Der Spannskamp,
ein Quartier für alle Lebenslagen
*** Caroline Bolte ***
„In den 1960ern waren hier so viele Kinder auf den Festen.
Manche der Freundschaften bestehen heute noch. Ich bin 80 und meine Tochter wohnt gegenüber, ihr Freund aus Kindertagen dort hinten.“
„Wir können in den engen Kellern nicht unsere Räder reparieren. Nun sind wir dabei, eine Fahrradwerkstatt zu gründen und statten sie mit Unterstützung der Genossenschaft als Selbsthilfe-Projekt für die Nachbarn aus.“
„An unserem blühenden Gartentor bleiben die jungen Familien oft stehen und kommen mit unseren an Demenz erkrankten Bewohnerinnen ins Gespräch. Das ist toll für beide Seiten.“
„Ich bin eine enge Freundin der Familie und möchte Sie informieren, dass Frau E. verstorben ist. Bitte teilen Sie dies den Damen vom Erzählcafé mit.“
Diese und andere Erfahrungen machen die Nachbarschaft am Spannskamp aus. Unterstützung und Rahmenbedingung dafür stellt die Schiffszimmerer-Genossenschaft in Kooperation mit der Martha Stiftung und der Quartiersentwicklung des Diakonischen Werks Hamburg.
Das Konzept selbstbestimmtes Wohnenbleiben in vertrauter, generationengemischter Nachbarschaft fußt auf zwei Säulen:
- Nachbarschaft, um soziale Teilhabe, gesellschaftliches
Miteinander, partizipative Strukturen und Engagement zu fördern. - Versorgungssicherheit mit modularen Versorgungsangeboten,
die sich am Bedarf orientieren und neben ambulanter Pflege und Wohnformen für Pflegebedürftige auf einen „Bürger-Profi-Mix“ setzen.
Ziel ist ein Wohnen und Leben für alle Generationen
in einer aktiven und solidarischen Nachbarschaft.
Nachverdichtung in gewachsener Nachbarschaft
Der Spannskamp ist eine Wohnsiedlung in Hamburg-Stellingen aus den 1960er Jahren. Mit 338 Einheiten stellt die Schiffszimmerer-Genossen-schaft den größten Teil der Wohnungen. Viele der Mitglieder im Erstbezug sind geblieben und gehören inzwischen der Gruppe der Hochaltrigen an.
2019 wurden 71 nachverdichtete Wohnungen in drei Gebäuden fertig-gestellt. Diese nehmen die Bedarfe einer alternden Bewohnerschaft und jüngerer Generationen auf.
Umfangreiche Beteiligung und eine breit aufgestellte Konzeptentwicklung waren durch Konflikte erforderlich geworden, die die Planungen hervor-gerufen hatte. In diversen Gesprächsformaten mit der Bewohnerschaft, Analysen von Stärken und Schwächen der neuen eingebetteten Wohn-anlage in das Quartier, Recherchen und Abstimmungen zwischen den Kooperationspartnerinnen wurde die Projektentwicklung vorangebracht. Sie führte zur oben genannten Zielsetzung und zur Anschubfinanzierung durch die Freie und Hansestadt Hamburg.
In den drei entstandenen Neubauten betreut die Martha Stiftung eine Wohngemeinschaft für demenziell erkrankte Menschen, eine Wohnge-meinschaft für körperlich eingeschränkte Menschen sowie eine Pflegewohnung auf Zeit für Personen, die vorübergehend in eine barrierefreie Wohnung ausweichen müssen.
Ein neuer Gemeinschaftsraum und das Quartiersbüro für Nachbar-schaftsengagement und Quartiersmanagement des Diakonischen Hilfswerks bieten Anreiz und Unterstützung für Aktivitäten.
Wohnen bleiben in allen Lebenslagen gelingt
Hier wird eine lebendige Nachbarschaft mit überdurchschnittlich vielen Kontakten zwischen den Generationen gelebt. Im Werkstatt-Team, der Eltern-Kind-Vorlesegruppe, bei Bastelnachmittagen, Festen und auf Ausflügen nehmen regelmäßig verschiedene Generationen teil und organisieren zusammen die Gemeinschaft. Identifikation und Zufrie-denheit sind sehr hoch, die Bereitschaft sich einzubringen auch.
