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Schleswig-Holstein: Neue Förderung

*** Interview mit Heidrun Buhse, Innenministerium Schleswig-Holstein ***

Die Nachfrage nach genossenschaftlich orientierten Wohnformen boomt im Norden Deutschlands. Das Land Schleswig-Holstein hat zu dieser Thematik eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. FreiHaus fragt nach bei Heidrun Buhse aus dem Innenministerium Schleswig-Holstein zur aktuellen Situation und zu Zukunftsperspektiven genossenschaftlicher Wohnprojekte.

FreiHaus: In allen norddeutschen Bundesländern gibt es einen Boom der Nachfrage nach nachbarschaftlich organisierten Wohnprojekten. Wie sieht die aktuelle Situation in Schleswig-Holstein aus?

Buhse: Auch in Schleswig-Holstein ist diese Nachfrage ungebrochen, leider besteht im Flächenland das Problem, dass die regionalen Umsetzungsbedingungen und die Nachfrager nicht immer zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Allerdings verlagert sich das Interesse für nachbarschaftliche Wohnprojekte zunehmend auf die Stadtregionen der kreisfreien Städte und auf die Metropolregion. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass Gruppenwohnprojekte dort gewünscht und umgesetzt werden, wo die Alltagsorganisation durch kurze Wege und gute Infrastruktur städtebaulich unterstützt wird. Insofern sind Wohnprojekte eine gute Chance für die Städte, den Abwanderungstendenzen privater Haushalte etwas entgegenzusetzen. Sowohl bei der Modernisierung von veralteten Stadtteilen als auch bei der Entwicklungsplanung neuer Wohnquartiere sollten die Städte und die Kommunen der städtischen Regionen in Zukunft noch stärker als bisher auf die Nachfrage nach Grundstücken und Gebäudebeständen für Gruppenwohnprojekte eingehen.

Aktive Gruppen vor allem in städtischen Regionen

Aktive Projektgruppen lassen sich z. Zt. insbesondere in Kiel und Lübeck ausmachen, wo große städtebauliche Konversionsund Entwicklungsmaßnahmen (Anscharkrankenhaus-Gelände in Kiel-Wik; Gartenbaugelände Steenbeker Weg oder auch Hochschulstadtteil Lübeck) durch innovative und architektonisch anspruchsvolle Wohnprojekte geprägt werden sollen. Zudem ergeben sich immer wieder auf Baulücken oder durch Umnutzungsgelegenheiten städtisch geprägte kleinteilige Wohnprojekte wie z.B. „Wohnen & Arbeiten am Rathausturm“ in Kiel oder die Umnutzung des Lübecker Stadtbades am Krähenteich, wo jeweils ca. 12–37 Wohneinheiten ergänzt durch Büro-, Laden- und Praxiseinheiten nicht nur gemeinschaftliches Mehr-Generationen-Wohnen ermöglichen, sondern auch Funktionen rund um das Wohnen wieder zusammenführen und durch zusätzliche Raumangebote ergänzen. In der Metropolregion tut sich z. Zt. eine Menge: Ahrensburg weist mit „Allmende Wulfsdorf“, dem Projekt „Jung & Alt gemeinsam“ und der sozial & therapeutischen Initiative „Pentagramm“ sogar mehrere Wohnprojekte und Initiativen zu verschiedenen Schwerpunkten auf. In Norderstedt soll die ökologische Siedlung „Glashütte“ (ca. 35 Wohneinheiten) entstehen, in Geesthacht, Reinbek, Pinneberg, Bad Oldesloe und in Itzehoe sind verschiedenste Initiativen für Wohnprojekte und nachbarschaftliche Siedlungen auf den Weg gebracht worden. Die Agenda 21 Gruppe im Kreis Plön unterstützt gleich mehrere kleine Initiativgruppen, die an verschiedenen Orten Wohnprojekte umsetzen wollen. Eine Besonderheit stellt die Maro Temm Sinti Genossenschaft i.Gr. dar. Sie ist als Dachgenossenschaft gegründet worden, um in Kiel ein erstes selbstverantwortetes soziales Gruppenwohnprojekt der deutschen Sinti zu bauen und in der Trägerschaft der Dachgenossenschaft an anderen Orten weitere folgen zu lassen.

