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Was braucht es für ein zukunftsfähiges Wohnen im Quartier?

Im Gespräch mit Vorständin Martina Pleyer (Martha Stiftung) und dem Geschäftsführer Maik Greb (Hartwig-Hesse-Stiftung)

Die Martha Stiftung und die Hartwig-Hesse-Stiftung engagieren sich in besonderem Maße dafür, dass sich Mieterinnen in ihren Quartieren wohlfühlen und gute Wohnbedingungen vorfinden. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell in Hamburg, wenn es um das Thema „Wohnen bleiben im Quartier“ im Kontext einer älter werdenden Gesellschaft geht und mit welchen Ansätzen stellen Ihre Unternehmen sich diesen Herausforderungen?

Martina Pleyer: Die Martha Stiftung ist dieses Jahr 175 Jahre alt geworden und hat das Jubiläum unter das Motto „gemeinsam“ gestellt. Das ist seit vielen Jahren unser Anliegen sowie unsere Orientierung und das trifft auch für das Wohnen im Alter zu. Seit 30 Jahren bemühen wir uns strategisch, für jede Phase des Alterns Angebote bereitzustellen. Seit dieser Zeit beschäftigen wir uns auch mit dem Quartiersgedanken. Als besonderes Beispiel innerhalb der Martha Stiftung möchte ich das Seniorenzentrum St. Markus nennen. Hier gibt es Angebote für Menschen aus dem Stadtteil, wie einen Frisör oder Fußpflege. Außerdem sind das Café und der Mittagstisch für alle geöffnet und die Gemeinschafts- räume können ange-mietet werden. Dieses Modell folgt dem Prinzip: Wenn ich eine Pflegeeinrichtung für die Nachbarschaft öffne, dann habe ich Leben im Haus und viele Möglichkeiten für Kontakt, Kommunikation, Aktion und natürlich auch soziale Kontrolle.
Was sind die Herausforderungen im Quartier?
Erstens geht es um die Wohnmöglichkeiten. Entscheidend ist ein
barrierefreies Gebäude, das eine eigenständige Mobilität ermög-licht. Auch technische und/oder digitale Ausstattung wie assistive Technologien sind unterstützend, kosten aber viel Geld. Einen wirklichen Engpass gibt es bei bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum. Wenn quartiersbezogene Versorgung politisch gewollt ist, muss dies auch dauerhaft finanziell unterstützt werden und nicht alleine durch Projektförderungen.
Zweitens muss die Infrastruktur stimmen. Damit ein Wohnen im Quartier funktionieren kann, muss eine vernünftige Verkehrs-anbindung und eine barrierefreie Nahversorgung mit Ärztinnen, Apotheken und allem, was Menschen im Alter brauchen, vorhanden sein. Drittens braucht es die Menschen. Es braucht Menschen, die sich kümmern, zum Beispiel im Rahmen eines Quartiersmanagements. Als Martha Stiftung bemühen wir uns, Menschen zusammen zu bringen. Dabei geht es auch um die Seniorinnen und ältere Menschen, die aktiv mitgestalten möchten.

