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Artikel Stadtentwicklung Wohnungspolitik

Hamburg – Stadt der Wohnprojekte

Innovativ und vielfältig

*** von Josef Bura ***

In nur wenigen Städten und Gemeinden der Bundesrepublik sind Wohnprojekte so lange Bestandteil der öffentlichen Diskussion über Wohnen wie in Hamburg. Allerdings gibt es z. B. in Freiburg und in Tübingen eine höhere Dichte an Wohnprojekten. Jede Stadt, dies hat eine Untersuchung von Kuhn und Krämer gezeigt, hat ihre eigene Geschichte mit den neuen Wohnformen. In vielen Städten sind konzeptionelle Wohninnovationen überhaupt noch nicht angekommen. 25 Jahre Wohnprojekte in Hamburg, das ist eine Vielfalt an Innovationen und Ausdrucksformen von gemeinschaftlichem Wohnen.

Am Anfang der Geschichte der Hamburger Wohnprojekte steht ein wohnungspolitisches Fiasko. Das erste Wohnprojekt sollte in den frühen 70er Jahren ausgerechnet in einer der damals umstrittensten Wohnsiedlungen Hamburgs entstehen: in Steilshoop, einer Trabantenstadt konzipiert für 7.000 Wohneinheiten. Das sog. „Wohnmodell Steilshoop“ war von renommierten Akteuren der damaligen wohnungspolitischen Szene entwickelt worden. 200 Personen wurden aus verschiedensten sozialen Kreisen gezielt zusammengesucht: Lehrer und Sozialarbeiter, Drogenabhängige und Menschen, die auf der Straße lebten, aber auch „ganz normale Haushalte“, die einfach eine Wohnung suchten. Ein Modell für eine neue, eine solidarische Gesellschaft sollte es werden. Es ging schief, weil es alle überforderte: die Planer, die Nachbarn, die Bewohner und deren Vermieterin, die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA. Die Auflösung des Projekts dauerte dann fast zehn Jahre: Keiner in Hamburg wollte so etwas noch einmal erleben. Das Thema Wohnprojekte war out.

In den 80er Jahren: ausgerechnet Hausbesetzer bringen den Umschwung

Ausgerechnet HausbesetzerInnen schafften den Umschwung. Das waren Anfang der 80er Jahre junge Menschen, die illegal in zum Abriss vorgesehene Häuser eingezogen waren – wie in die Hamburger Hafenstraße. Andere hatten in zum Abriss vorgesehenen Häusern befristete Mietverträge, wie die Studentinnen und Studenten im Schröderstift. Sie blieben einfach nach Ablauf ihrer Verträge drin wohnen. Die Stadt Hamburg hatte ihnen nach ungezählten Räumungsdrohungen und zähen Verhandlungen dann doch Mittel für die Sanierung der Gebäude zur Verfügung gestellt. Die dort lebenden Mieterinnen und Mieter – allesamt Studentinnen und Studenten unter 25 Jahrensetzten die maroden, aber denkmalschutzwürdigen Gebäude überwiegend in Eigenleistung wieder instand.

Das Projekt Schröderstift wurde zu einem großen Erfolg. Die Gebäude wurden gerettet, ein Zeichen war gesetzt. Junge Menschen, denen man das im Traum nicht zugetraut hatte, erhielten mithilfe einer minimalen städtischen Förderung bauhistorisch bedeutsame Häuser, die von der Wohnungswirtschaft als unrentabel aufgegeben worden waren. Nach ihrer Sanierung wurde es nicht still um die Häuser. Legendär waren und sind bis heute die alljährlichen Sommerfeste, zu denen Menschen aus der ganzen Stadt strömen.

Bekannter wurde jedoch ein anderes Projekt: die Hamburger Hafenstraße. Länger als 10 Jahre wurde bundesweit darüber diskutiert. Hamburg war gespalten: Die einen plädierten dafür, die Hafenstraße zu räumen und abzureißen, andere für Erhalt und Instandsetzung der Gebäude. Geschickt verbündeten sich deren Bewohnerinnen und Bewohner mit der liberalen Öffentlichkeit in Hamburg. Die Politiker hielten jedoch über lange Jahre an Drohgebärden und Polizeieinsätzen fest. Das hielt andere junge Menschen jedoch nicht davon ab, ihrerseits auch Häuser zu besetzen.