FreiHaus: Neues Wohnen alter Menschen. Ist das auch ein Nachfrageschwerpunkt in Schleswig-Holstein?

Buhse: Obwohl komfortable Seniorenanlagen als klassische Angebotsplanungen überall in Schleswig-Holstein entstehen, steigt auch bei den älteren und alten Menschen die Nachfrage nach selbstverantworteten Wohnformen in Gemeinschaft in überschaubarer Größenordnung und Maßstäblichkeit, die auf die Wünsche und Bedingungen dieser Zielgruppe stärker eingehen und dabei Raum für individuelle Vorstellungen lassen.

Mehrere Initiativgruppen älterer Menschen

In Schleswig-Holstein gibt es einige Initiativgruppen älterer Menschen wie z. B. in Altenholz und Heikendorf bei Kiel, in Schleswig, Eiderstedt und in Norderstedt, die gern unweit ihres derzeitigen Lebensmittelpunkts mit Gleichgesinnten zusammen kostengünstig und mit individuell wählbarer Betreuung Wohnprojekte umsetzen möchten. Zudem wird in vielen Wohnprojekten das Mehr-Generationen-Thema aufgegriffen. Neueste Tendenzen verknüpfen diese Interessen mit der Absicht, eine Genossenschaft zu gründen, die nicht nur Wohnraum herstellt, sondern auch als Träger für Serviceangebote funktionieren könnte.

FreiHaus: Was sind die Hauptprobleme, vor denen die Wohngruppen in Schleswig- Holstein stehen?

Buhse:

  1. Anders als in Hamburg finden die Initiativen für Wohngruppenprojekte regional sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen und Umsetzungschancen vor. In der Regel tun sich die Kommunen noch sehr schwer, Projekte in der ersten Gründungsphase zu unterstützen. Ohne eine kommunale Unterstützung z. B. durch Grundstücksanhandgaben, Schaffung von angepassten Planungsrechten und angepassten Grundstückspreisen, evtl. auch durch Hilfen bei der Vor- oder Zwischenfinanzierung der Liegenschaften ist es aber den Gruppen in der Regel nicht möglich, – oft im zeitlichen Wettlauf zu renditeorientierten Bau- und Erschließungsträgern – ihr Vorhaben zeitnah zu entwickeln und umzusetzen.
  2. Zudem fehlt den Gruppen oft der Wille und die Möglichkeit, sich zeitnah mit Hilfe von erfahrenen Fachleuten die Professionalität anzueignen, die einfach notwendig ist, um Wohnprojekte nicht nur zu träumen. Es ist zu beobachten, dass vielen Interessierten nicht klar ist, dass sie in Wohnprojekten nicht nur Verantwortung für die eigenen Vier-Wände übernehmen, sondern auch – egal in welcher Trägerkonstruktion – stets auch ein Stück Verantwortung für das Ganze tragen.
  3. In den letzten fünf Jahren ist seitens der Landesregierung viel zur Unterstützung von Wohnprojekt-Initiativen und des Erfahrungsaustauschs der Gruppen untereinander getan worden. Bislang wurden dennoch die Organisationsformen und Trägerschaften stets nur projektbezogen gelöst, ein Großteil davon in Eigentumswohnformen. Die Chancen, projektübergreifende Trägerschaften oder auch Bündelungen von Interessen, Kapazitäten und Finanzkraft zu bilden, blieben bislang weitgehend ungenutzt, was insbesondere sozial schwächer gestellten Interessenten den Zugang zu Wohnprojekten oft verstellte.
  4. Als Schwierigkeit war in der Vergangenheit sicherlich auch die für Wohnprojekte nicht optimal geeignete öffentliche Förderung anzusehen.
  5. Zudem war der klassischen Wohnungswirtschaft in Schleswig-Holstein das Thema Wohnprojekte bislang weitgehend unbekannt. Diese beiden zuletzt genannten Punkte befinden sich z. Zt. in einer positiven Veränderungsphase.

FreiHaus: Sie haben eben als erstes das Thema Grundstücke angesprochen. Warum sollten Kommunen viel stärker auf Wohngruppen zugehen?