Maik Greb: Die Martha Stiftung und die Hartwig- Hesse-Stiftung sind sich in vielen Punkten ähnlich. Auch wir wollen ein Versor-gungsnetz für Menschen ab 60 Jahre aufbauen und die ganzheitliche Situation betrachten. Ein Mensch mit 60 kann bei uns einziehen und mit all seinen Themen bis zum Ende des Lebens bei uns wohnen bleiben. Das muss nicht bei uns in einem Gebäude sein, sondern kann auch in der Nachbarschaft bei Kooperationspartnerinnen sein, aber es sollte eine räumlich verbundene Struktur geben. Und das ist das, was wir unter dem Quartiersbegriff verstehen.
Als große Herausforderung sehe ich auch die Gebäude. Wir kriegen so viel Anfragen von Menschen, die in ihrer Wohnung nicht bleiben können, weil die Barrierefreiheit fehlt. Und ich frage mich immer, welche Versorgungs-defizite lassen wir zurück, wenn wir ihnen eine Absage erteilen? Servicewohnen ist ein wichtiger Baustein im Quartier für Menschen ab 60. Mit dem Service-zuschlag, den die Personen zahlen, gibt es Leistungen, die vereinbart sind. Es ist Kernaufgabe des Servicewohnens im Blick zu behalten, was es für Angebote gibt und wie das Leben für die Bewohner-innen verbessert werden kann. Die „Kümmerer-funktion“, d.h. passende Angebote für unsere Einrichtung zu identifizieren, von denen auch die Menschen im Wohnumfeld profitieren, wird damit automatisch ausgefüllt. Durch eine strategische Weiterentwicklung des Servicewohnen durch die Stadt – auch durch eine bessere Refinanzierung – könnte für die Quartiere viel gewonnen werden.

Martina Pleyer: Wir sagen oft: Servicewohnen ist die beste Einsamkeits-prophylaxe. Ich ziehe in eine barrierefreie Wohnung und kann mich gleichzeitig an gemeinschaftlichen Freizeit-angeboten beteiligen. Und ich habe immer die Möglichkeit, im Kontakt zu sein. Und die Mitarbeitenden stehen in Verbindung mit sehr vielen Institutionen und Akteuren im Stadt- teil und im Quartier.

Maik Greb: Wir haben aber Probleme auf der Finanzierungsseite. Wir sind operativ tätig und das, was wir einnehmen, das geben wir aus. Damit haben wir wenig Rücklagen, um Risikothemen abzubilden. Wir müssen daher bei Projekten von Beginn an wissen, dass es sich in ein paar Jahren trägt. Ich finde, hier ist die Stadt nicht ausreichend kooperativ, um uns gemeinnützige Anbieterinnen stärker zu unterstützen. Zum Beispiel hat die IFB eine wirklich tolle Förderkulisse. Aber ich würde mir mehr, d.h. eine langjährige Sicherheit bei den Förderbedingungen wünschen. Dann hätten wir mehr Sicherheit bei der Realisierung neuer Projekte. Es würde auch nicht viel kosten, eine Absicherung einzubauen. In der Regel gehen die Projekte ja auch gut durch. Ansonsten bin ich der Ansicht, dass Bauge-nehmigungsverfahren vereinfacht werden müssten. Tobias Behrens (ehemaliger Geschäftsführer der STATTBAU HAMBURG GmbH) hat immer gesagt „gemeinnützige Institution sind natürliche Partner der städtischen Interessen“. Das sehen wir auch so und möchten in dieser Rolle von der Stadt auch stärker wahrgenommen werden.

Martina Pleyer: Mein Wunsch wäre auch, dass gemeinnützige Unter-nehmen in den Prozessen anders behandelt werden als renditeorientierte Wohnungsbauunternehmen. Wir sind
gemeinnützig und wollen für Menschen bauen, die wenig Geld haben. Da würde ich mir insbesondere in Baugenehmigungs-prozessen mehr Beschleunigung und Koordination wünschen.

Frau Pleyer, welche Quartiere in Hamburg sind Ihrer Ansicht nach bereits gut für das Wohnen mit Unterstützungsbedarf vorbereitet und aus welchen Gründen?

