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Interview – Baugemeinschaften und Wohnungsbauentwicklungsplan 2009

*** mit Angela Hansen – Agentur für Baugemeinschaften ***

Die Agentur für Baugemeinschaften ist seit 2003 Anlaufstelle und Knotenpunkt bei der Entwicklung von Baugemeinschaften auf städtischen Grundstücken. Im vergangenen Jahr gab es organisatorische und personelle Veränderungen. FreiHaus sprach mit Angela Hansen, langjährige Mitarbeiterin und neue Leiterin der Agentur für Baugemeinschaften.

FreiHaus Frau Hansen, zunächst erst mal Herzlichen Glückwunsch! zu Ihrer neuen (und alten) Tätigkeit für die Agentur für Baugemeinschaften. FreiHaus hatte ja in der letzten Ausgabe Bedenken bezüglich der Neuordnung der Agentur geäußert. Wie sieht es heute aus?

Die wichtigsten Veränderungen im Verfahren

Hansen: Die Umstrukturierung der Abteilung ist nun abgeschlossen, in der Praxis sieht es gut aus. Alle Förderprogramme, auch die Förderrichtlinie für Baugemeinschaften werden federführend in einem Referat innerhalb der Abteilung fortgeschrieben. Es findet eine enge Abstimmung mit uns als Agentur und mit der Hamburgischen Wohnungsbaukreditanstalt (WK) statt.

Es besteht intensiver und reger Austausch über die Förderung der Projekte. Die Aufnahme der Baugemeinschaftsprojekte in das Wohnungsbauprogramm erfolgt weiterhin durch die Agentur, die Erstberatung zur Förderung und die erste Prüfung der Grundrisse erfolgt auch hier. Die wohnungsbezogene konkrete Beratung und detaillierte Abstimmung erfolgt dann im zweiten Schritt durch die WK. Mit ihr stehen wir im engen Kontakt.

In der Koordinationsrunde Baugemeinschaften (KORB) erfolgt die grundsätzliche Abstimmung der Rahmenbedingungen der Baugemeinschaftsförderung mit den Baubetreuern und den Genossenschaften, die Bauvorhaben mit Projektgruppen umsetzen.

Durch die neue Referatszusammensetzung „Flächen- und Projektentwicklung sowie Agentur für Baugemeinschaften“ konnten Fachkompetenzen erweitert, gebündelt und dadurch Synergieeffekte genutzt werden. Beispielsweise können wir durch die Beteiligung an allen Bebauungsplanverfahren und auch an städtebaulichen Wettbewerben frühzeitig Einfluss nehmen und Flächen für Baugemeinschaften „orten“ und reservieren. Der Kontakt zu den Bezirken ist beständiger als vorher, die verbesserte Vernetzung bringt uns Vorteile für die Agenturarbeit.

FreiHaus: Was hat sich noch verändert?

Hansen: Der Senat hat in dem von ihm beschlossenen Wohnungsbauentwicklungsplan einige für die Agentur wichtige Richtungsentscheidungen getroffen. Er hat sehr detailliert Rahmenbedingungen und Handlungsfelder der Hamburger Wohnungspolitik und Förderung benannt. Darüber hinaus geht es um die Steuerung der Wohnbauflächenpotenziale, die ja bekanntermaßen in einer Stadt wie Hamburg begrenzt sind. Baugemeinschaften werden als eine der tragenden Säulen der Wohnungspolitik zukünftig noch stärker unterstützt.

Besondere Förderung für integrative Projekte

Wir haben darüber hinaus die Förderung verbessert und weiter entwickelt. Wir differenzieren bei genossenschaftlichen Projekten nach Kleingenossenschaften Für Kleingenossenschaften ist die Subvention im Vergleich zur bisherigen Förderung im Umfang von durchschnittlich 30 bis 40% erhöht worden. Der Regelförderzeitraum beträgt 20 Jahre, eine Verlängerung auf 30 Jahre wird ermöglicht, wenn Haushalte mit erhöhtem Integrationsbedarf (z.B. Körperbehinderte, psychisch Kranke) einbezogen werden. Zusätzlich kann ein ergänzendes WK-Darlehen nach Ende des eigentlichen Förderzeitraums gewährt werden, um eine langfristige Finanzierungssicherheit zu geben.

FreiHaus: Bürden Sie damit nicht kleinen Akteuren, die genug damit zu tun haben, ihre eigenen kleinen Bauvorhaben zu realisieren, eine große Verantwortung auf?

Hansen: Es ist ein Angebot, das wir den Baugemeinschaften unterbreiten und das mit den von mir erläuterten günstigeren Förderbedingungen verbunden ist. Daneben steht natürlich weiterhin „übliche“ Weg der Förderung ja weiterhin zur Verfügung.