Ab Mitte der 80er Jahre setzte sich angesichts immer wiederkehrender Besetzungs- und Räumungsszenarios („kein Haus bleibt länger als 24 Stunden besetzt“) langsam die Erkenntnis durch, dass es für alle Beteiligten besser wäre, anstelle repressiver sog. „alternative“ Methoden anzuwenden. Das hatte schon Berlin im Umgang mit „seinen“ Hausbesetzern gezeigt. So entstanden ab Mitte der 80er Jahre die sog. Förderprogramme der „alternativen Sanierung“ und „alternative Sanierungsträger“: erst STATTBAU HAMBURG, dann die Lawaetz-Stiftung. Damit war der Damm gebrochen: Mehr und mehr Wohnprojekte entstanden in der 2. Hälfte der 80er bis Mitte der 90er Jahre. Besetzte Häuser wurden auf diese Weise legalisiert und erhalten, fünf kleine neue Genossenschaften als Träger für diese Wohnprojekte gegründet. Außerdem wurde Wohnraum für benachteiligte junge Menschen, für solche ohne festen Wohnsitz und für andere „Problemgruppen des Wohnungsmarktes“ geschaffen. 1994 wurden in Hamburg offiziell fast 40 sog. „alternative Wohnprojekte“ gezählt. Mehr kamen später noch dazu – zuletzt auch die Hafenstraße.

Nach der Wende: Wohnprojekte im sozialen Wohnungsbau entstehen

Mit der Wende kam in Hamburg der Wohnraummangel. Die Einwohnerzahlen stiegen kräftig an, nicht jedoch die Zahl der Wohnungen. Da es in den mittlerweile sanierten Innenstadtvierteln kaum noch Leerstand gab, schlossen sich Interessierte zusammen, um von der Politik Wohnprojekte im Wohnungsneubau einzufordern.

Die Politiker hatten zwischenzeitlich erstaunt festzustellen, dass kein einziges der bestehenden Wohnprojekte der ehemaligen Hausbesetzer gescheitert war. Im Gegenteil: Busladungen von Fachleuten aus anderen Städten kamen zu Besuch und ließen sich von den vormals widerspenstigen jungen Leuten und nun zufriedenen Wohnprojektlern durch ihre Gebäude und Wohnungen führen. Dies machte Eindruck: Wenn schon ehemalige sog. „Chaoten“ Wohnprojekte realisieren konnten, dann sollten auch solidere und ältere Bevölkerungskreise dazu in der Lage sein. Seit Anfang der 90er Jahre förderte Hamburg dann auch Wohnprojekte im Neubau.

Sie entstanden zunächst im Bereich der inneren Stadt zwischen St. Georg und Ottensen: vor allem für junge Familien, für Alleinerziehende, für ältere Menschen sowie für generationenübergreifende Wohnzusammenhänge. Am Anfang wurden Wohnprojekte fast immer von neu gegründeten Wohnungsbaugenossenschaften realisiert. Auf diese Weise wurde Hamburg zur heimlichen Hauptstadt von jungen Genossenschaften in der Bundesrepublik. In keiner anderen Stadt gibt es so viele junge Wohnprojektegenossenschaften wie in Hamburg. Die meisten von ihnen sind Kleinstgenossenschaften mit einem bis drei Mehrfamilienhäusern in ihrem Bestand, andere sind Dachgenossenschaften – wie die größte unter ihnen, die Schanze Wohnungsbaugenossenschaft eG mit über 20 selbständigen Wohnprojekten in ihrem Bestand.

Die Agentur für Baugemeinschaften – die fachpolitischen Strukturen für Wohnprojekte verbessern sich

Mitte 2003 verbesserten sich die Umsetzungsbedingungen für Wohnprojekte in Hamburg strukturell. Eine städtische Agentur für Baugemeinschaften wurde in der Hamburger Verwaltung installiert. Zwar waren deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon vorher mit dem Thema befasst, aber mit einem eigenen Referat waren sie von nun an ausschließlich für die Förderung von Wohnprojekten zuständig, womit ihre Bedeutung aufgewertet wurde.

Ihre Hauptaufgaben bestehen darin, Interessierte generell zum Thema zu beraten und ihnen bei Verfahrens- und Verwaltungsfragen hilfreich zur Seite zu stehen. Sie sollen eine Wohnraumförderung für Wohnprojekte im genossenschaftlichen wie im individuellen Eigentum entwickeln und an veränderte Bedingungen anpassen. Vor allem sind sie beauftragt, Grundstücke der Stadt für Wohnprojekte zu sichern und in Hamburg für das Thema Wohnprojekte Werbung machen.