Martina Pleyer: Ich bin überzeugt, dass es dort funktioniert, wo sich engagierte Akteure, wie beispielsweise wir als Stiftung, aktiv einbringen. Ein gutes Beispiel ist das gewachsene Quartier Spannskamp, in dem wir tätig sind. Die Schiffszimmerer-Genossenschaft hat dort ihren Baubestand modernisiert und vorher einen umfassenden Beteiligungsprozess initiiert, bei dem die Bedürfnisse der Mieterinnen abfragt wurden. Jetzt schafft das Diakonische Werk Begegnungsmöglichkeiten für die Nachbar-schaft und es kommen verschiedene Akteure zusammen, die das Quartier gemeinsam stärken. Es ist ein kleines, überschaubares Quartier. Auch bei dem Seniorenzentrum St. Markus im ver- dichteten Stadtteil Eimsbüttel bietet die Pflegeein- richtung mit den Kontakten z.B. zum Einzelhandel und anderen Dienstleister-innen ganz viel um den Standort herum.
Nicht so gut funktionierte es in den neuen Stadtteilen wie der HafenCity, in die wir damals früh eingestiegen sind.
Hier fehlte es an einer funktionierenden Infrastruktur, wie z.B. an Einkaufsmöglichkeiten oder Ärztinnen. Ähnlich ist es jetzt im Neubaugebiet Baakenhafen. Gewachsene Quartiere haben den Vorteil, dass man sich kennt und es Akteure gibt, die wissen, wie der Stadtteil tickt.

Das Stiftsviertel in St. Georg gilt in Hamburg als ein Vorzeigeprojekt im Bereich Kooperation und Vernetzung im Quartier. Herr Greb, was macht das Stiftsviertel gegenüber anderen Quartieren so besonders und erfolgreich?

Maik Greb: Also grundsätzlich gelingt die Zusammenarbeit und die Ko-operation, auch wenn in unserem Pflegenetzwerk derzeit eine stationäre Ein-richtung zwei Häuser schließen möchte. Wir haben natürlich das Interesse, diesen Versorgungsbaustein zu erhalten und das am liebsten mit einem Partner, der ähnliche ideelle Grundsätze teilt. Und diese gemein-nützige Orientierung aller Partnerinnen im Netzwerk und die gewachsene Struktur trägt dazu bei, dass es funktioniert. Wir als Hartwig-Hesse- Stiftung sind seit 1826 ansässig, die Amalie Sieveking-Stiftung wurde kurz danach gegründet.
Als wir im Jahr 2010 unseren Gebäudebestand verändern wollten, haben wir uns vor Ort umgeschaut, was es für Angebote gibt und wo wir unsere Kooperationen ausweiten müssen, um für das Stiftsviertel einen Mehrwert zu erzeugen.
Dabei blicken wir immer durch unsere gemeinnützige Brille. Und wenn es Partnerinnen gibt, die etwas besser können, beziehen wir sie mit ein. Wir stellten fest, dass vor Ort eine Kita und auch generationsübergreifendes Wohnen und Wohnen für Familien fehlten. So haben wir bei dem Neubau auf unserem Stiftungseigenen Grundstück u.a. eine Kita und eine Bauge-meinschaft für Familien mit eingeplant.

Und welche Rolle spielt der Kulturladen in St. Georg?

Maik Greb: Der Kulturladen hat eine lange Tradition vor Ort und tolle, engagierte Personen, die mit ihrem Angebot Menschen zusammenbringen, die wir nicht so auf dem Schirm haben. Dort werden wirklich alle zusammengebracht und es gibt dann wiederum einen Rückfluss auch in unsere Institutionen hinein. Es gibt Gesangsangebote im Kulturladen, die wiede- rum in unsere Demenz WGs gehen, oder unsere Be- wohnerinnen gehen dorthin. Das ist toll.
Martina Pleyer: Ich würde auch generell sagen, Kultur ist kein Add-on. Ich glaube, wir dürfen überhaupt nicht unterschätzen, wie wichtig das für uns Menschen ist. Gerade in solchen Zeiten, in denen antidemokratische Prozesse zunehmen, ist es wichtig, dass unterschiedliche Menschen bei kulturellen Ereignissen zusammenkommen.