Grundsätzlich neu ist, dass kleine Genossenschaften deutlich besser gefördert werden als traditionelle Bestandsgenossenschaften, da diese über einen ganz anderen finanziellen Background und damit größeren Ressourcen verfügen. Für sie ist es interessant, mit Baugemeinschaften zu bauen, da es hier eine enge Verknüpfung zum Genossenschaftsgedanken mit seinem Prinzip der Solidarität gibt. Darüber hinaus werden im Vergleich zur üblichen Förderung im Mietwohnungsbau höhere Einkommensgrenzen anerkannt und subventioniert. Interessant ist für Bestandsgenossenschaften natürlich auch der relativ einfachen Zugang zu attraktiven Grundstücken zum Verkehrswert.

Grundstücke für Baugemeinschaften

FreiHaus: Stichwort Grundstücke: Wo kommen die zukünftig her?

Hansen: Die Stadt Hamburg hat jetzt den Anteil der städtischen Wohnungsbauflächen, der für Baugemeinschaften zur Verfügung gestellt werden soll, von 15% auf 20% erhöht.

In der sog. Dispositionsrunde Wohnungsbau werden geeignete Grundstücke gemeinsam mit dem Immobilienmanagement der Finanzbehörde (als zentraler Ansprechpartner für die städtischen Grundstücke), den Bezirken, der Sozialbehörde, dem Amt für Natur- und Ressourcenschutz und der Agentur für Baugemeinschaften festgelegt.

Die Grundstücke für Baugemeinschaften werden i.d.R. zum Verkehrswert verkauft, der vom Gutachterausschuss ermittelt wird und lageabhängig variiert.

Darüber hinaus soll zukünftig – nicht nur für Baugemeinschaftsgrundstücke – das wohnungspolitische, städtebauliche und energetische Konzept für die künftige Bebauung (Konzeptqualität) eine maßgebliche Rolle spielen. Hierdurch können Flächen zielgenauer entwickelt werden.

FreiHaus: Und kommen die Gruppen jetzt schneller an ein Grundstück als früher? Wie transparent ist das Verfahren der Grundstücksvergabe?

Hansen: Aktuell haben wir ca. 115 Gruppen, die sich als Interessenten für Baugemeinschaften in der Agentur haben registrieren lassen. Selbst wenn davon 10% oder 20% nicht mehr aktuell sein mögen, ist das noch eine riesige Zahl und wir werden sie nicht alle kurzfristig versorgen können. Hinzu kommt, dass das Interesse bei den Bürgerinnen und Bürgern steigt, in einer Baugemeinschaft zu leben.

Wenn ein Grundstück für Baugemeinschaften zur Verfügung gestellt wird, schreiben wir alle registrierten Gruppen an und bitten sie uns eine Interessenbekundung zu schicken. Darüber hinaus wird das Grundstücksangebot über unsere Internetseite bekannt gemacht. Im weiteren Verfahren können sich die Gruppen dann innerhalb einer Frist bewerben.

Im anschließenden Auswahlverfahren wird nach Auswahlkriterien, die vorher bekannt gegeben wurden, entschieden, welche Gruppe das Grundstück erhält. Die Kriterien können konkrete grundstücks- oder quartiersbezogene Kriterien sein, z.B. der Anteil von Familien oder die Integration eines sozialen Projekts. Darüber hinaus muss i.d.R. der Eigenkapitalanteil nachgewiesen werden können.

Erstaunlicherweise gibt es aber auch Grundstücke, für die sich wenige oder keine Gruppen bewerben. Wir können jedoch leider nicht nur Grundstücke in den innerstädtischen nachgefragten Quartieren anbieten. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Gruppen auch für weitere Stadtteile öffnen. Dies würde natürlich die Chance für die Baugemeinschaftgruppen erhöhen, ihr Projekt realisieren zu können. Es ist für uns jedenfalls immer unerfreulich, wenn wir Grundstücke, die aus unserer Sicht für Baugemeinschaften geeignet wären, an die Finanzbehörde zurückgeben müssen.

FreiHaus: Ist bekannt, welche Ausstrahlung Baugemeinschaften und Wohnprojekte in den Quartieren haben, in denen sie sich befinden?

Hansen: Baugemeinschaften werden im Umfeld stark wahrgenommen. Neue Interessierte kommen oftmals auf uns zu, weil sie Menschen kennen, die in einer Baugemeinschaft wohnen. Das ist bekannt, weil in der Kita, Schule, Kirchengemeinde oder ähnlichem drüber gesprochen wird.

In Quartieren mit organisierten Beteiligungsprozessen (z.B. in Sanierungsgebieten) gibt es positive Beispiele. So sind viele der neuen Bewohner des Parkquartiers Friedrichsberg aktiv in den Stadtteilgremien in Barmbek Süd.

Kaum noch Projekte in selbst organisierten Genossenschaften

FreiHaus: Uns ist aufgefallen, dass es bei der Realisierung von Wohnprojekten immer weniger selbst organisierte Genossenschaftsprojekte gibt. Stärker gewachsen ist die Zahl der realisierten Eigentumsprojekte und der Kooperationen mit traditionellen Genossenschaften.

Hansen: Hierauf haben wir – wie zuvor schon beschrieben – mit einer Verbesserung der Förderung für Baugemeinschaften, die sich als selbst organisierte Genossenschaften gründen, reagiert.

