigungen pro Jahr. Hierbei wird ein sogenannter Drittelmix aus 1/3 geförderten Wohnungen, 1/3 Mietwohnungen und 1/3 Eigentumswohnungen verfolgt. Dämpfend auf die Mietentwicklung hat sich dies bisher jedoch nicht ausgewirkt. Im Gegenteil: Zuletzt stieg der Mietenspiegel stärker an als je zuvor. Der Bestand an geförderten Wohnungen ist darüber hinaus weiterhin rückläufig, da der Verlust durch Auslauf der Förderbindungen aus den vergangenen Jahrzehnten nicht aufgehoben wird. Es verwundert daher nicht, dass mehrere Volksinitiativen für eine (noch) sozialere Wohnungspolitik eintreten. Die von Mieter helfen Mietern und dem Hamburger Mieterverein getragene Initiative „Keine Profite mit Boden und Miete“ konnte zuletzt per Verhandlungserfolg erreichen, dass ab dem Jahr 2024 (so gut wie) keine Grundstücke der Stadt mehr veräußert werden sollen und es bis zu 100-jährige Mietpreisbindungen im sozialen Wohnungsbau geben soll. Ob und welche Wirkung die Kampagne „Hamburg enteignet“ entfaltet, ist noch offen.

Zugleich ist bundesweit eine Debatte über die hohen Energie- und Flächenverbrauche des Bauens entbrannt, die sich auf die Forderung zuspitzt, Neubau grundsätzlich einzustellen. In Hamburg setzte sich 2018 die vom NABU getragene Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“, für ein Ende der Bebauung von Grünflächen ein. Aus den Verhandlungen mit dem Senat ging die Verabredung hervor, 30% der Landesfläche für die Natur zu bewahren und bei größeren Bauvorhaben entsprechende Ausgleichsmaßnahmen vorzunehmen. Die Wohnungsbauziele wurden nicht tangiert. Weitergehend ist da die aktuelle Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün“, die die Kernforderung aufstellt, gar keine Grünflächen mit einer Größe von über einem Hektar mehr zu bebauen. Würde diese Forderung umgesetzt, müssten derzeitige Entwicklungsflächen für den Wohnungsbau – wie beispielsweise in Oberbillwerder – gestoppt und neu überdacht werden. Jenseits dieser Volksinitiativen wurde vor ca. einem Jahr von unerwarteter Seite weitere Kritik an das Bündnis für das Wohnen herangetragen – und zwar vom Klimabeirat, einem Gremium aus Wissenschaftler*innen, welches eng mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft zusammenarbeitet. Der Rat fordert, die Wohnungsbauziele um die Hälfte auf nur noch 5.000 neue Wohnungen pro Jahr zu reduzieren. Wohnungswirtschaft und Stadtentwicklungsbehörde aber auch Träger aus der Obdachlosenhilfe reagierten auf diesen Vorschlag ablehnend und befürchten dramatische Preissteigerungen auf dem Markt und eine noch angespanntere Situation für die Wohnungssuchenden.

Die globalen Entwicklungen der letzten Jahre verschärfen die Lage: Im diesjährigen, wieder einmal viel zu heißen, Sommer haben wir Waldbrände, verdorrte Landschaften und Nachrichten über das Sterben der Oder und der Ostsee erlebt. Mit der Ukraine-Krise wird uns bewusst, dass Energie und Wärme nicht selbstverständlich sind, dass sie nicht einfach so bereitstehen. Es sind Ressourcen mit einer tiefgehenden gesellschaftlichen Bedeutung, die, wenn sie einmal in Frage stehen, ein rares und damit kostbares und teures Gut werden. So bitter es ist: Wir sind heute vielleicht eher als vor einem Jahr bereit, für eine Energie- und Klimawende endlich den Turbo einzuschalten und radikalere Konzepte zu denken. Darin steckt sicherlich auch eine Chance.

Planen, Bauen und Wohnen nehmen in der Wende zu einer klimagerechten Gesellschaft – da sind sich wohl alle einig – eine Schlüsselrolle ein. Das betrifft den Verbrauch von Fläche, Boden, Energie, aber auch den Verbrauch der Ressourcen, die für die Errichtung von Wohnraum und Häusern aufgebracht werden müssen. Beim Bau von neuen Häusern sollte mitgedacht werden, wieviel graue Energie schon in ihrer Errichtung steckt und wieviel wir daraus wiederverwenden können, wenn wir das Gebäude irgendwann abbrechen. Die KfW und die BAFA werden ab 2023 vermutlich nur noch Neubauten fördern, die ein Nachhaltigkeitszertifikat nachweisen können. Nachhaltigkeit ist das neue Ziel, zugleich aber auch eine Chimäre: Ist es nachhaltig, Häuser zu bauen, die zwar ökologisch errichtet wurden, aber einen hohen Flächenkonsum haben? Oder die als Einfamilienhaus im Speckgürtel der Großstädte stehen und damit ein hohes Mobilitätsaufkommen nach sich ziehen? Ist ein Home-Office nachhaltig, wenn alle ein Arbeitszimmer zusätzlich brauchen, dafür aber nicht mehr ins Büro fahren?