Seitdem wurden die Zugangswege für Wohnprojekte zu kommunalen Grundstücken aufgrund der politischen Vorgaben verbessert. Von allen Grundstücken, die für Wohnungsbauzwecke von der Stadt Hamburg auf den Markt kommen, sollten zunächst 10%, dann 15% und seit der jetzigen Regierungskoalition 20% für neue Wohnformen zur Verfügung gestellt werden. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Wohnprojekte heute: neue Tendenzen

Seit der Entstehung der Agentur für Baugemeinschaften entwickeln sich in und für die Wohnprojekteszene in Hamburg neue Tendenzen: Die große Zeit der kleinen und neuen Wohnungsbaugenossenschaften scheint vorbei zu sein. An deren Stelle treten klassische Genossenschaften, die angelockt durch attraktive Grundstücke, Wohnprojekte als Ergänzung zu ihrem traditionellen Wohnungsbau unter ihre Fittiche nehmen.

Gründe hierfür liegen in den veränderten Förderbedingungen, durch die die klassischen Genossenschaften aufgrund ihrer größeren Finanzkraft in den letzten Jahren favorisiert wurden. Das ist eine sehr positive Entwicklung für Nachfrager im Mietwohnungsbau, die nicht über ausreichend Eigenmittel verfügen. Sie können auf diese Weise Zugang zu Wohnprojekten bekommen. Auch wohnungspolitisch ist das ein großer Fortschritt. Das wird vor allem beim Vergleich mit anderen Städten deutlich. Dort macht die Wohnungswirtschaft immer noch einen großen Bogen um das Thema Wohnprojekte.

Eine zweite Tendenz ist auch auffällig: Die Zahl der Wohnprojekte im individuellen Eigentum nimmt strukturell stark zu. Baugemeinschaften im individuellen Eigentum, die nach Bezug zu nachbarschaftsorientierten Wohnungseigentümergemeinschaften werden, stellen über die Hälfte der zur Zeit in Bau befindlichen Wohnungen. Diese Entwicklung signalisiert, dass zunehmend Menschen in Wohnprojekte einziehen, die über hinreichend finanzielle Ressourcen verfügen, um sich ihren Wohnraum kaufen zu können. Ob dies eine positive Entwicklung ist, bleibt abzuwarten, weil sie zu Lasten der Förderung von Wohnprojekten im Mietwohnungsbau geht.

Hamburg: Wo wir stehen

Hamburg kann wie kaum eine andere Stadt auf eine lange und ungebrochene Tradition der Wohnprojekteförderung zurückgreifen. Einen Vergleich braucht die Stadt nicht zu scheuen, auch wenn sie bundesweit nicht an der Spitze liegt. Spitze hingegen ist Hamburg bei genossenschaftlich geförderten neuen Wohnformen, sei es in Form von Kleingenossenschaften oder in Form von klassischen genossenschaftlichen Trägern.

Es gibt vergleichsweise gute Rahmenbedingungen mit eingeübten Verfahren, um die uns Interessierte aus anderen Städten beneiden. Was anderswo als paradiesische Verhältnisse bestaunt wird, empfinden Hamburgerinnen und Hamburger als unbefriedigend. Sie beklagen sich nach wie vor darüber, dass sie mehrere Jahre warten müssen, bis sie „ihr“ Wohnprojekt realisieren können. Wenn es aber dann endlich losgeht, stehen ihnen erfahrene Architekturbüros und Baubetreuer zur Seite.

Die Nachfrage nach neuen Wohnformen wächst stetig weiter, die zur Verfügung stehenden Flächen entsprechen diesem Bedarf nicht. Das ist schon seit vielen Jahren eines der größten ungelösten Aufgaben. Die Tatsache, dass in Hamburg Wohnprojekte für Menschen mit unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen realisiert werden und dass unterschiedliche Vorstellungen von Selbstbestimmung in Wohnprojekten realisiert werden können, ist zunächst sehr positiv zu bewerten. Auch positiv ist das Engagement klassischer Wohnungsbaugenossenschaften dabei.

Dass es in den letzter Zeit jedoch eine gravierende Verlagerung zu Gunsten der Besserverdienenden gegeben hat, ist problematisch. Wünschenswert wäre es auch, endlich ein größeres städtisches Areal für Wohnprojekte zu „reservieren“, wie z.B, in der jetzt anstehenden Planung für die Bahnflächen am Bahnhof Altona, wo Wohnprojekte ihre Potenziale und ihre Synergien richtig entfalten könnten. Beispiele, von denen Hamburg lernen kann, sind in Tübingen und Freiburg zu besichtigen.

Josef Bura ist Sozialwissenschaftler und seit vielen Jahren Mitarbeiter von STATTBAU HAMBURG GmbH.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 17(2010), Hamburg