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Artikel Wohnprojekte für besondere Zielgruppen Wohnprojekte national/international

Frauen-Wohnen „Amanda“ in Rostock

*** von Katrin Kutzner ***

Im Frühjahr 1996 zogen fünf Frauen unterschiedlichen Alters und Typs mit ihrer gemischten Kinderschar in die Margaretenstraße. Hinter ihnen lagen 5 Jahre gemeinsamen Ringens um eine für Behörden, Banken, Nachbarschaft und manch Verwandte unverständliche Idee: Frauen planen, rechnen, bauen und wohnen gemeinsam.

Was wir wollten

Anfangs glaubten wohl nur wir selbst, eine Gruppe von 10 alleinerziehenden Frauen, an ein Gelingen. Den Bankern erschien das Projekt nicht nur kredit- sondern auch vertrauensunwürdig. Von dem Papierkrieg, dem Ärger mit Baufirmen, den Bergen von Schutt, dem Muskelkater und der klirrenden Kälte ahnten wir nichts. Doch wir wollten

  • aus Kleinstwohnungen (ca. 40 qm) ohne Bad mit Ofenheizung und WC im Hausflur ausziehen,
  • weiter im selben Stadtteil wohnen, unseren Kindern und uns das gewohnte Umfeld erhalten,
  • ein Zeichen setzen gegen die Verdrängung vieler BewohnerInnen infolge von Privatisierung und Sanierung,
  • in der Innenstadt von Rostock leben mit kurzen Wegen überallhin,
  • selbstgewählte Nachbarschaft im Haus verwirklichen,
  • auf die Wohnanforderungen Alleinerziehender aufmerksam machen.

Häusersuche und Bankenstreß

Um gemeinsam auftreten und handeln zu können, gründeten wir 1992 den gemeinnützigen Verein „Amanda – selbstbestimmtes Wohnen alleinerziehender Frauen“. Der Verein ist heute Eigentümer und Vermieter des Wohnprojekts.

Wir fanden mehr als 40 leere Häuser in der Rostocker Altstadt, die infrage gekommen wären. Weil keines davon verkäuflich war, waren wir kurz davor, aufzugeben. Da erhielten wir Anfang 1994 ein Angebot der städtischen Wohnungsgesellschaft von Rostock: ein altes Mietshaus, in unserem Stadtteil gelegen. Aber nach acht Jahren Leerstand war es eine Ruine.

Um es kaufen zu können, mußten wir einen Nachweis über die Gesamtfinanzierung erbringen. Grundlage dafür war das Investitionsvorranggesetz in den neuen Bundesländern, das es erlaubt, auch mit Rückgabeansprüchen belastete Objekte an InvestorInnen zu verkaufen.

Die Banken belächelten uns und erläuterten, dass erst der Hauskauf erfolgt sein müßte, bevor über eine Finanzierung verhandelt werden könne. Wir fühlten uns an der Nase herumgeführt, denn die Entscheidung über den Hauskauf konnte nur fallen mit einer schlüssigen Finanzierung. Wir versuchten vergeblich, Fördermittel, Spenden oder Bürgschaften zu bekommen. Nach Monaten gelang es uns dennoch, eine Bank zu überzeugen und die Finanzierungszusage zu erhalten.

Wohnprojekte brauchen eine Lobby

Wir informierten uns in Hamburg und Berlin über ähnliche Wohnprojekte. Vergleichbar war der Anspruch, selbstbestimmt und weniger traditionell zu wohnen. Anders die Fördertöpfe, das finanzielle Hinterland der BewohnerInnen und die Lobby für anderes Wohnen. Neben Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt hatten wir nun wöchentlich Behördentermine. Um Informationsverluste zu vermeiden und gemeinsam Entscheidungen zu treffen, waren zahlreiche Absprachen notwendig. Unser Organisationsvermögen wurde in dieser Zeit auf eine harte Probe gestellt. Geeignete Beratungsmöglichkeiten fehlten, so dass uns natürlich auch Fehler unterlaufen sind.

Gemeinsam planen und bauen

Für die Planungsphase gewannen wir eine Architektin, die unsere Vorstellungen sehr ernstnahm. Mit dem Ausbau der Dachetage sollten fünf Wohnungen entstehen. Es mußten Kompromisse ausgehandelt und die Grenzen des alten Gemäuers respektiert werden.

Da wir kaum Eigenkapital einbringen konnten, leisteten wir in hohem Maße Selbsthilfe am Bau. Besonders von Frauen erfuhren wir während dieser Zeit große Solidarität. Wir hatten Gelegenheit, andere Fähigkeiten an uns kennenzulernen und auszuprobieren. Anfangs konnten wir den neuen, ungewohnten Aufgaben nicht ausweichen, später bekam es seinen Reiz, eine technische Lösung selbst herauszufinden.

Resonanz im Stadtteil

Die anfangs skeptische und uns zurückhaltend hinter Gardine oder Zaun beobachtende Nachbarschaft zollte uns bald Anerkennung. Im Stadtteil gibt es neben jungen Menschen auch alte Leute, die schon seit ihrer Geburt hier wohnen. Die meisten waren erfreut darüber, dass nun wieder Leben in das vergitterte, öde Haus ziehen sollte. Ab und zu erhielten wir kleine Geschenke, bekamen Werkzeug geliehen oder konnten ein aufmunterndes Wort hören. Dass wir nicht wie eine gewöhnliche Baubrigade aussahen, verursachte zusätzliches Interesse.

Und danach …

Auch wenn wir in diesem Haus nur für fünf Alleinerziehende bedarfsgerechte Wohnungen schaffen konnten, haben wir doch mehr erreicht. Es ist nicht nur ein Farbtupfer in einem sonst immer noch grauen Stadtteil entstanden, sondern auch ein Symbol für die Stärken und Möglichkeiten von Frauen. Wir haben zahlreiche, wenn auch manchmal unnötige Hindernisse überwunden und andere angesteckt. Inzwischen gibt es in Rostock mehr Menschen, die unkonventionelle Wohnformen für realisierbar halten. Wir geben regelmäßig Interessierten die erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen weiter. Wir ermutigen, beraten und hoffen auf NachfolgerInnen.

Katrin Kutzner ist Mitarbeiterin des Büros Lokale Agenda 21 in Rostock und Bewohnerin des Frauenwohnprojekts „Amanda“

Zuerst veröffentlicht: Freihaus 4(1999), Hamburg