Auch in der Arbeit bei STATTBAU HAMBURG werden wir mit den sozialen und ökologischen Herausforderungen der Wohnungsfrage tagtäglich konfrontiert: Baugruppen wie auch andere soziale Bauherr*innen treten zumeist mit dem Ziel an, bezahlbaren Wohnraum herzustellen, der die Klimakrise nicht verschärft – bzw. sich möglicherweise sogar an best practice Beispielen orientiert, um zu sozialökologischen Lösungswegen beizutragen. Dabei stellen sich für die Gruppen, Bauherr*innen und Planer*innen viele Fragen: Sind ­Häuser auch dann noch nachhaltig, wenn sie nach 20, 30 oder 40 Jahren abgebrochen werden, dafür dann aber zu 100% recycelt werden können? Oder können sie auch aus Styropor und Beton bestehen, wenn sie dafür 100 Jahre halten? Wie betrachtet man unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit z.B. einen Aufzug; ist er doch teuer und verbraucht im Betrieb laufend Strom? Zugleich aber: Ist es nicht ein Menschenrecht auch mit einer Behinderung im 3., 4. oder 5. Stock zu wohnen und auch mit einem Rollstuhl alle seine Nachbar*innen und Freund*innen besuchen zu können? Ist es nachhaltiger, mit einem hohen ökologischen Standard neu zu bauen, der über die nächsten 30 bis 50 Jahre nachhält oder ist es besser, Bauten zu erhalten, die energetisch nie auf diesem Niveau effektiv sein können, die vielleicht auch weniger effiziente Grundrisse haben oder nicht barrierefrei sind, dafür aber eben bereits gebaut und genutzt werden?

Die skizzierte Debatte ist geprägt von Auseinandersetzungen über technische Möglichkeiten, über objektive Erkenntnisse und Fakten, aber zugleich auch gefüttert mit Prognosen und Annahmen, die sich je nach Wichtung der Parameter auch wandeln und zu ­anderen Ergebnissen kommen können (Stichwort Lebensdauer von Gebäuden, Wandelbarkeit oder Flächeneffizienz). Spätestens aber dann, wenn die Frage technisch-planerisch geklärt wurde, Primärenergiefaktoren, Lebenszyklen und U-Werte abgewogen wurden – wenn also die Nerds die Debatte verlassen – kommt die soziale Frage: Wer zahlt die Betriebskosten, die hohen Energiekosten? Wenn das Bauen in einem so hohen ökologischen Standard erfolgt, kann sich dann noch jede/jeder diese Wohnungen auch leisten? Aber auch anders herum: Wenn nicht mehr neu gebaut wird, woher kommen dann die Wohnungen für die vielen Wohnungssuchenden, die geförderten Wohnungen, die wir dringend brauchen, die barrierefreien Wohnungen für die wachsende Zahl der Alten und Menschen mit Behinderung?

Während Architektur als Planungsdisziplin zumeist dafür antritt, soziale Probleme technisch zu lösen, sind wir jetzt gefordert, dies ein Stück weit umzudrehen und soziale Lösungen für die ökologischen Fragen zu finden. Welche Konzepte, welche Wohnmodelle sind in sozialökologischer Hinsicht nachhaltig?Wie gestalten wir Häuser, die dem demografischen Wandel standhalten? Und zwar nicht nur dem gesellschaftlichen Wandel, sondern auch dem „kleinen“ innerhalb der Bewohnerschaft? Wenn also aus einer vierköpfigen Familie wieder ein Paar oder ein Single wird, kann dieser Wohnfläche abgeben oder im Haus eine andere Wohnung beziehen und so Platz machen für eine neue Familie oder WG? Wieviel oder wenig Wohnraum braucht man, wenn dieser schlau gemacht ist? Kann man durch Vergemeinschaftung von Arbeitszimmern, Gästezimmern, Bibliotheken, Werkstätten, Abstellräumen oder gar Küchen und Wohnräumen Flächen sparen oder sogar Ressourcen wie Zeit und Energie? Und funktioniert das? Auch dauerhaft? Wo sind die Grenzen, damit ökologische Innovationen nicht in sozialen Stress ausarten? Und was wurde bereits gedacht und ist ­vielleicht nur vergessen worden?

Wir meinen, dass diese Fragen zu Baugemeinschaften passen und glauben, dass sich viele Baugemeinschaften diese bereits stellen und nach Antworten suchen. Die Beiträge in der vorliegenden Freihaus von Autor*innen aus Wissenschaft und Praxis zeigen soziale, planerische und architektonische Lösungsansätze für die aufgeworfenen Fragen auf. Teilweise beruhen sie auf Vorträgen die im Rahmen des diesjährigen ­Wohnprojekte-Fachtages unter dem Motto „Wie geht eigentlich dieses Nachhaltigkeit?“ gehalten wurden, teilweise haben wir sie aus dem Umfeld von STATTBAU HAMBURG zusammengetragen. Wir, die Redaktion der Freihaus, hoffen, mit diesem Heft dazu beizutragen, Inspirationen zur Lösung der Wohnungs- und der Klimakrise zu finden, ohne dabei die soziale gegen die ökologische Frage auszuspielen.

Katrin Brandt und Joscha Metzger

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Cover der Freihaus Ausgabe Nr. 26, erschienen im Dezember 2022

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 26(2022), Hamburg