Das Stiftsviertel erscheint in vieler Hinsicht als ein positives Beispiel. Frau Pleyer, mit Blick auf die Wohn- und Versorgungsformen, was fehlt in vielen Hamburger Quartieren?
Martina Pleyer: Grundlegend für funktionierende Quartiere sind die infrastrukturellen und technischen Voraussetzungen. Barrierefreie Wohnungen, in denen sich Menschen mit Einschränkungen gut bewegen können. Genauso wichtig ist es, dass diese Menschen ihre Wohnung verlassen können und im Quartier geeignete Angebote vorfinden.
Dabei muss ich mich im Quartier auch sicher fühlen und das nicht unbedingt nur aus Kriminalitätsgesichtspunkten: Ich muss mich orientieren und mich mit meinem Rollstuhl oder Rollator stolper-
frei bewegen können. Wichtig sind auch Ansprechpersonen, die wissen, wo ich was finde und die kulturelle Veranstaltungen und
Freizeitaktivitäten organisieren. Zusätzlich braucht es eine Ehrenamts-struktur. Außerdem sollten Angebote kontinuierlich vorgehalten werden. Es reicht nicht, ein kleines Projekt für drei Jahre zu finanzieren und es dann wieder einstellen zu müssen.

Mit Blick auf die bauliche Struktur vom Quartier, wie sollte dies gestaltet sein, um die Versorgung der Mieter*innen zu sichern? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?

Maik Greb: Ich finde es nicht nur für die Generation 60+ wichtig Barrierefreiheit vorzuhalten. Das ist für alle Generationen wichtig. Jede Familie mit Kinderwagen ist dankbar dafür. Ähnlich ist es mit technischen Assistenzsystemen. Die Vorrüstung für altersspezifische Assistenzsysteme ist im Grunde dasselbe, wie es jüngere Menschen als Smart Home nutzen möchten. Das, was ich dann anschließe, kann individuell auf meinen Bedarf abgestimmt sein. Wenn das als Baukörper gewährleistet ist, dann
funktioniert vieles schon ganz gut.

Kann man zugespitzt sagen, „Wohnen bleiben im Quartier“ funktioniert besonders in gewachsenen urbanen Stadtteilen und weniger in Randgebieten?

Maik Greb: Wichtiger ist, dass jeder Stadtteil sehr anders ist und es immer einen individuellen Blick auf die Dinge vor Ort braucht. Das hilft, um die Stärken der einzelnen Gebiete mitzunehmen. In Rissen ist dies als Beispiel ein starker Bürgerverein und es gibt dort eine gute ambulante Versorgung und eine tolle Tagespflege des ASBs.
Martina Pleyer: Ich kann nicht das eine Quartier in das andere setzen. Es geht wirklich darum, sich anzugucken, was vorhanden und realistisch umsetzbar ist. Die Menschen in den Hamburger Stadtteilen sind sehr unterschiedlich. Und ich meine schon, dass es in gewachsenen urbanen Quartieren einfacher ist, aber ich
würde überhaupt nicht sagen, dass es woanders unmöglich ist.

In welcher Weise müssten sich aus Ihrer Sicht die politischen oder ökonomischen Rahmenbedingungen ändern, damit Sie bzw. Ihre Stiftung das „Wohnen bleiben im Quartier“ auch in Zukunft weiterhin oder noch besser sichern können?

Martina Pleyer: Die politischen und behördlichen Entscheidungswege sollten wirklich einmal überdacht werden. Wir brauchen Möglichkeiten, schneller zu agieren und wir brauchen mehr Verständigung zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die in Genehmigungsverfahren involviert sind. Und wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass man sich die alten Gebäude im Bestand stärker aus der Perspektive anguckt: Was können wir davon retten? Müssen wir wirklich, also auch unter ökologischen Gesichts- punkten, alles neu bauen?
Maik Greb: Gut finde ich die Idee, die es ja schon gibt, dass in der Stadt eine Stelle geschaffen wird, die Bauvorhaben von gemeinwohlorientierten Akteuren koordiniert und als Ansprechpartner fungiert. Darüber hinaus würde ich es begrüßen, wenn es eine Ansprechperson gibt, die die Anforderungen verschiedener Abteilungen in den Behörden zusammen-fasst und moderiert.