Buhse: Wenn es gelingt, Wohnprojekte in Bestandsquartiere oder in Neubaugebiete zu integrieren, gehen die Kommunen in der Regel als Gewinner hervor. Oft sind es nicht nur die städtebaulichen, baulichen und ökologischen Qualitäten solcher Wohnprojekte,von denen das Umfeld oder der Stadtteil profitieren, sondern auch das besondere bürgerliche Engagement der Bewohner, das ein soziales, nachbarschaftliches Miteinander bewirkt und damit einhergehend in der Regel verschiedenste positive und stabilisierende Effekte auch nach außen hin auslöst.

„Kommunen als Gewinner“

Oft werden Gemeinschaftseinrichtungen, stadtteilbelebende Funktionsmischungen, gemeinschaftliche Verantwortung für Wohnumfeldqualitäten und Unterstützungen der örtlichen Infrastruktureinrichtungen erreicht, die durch konventionelle und in der Regel anonyme Angebotsplanungen nur schwer herzustellen wären. Wohnprojekte bauen eher Kosten und Flächen sparend, sind an Maßnahmen zur Verkehrsreduktion interessiert und können insbesondere in den Städten durch Ansätze zum Mehr-Generationen-Wohnen die monostrukturierten Siedlungstrends in Richtung Single-Wohnung unterbrechen.

FreiHaus: Wie sieht die Struktur der bisher geförderten Wohngruppen-Projekte aus und warum wollen Sie das ändern?

Buhse: Wie schon gesagt sind in der Regel Eigentumswohnformen z.T. mit integrierten Mietwohnungen und Gemeinschaftsanteilen umgesetzt worden. Eine ökologische Siedlung und eine Privatisierungsinitiative von Mietwohnungsbeständen durch die Bewohner, beides neu gegründete Genossenschaften in Kiel, sind die Ausnahmen.

Genossenschaftliche Initiativen stärken

In Schleswig-Holstein fehlt es an Trägerschaften, die sich gegenseitig unterstützen und denen es gelingt, auch finanziell schwächer gestellte Haushalte in die Wohnprojekte zu integrieren. Das Kernziel der Wohnraumförderungspolitik ist es, Haushalte, die sich am Markt nicht selbst versorgen können, gezielt zu unterstützen und stabilisierend auf Wohnquartiere einzuwirken. Aus diesem Grund sollen Wohnprojekte,die in genossenschaftlicher Trägerschaft entwickelt werden, in Zukunft zielführender gefördert werden. Durch eine Stärkung des genossenschaftlichen Prinzips, dem dritten Weg neben Wohnen im Eigentum oder zur Miete, könnten viele Probleme gelöst werden, die sich angesichts der demographischen und sozialen Veränderungen und der gedämpften Erwartungen in die Einkommensentwicklung abzeichnen. Zudem lassen sich durch genossenschaftliche Wohnformen die steigenden berufsbedingten Mobilitätserfordernisse der Haushalte besser umsetzen als im Eigentum. Die genossenschaftlichen Prinzipien „Demokratie“, „Identität“ und „Solidarität“ lassen sich insbesondere in kleinteiligen und weitgehend selbstverwalteten Wohnprojekten so verwirklichen, dass eigentumsähnliche Wohnsituationen mit den positiven Effekten der Gemeinschaft gekoppelt werden können und damit die Attraktivität gegenüber Miete und Einzeleigentum steigern.

FreiHaus: Sie haben der STATTBAU HAMBURG GmbH Machbarkeitsstudie zum Thema genossenschaftlich organisierte Wohngruppenprojekte in Auftrag gegeben. Was sind deren Ergebnisse?

Buhse: Die Studie widmet sich den konkreten Ansatzpunkten und den grundsätzlichen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Umsetzungsszenarien der Wohnprojekte in Schleswig-Holstein. Dabei greift sie ca. 15 Projektinitiativen auf. Im Sinne einer übergreifenden und effizienten Beratung der Projektinitiativen soll die Studie diesen Projekten (aber auch anderen in Schleswig-Holstein) als Entscheidungshilfe zugunsten genossenschaftlicher Trägerschaften dienen, immer wiederkehrende Fragen der Interessenten beantworten und Ratschläge geben. Die Gründung einer projektübergreifenden Dachgenossenschaft für Schleswig-Holstein oder alternativ für bestimmte Zielgruppen wird in der Studie beleuchtet und den Gruppen zur Entscheidung angetragen. Zudem wurde ein Vorschlag für eine effizientere Förderung von kleinteiligen Genossenschaften gemacht.