Die Versorgung im Alter, Pflegeberatung und die Überleitung bei Unter-stützungsbedarfen wird verlässlich durch Pflegedienste angeboten. Anwohnerinnen und Anwohner wissen, an wen sie sich mit Fragen zu Wohnen im Alter, Pflegegrad, Vorsorgevollmachten etc. wenden können. Bewegungsangebote, Handy-Sprechstunde, Info-Abende der Polizei und anderer geben niedrigschwellige Anregungen für ein aktives und selbstbestimmtes Leben.
Synergien für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit ergeben sich durch regelmäßige Kooperationstreffen. So wurde die nächtliche telefonische Rufbereitschaft nach der Erprobungsphase wieder eingestellt. Eine Umfrage im Quartier hatte ergeben, dass das Angebot zwar für ein gewisses Sicherheitsgefühl sorgte, jedoch in der Praxis nicht nachgefragt wurde.
Wohn-Formen und Versorgungs-Mix sind wichtige Bausteine für das Wohnen bleiben in vertrauter Nachbarschaft
Die Wohn-Pflege-Gemeinschaft für Menschen mit Demenz ist ein voller Erfolg. Ein eingespieltes und langjährig beständiges Team sowie eine Angehörigengruppe, die mit viel Herzblut und auch finanziellem Engagement agiert, sind die Stützpfeiler dafür. Beides ist essentiell für das gute Gelingen.
In der Wohn-Pflege-Gemeinschaft für körperlich eingeschränkte Menschen ist dagegen seit der Eröffnung nie ein wirkliches Gemein-schaftsgefühl entstanden. Dies führt dazu, dass der Träger einen hohen Betreuungsaufwand bewältigen muss. Außerdem sind die einzelnen Zimmer, die real als Apartments genutzt werden, zu klein und das hohe Mietniveau bei Neueinzügen oft ein Hindernis. Gleichzeitig bleiben die großzügigen Gemeinschafts- und Küchenflächen aufgrund des fehlenden Zusammenlebens weitgehend leer. Aus dieser Erfahrung stellt sich die Frage, ob für Menschen, die zwar einen Pflegebedarf haben, kognitiv aber nicht eingeschränkt sind, Wohn-Pflege-Formen mit größeren Individual-bereichen, in denen ein anonymeres Wohnen möglich ist, womöglich besser geeignet sind.
Die Pflegewohnung auf Zeit wird gut nachgefragt und ist ein wichtiger Mosaikstein im Portfolio der Martha Stiftung.
Auf den Punkt gebracht
Ehrenamtliche Nachbarschaft trägt zusammen mit verlässlichen Versor-gungsstrukturen wesentlich dazu bei, ob und wie lange jemand im Quartier wohnen bleiben kann. Dafür braucht es jedoch auch entschiedene Unter-stützung der Institutionen, hauptamtliche Aktivierung und finanzielle Ressourcen.
Die drei Aufgabenbereiche der Kooperationspartnerinnen
Schiffszimmerer-Genossenschaft
• Erstellung der Wohnformen für Ältere sowie
Gemeinschaftsraum und Quartiersbüro
• Neubau von 71 Wohneinheiten (44% barrierearm, 38% gefördert)
• Anschubfinanzierung gefördert durch die FHH:
Förderrichtlinie für kleinräumige, quartiersorientiere Wohn- und Versorgungsformen für den Bau zweier Wohn-Pflege-Gemeinschaften und der Quartiersräume sowie für die Quartierskoordination.
Diakonisches Hilfswerk Hamburg
• Analyse, (Weiter-)Entwicklung und Durchführung
der Quartiersentwicklung
• Quartiersmanagement, Aktivierung von Ehrenamt,
Anlaufstelle und Verweisberatung
• Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation
Martha Stiftung
• Pflege- und Betreuung der Wohn-Pflege-Gemeinschaft
für Menschen mit Demenz (neun Plätze) und für Menschen ohne kognitive Einschränkungen (vier Plätze)
• Vermietung und Organisation der Pflegewohnung auf Zeit
(ein Platz)
• Kostenlose telefonische Nachtbereitschaft
in der Zeit von 20-6 Uhr, in der Erprobungsphase
April bis Dezember 2019