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Architektur/Planungskultur Artikel

Was sollten ArchitektInnen können?

*** Von Volker Roscher ***

… Endlich sei noch gesagt, daß die Beständigkeit, das Ansehen und die Zier eines Gemeinwesens am meisten des Architekten bedürfe, der es bewirkt, daß wir zur Zeit der Muße in Wohlbehagen und Gesundheit, zur Zeit der Arbeit zu aller Nutz und Frommen, zu jeder Zeit aber gefahrlos und würdevoll leben können …” formuliert Leon Battista Alberti (1404 – 1472). Er spricht nicht eine einzige technische Frage an, sondern nur das ”Gemeinwesen”.

Müssen wir von ArchitektInnen heute nicht hauptsächlich technische Fähigkeiten verlangen?

Um den Anforderungen zu entsprechen, muß die ArchitektIn in der Lage sein, einen Planungsprozeß zu bewältigen: Am Anfang steht häufig eine vage Idee z.B. zu einer Wohnung, die bestimmten Vorstellungen entsprechen soll. Die Idee kann von späteren NutzerInnen stammen, Profi-Vermietern oder Fondsgesellschaften. Letztgenannte haben tendenziell die Vorstellung, Geld aus Vermietung oder Verkauf einnehmen zu wollen. Ihre Vorstellungen von der Qualität geplanter Lebensräume können von daher nur sehr vermittelt sein. Erstgenannte wissen häufig nur, daß sie ihre jetzige Situation verbessern möchten. Wenn der Mietmarkt keine Alternativen bietet, kommt es vor, daß eine ArchitektIn einbezogen wird.

Die ArchitektIn muß versuchen zu verstehen, was für Vorstellungen ihre AuftraggeberInnen vom individuellen und gemeinschaftlichen Leben haben. Je nach AuftraggeberInnentyp (Wohngruppe oder InvestorIn) muß sie diese Vorstellungen in Raumgestaltung umsetzen. Konstruktion, Gestaltung und Ästhetik werden in dieser Planungsphase ebenso bedacht. Allem sollten bereits wirtschaftliche Überlegungen zugrunde liegen. Rechtliche Fragen und Verhandlungen mit Behörden gehören dazu.

Die schließliche Bauausführung und Bauleitung erfordert technische und vielfältige Kenntnisse über die am Bau arbeitenden Gewerke und deren Koordination. Wenn alles gut geht, ist der Bau auch (künstlerisch) gestaltet, ein Zugewinn für die (gebaute) Umwelt, funktionsentsprechend und eine Bereicherung für das soziale Leben der Menschen.

Woher beziehen ArchitektInnen das notwendige Wissen?

Einerseits von den Ausbildungsstätten, den Fachhochschulen und Hochschulen, andererseits aus der sogenannten Praxis, d.h. dem Arbeiten in Architekturbüros, Planungs- und Baufirmen und hier besonders aus den Ansprüchen von AuftraggeberInnen, die je nach Typus sehr unterschiedlich sind.

An den Hochschulen lehren die (hoffentlich immer) bestqualifizierten PraktikerInnen. Ihr Bezug zur Praxis ist – so gesehen – hoch, doch durch die Dominanz bestimmter AuftraggeberInnengruppen, die kein unmittelbares NutzerInneninteresse haben, reduziert. Dies betrifft besonders die Ermittlung der NutzerInnenbedürfnisse. Was die Phasen von Konstruktion, Umwelt- und Energieplanung anbelangt, so dominieren hier somit eher kurzfristige Kostenvorteile als ökologische Gesamtrechnungen. Leistungsbereiche, die den Entwurfsphasen folgen, werden immer häufiger von anderen Berufen (BauingenieurInnen) wahrgenommen, deren Schwerpunkt auf technische, nicht aber individuelle und gesellschaftliche Grundlagen ausgerichtet ist. Das führt verstärkt dazu, daß die Architekturausbildung Anpassungen durchläuft, die einer Reduktion der Berufsaufgaben auf technische Vorgänge Vorschub leisten.

Ganzheitliches Anforderungsprofil gefragt

Neue AuftraggeberInnen, z.B. Wohngruppen, wirken diesem Trend entgegen, auch wenn sie zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen, so resultiert aus ihrer Auftragsstellung doch ein eher gesamtheitliches Anforderungsprofil an ArchitektInnen:

  • Kommunikation (Gespräche/Moderation mit AuftraggeberIn, Genehmigungsbehörden, Finanzierungs- und Förderungsinstitutionen)
  • Soziologie, Psychologie (Ermittlung der Zielvorstellung, Rückvermittlung der in baulich-räumliche Dimensionen umgesetzten Zielvorstellung)
  • Baurecht
  • Bauentwurf, Gestaltung/Ästhetik (inhaltlich-räumliche Organisation sozialer Anforderungen)
  • Darstellungstechnik
  • Ausführungsplanung (Baukonstruktion, Bautechnik)
  • Bauorganisation/-leitung
  • Ökologie (Energie, Material)
  • Ökonomie (Finanzierung, Förderung, Bau- und Betriebskosten)
  • Marktkenntnis (Material-, Bau-, Planungs- und Dienstleistungsangebot).

Architektur ist dann im Idealfall jenes ”Produkt”, das persönliche, individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse in Funktion, Material und Gestalt umsetzt und dadurch einen kulturellen Beitrag leistet, auf den die Gesellschaft nicht verzichten kann. Damit sind wir wieder bei Alberti, der den ArchitektInnen bereits im 15. Jahrhundert die gesellschaftliche Meßlatte hochlegte.

Volker Roscher ist Geschäftsführer des Bund Deutscher Architekten der Hansestadt Hamburg e.V.

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 2(1998), Hamburg