Eine wesentliche Veränderung ist wohl, dass das Thema „gemeinschaftliches Wohnen“ ein viel breiteres Interesse anspricht als früher, dass viele Menschen, die Projekte initiieren immer noch politisch aktive Gruppen sind, dass sich aber auch zunehmend andere Gruppen für diese Wohnformen interessieren, z.B. Familien, die nette Nachbarn suchen oder in Hamburg wohnen bleiben wollen oder ältere Alleinstehende, die zentral und in der Stadt wohnen wollen. Für die letzt genannte Personengruppe ist es oft interessanter, mit einer traditionellen Genossenschaft zu bauen, als selbst voll in den Prozess als Bauherr einzusteigen. Jüngere Familien bevorzugen Eigentumsprojekte.

Kooperationen oder „Wohnprojekte light“?

FreiHaus: Sind das „Wohnprojekte light“, d.h. es gibt weniger Beteiligung der zukünftigen BewohnerInnen?

Hansen: Für uns sind alle Modelle akzeptabel. Wichtig ist, dass im Vordergrund die Baugemeinschaft steht und selbst wählt, welche Form der Realisierung für sie die Richtige ist. Auch Projekte, die unter das Dach einer Traditionsgenossenschaft gehen, bekommen eine gute Förderung. Die Genossenschaften erhalten einen erhöhten Aufwendungszuschuss. Eine Bedingung dafür ist bei spielsweise der Abschluss eines, Kooperationsvertrages. Dieser regelt die beidseitigen Rechte und Pflichten. Das können z.B. gewisse Mitsprachemöglichkeiten der Hausgemeinschaften, Einbeziehung der BewohnerInnen bei der Planung, vor allem der Grundrisse, bei der Nachbelegung von frei werdenden Wohnungen sein und ein gewisses Maß von Selbstverwaltung sollen sie auch erhalten, wenn es gewünscht wird.

FreiHaus: Weiblich ledig 60+ sucht… Gemeinschaftliches Wohnen wird zunehmend stärker von dieser Gruppe nachgefragt. Diese Gruppe passt jedoch nicht in die gängigen Förderprogramme, d.h. dass sie, wenn sie noch berufstätig ist, ein zu hohes Einkommen hat, um in eine geförderte Wohnung beziehen zu können, wenn sie in Rente gehen und das Einkommen entsprechend niedrig ist, kann oft das Eigengeld nicht mehr aufgebracht werden. Der Erwerb von Wohnungseigentum macht in diesem Alter sowieso keinen Sinn, bzw. es findet sich auch keine Bank bereit zur Finanzierung.

Hansen: Das moderne Leben führt dazu, dass immer mehr Erwachsene ohne Kinder leben. Der Anteil dieser Gruppe steigt. Diese Gruppe wird zukünftig stärker in den Fokus der Förderungssystematik rücken.

FreiHaus Frau Hansen, Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch mit Angela Hansen führte Britta Becher, Mitarbeiterin der STATTBAU HAMBURG GmbH, für die FreiHaus-Redaktion

Informationen

Ein Leitfaden gibt Auskunft über die Arbeitsteilung und Verfahren zwischen Agentur für Baugemeinschaften, Finanzbehörde- Immobilienmanagement und Bezirksämtern.

Gleichfalls steht die Förderrichtlinie Baugemeinschaften 2009 der Hamburgischen Wohnungsbaukreditanstalt zur Verfügung im Internet zum Herunterladen zur Verfügung

Die Auswahlkriterien für die Bewerbung von Baugemeinschaften werden aktuell abgestimmt und in Kürze auf der Internetseite der Agentur für Baugemeinschaften veröffentlicht werden: www.baugemeinschaften.hamburg.de

Entwicklung von realisierten Wohnprojekten und Baugemeinschaften

Die nachfolgende Tabelle zeigt deutlich die insgesamt gestiegene Anzahl von Wohnprojekten und Baugemeinschaften seit Einrichtung der Agentur für Baugemeinschaften in 2003.

Deutlich wird aber auch der Rückgang von Projekten mit kleinen Genossenschaften, der starke Anstieg von Eigentümergemeinschaften und der gestiegene Anteil von Kooperationsprojekten mit traditionellen Bestandsgenossenschaften.

Seit 1990 bis 2002 fertig gestellt:

  • 600 Wohnungen (WE) in 31 Baugemeinschaftsprojekten, davon durch
  • kleine Genossenschaften 355 WE
  • Traditionsgenossenschaften 15 WE
  • Eigentümergemeinschaften 156 WE
  • private Investoren 74 WE

Seit Einrichtung der Agentur für Baugemeinschaften zwischen 2003 und 2008 fertig gestellt:

  • 704 Wohnungen (WE) in insgesamt 30 Projekten, davon durch
  • kleine Genossenschaften 234 WE
  • Traditionsgenossenschaften 178 WE
  • Eigentümergemeinschaften 292 WE

Quelle: Wohnungsbauentwicklungsplan DS 19/2995 vom 5.5.2009, S. 33

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 16(2009), Hamburg