Maßgeschneiderte Förderung

FreiHaus: Wird es besondere Förderbedingungen für genossenschaftlich organisierte Wohngruppenprojekte geben und wie können die aussehen?

Buhse: Weder die soziale Wohnraumförderung mit den erforderlichen Sozialbindungen, noch die klassische Eigentumsförderung für förderfähige Haushalte mit Kindern greift das auf, was bunt gemischte genossenschaftliche Wohnprojekte unterstützen könnten. Deshalb wird zukünftig ein Förderprogramm für neue Wohnungsgenossenschaften unter definierten Rahmenbedingungen und der Voraussetzung eines breiten sozialen Mix der Haushalte sowohl Ankauf von Beständen, als auch Modernisierung und Neubau fördern. Dabei wird eine angepasste Förderung einer angepassten Form der Sozialbindungen gegenüberstehen, damit die Trägerschaftsform und die soziale Qualität der Wohnung nachhaltig gesichert ist.

Natürlich werden Einkommensgrenzen zu berücksichtigen sein, dennoch steht es der Genossenschaft frei, auch freifinanzierte Wohnungen zu ergänzen. Es wird allerdings mit einer Absenkung der erforderlichen Eigenkapitalquote und Elementen zur Sicherung der Bonität auf die speziellen Probleme junger Genossenschaften Rücksicht genommen. Das Förderprogramm wird unter der Voraussetzung, dass die zur Zeit noch bestehende Einkommensgrenzenverordnung dementsprechend ausgeweitet werden kann, noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen können.

FreiHaus: In welcher Weise werden Sie die neue Ergebnisse in die Fläche des Bundeslandes kommunizieren?

Buhse: Außer der interaktiven Website der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.: www.wohnberatung-sh.de, die auch weiterhin besteht und zur maßgeblichen Infoplattform für Wohnprojekte werden soll, wird es eine Öffentlichkeitskampagne geben, die von August bis Dezember läuft. Im Rahmen dieser Kampagne sind zusammen mit der STATTBAU drei Workshops und eine Fachtagung geplant, mit dem Ziel, die Ergebnisse der Studie, die Fragen der Projektinitiativen, die Probleme der Kommunen aufzugreifen und insgesamt das Bewusstsein weiter zu schärfen und möglichst viele Projekte in die Umsetzungsreife zu bringen. Zwei Workshops haben bereits mit guten Ergebnissen stattgefunden. Am 30.10.04 und voraussichtlich am 26.11.04 werden weitere Veranstaltungen folgen.

FreiHaus: Sehen Sie auch konkrete Ansätze für das Zusammengehen von neuen Wohngruppen mit eingeführten Genossenschaften in Schleswig-Holstein?

Buhse: Es gibt schon jetzt insbesondere mit der Esbjergweg eG in Kiel-Mettenhof und der Wohnungsbaugenossenschaft Kiel-Ost eG eine Art Patenschaft und Unterstützung in der Geschäftsführung. Diese Art von Unterstützung und Zusammenarbeit haben auch andere innovative und aufgeschlossene Genossenschaften signalisiert. Darüber hinaus wird z. Zt. in Kiel geprüft, ob und wie z. B. Wohnprojekte in Gebieten der „Sozialen Stadt“ in klassische Genossenschaften integriert werden können, ohne ihren Projektstatus zu verlieren. Die geplanten Workshops werden auch diese Ansätze thematisieren, ebenso nimmt die geplante Förderung diesen Ansatz auf.

FreiHaus: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch

Heidrun Buhse ist im Referat für Wohnraumförderung Innenministerium Schleswig- Holstein u. a. tätig für soziale Wohngruppenprojekte. Die Fragen stellte Dr. Josef Bura, STATTBAU HAMBURG GmbH

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 11(2004), Hamburg