Kategorien
Altwerden im Quartier Artikel Wohnprojekte Hamburg Wohnungspolitik

Wir sind mit unserem Latein noch nicht am Ende

Über das Altwerden im Panterhaus – Eine Spurensuche

*** Ulrike Petersen ***

Von der Agenda gemeinschaftlicher Wohnformen sind heutzutage Themen wie Altwerden im Quartier, sorgende Gemeinschaften und Inklusion – mithin die Vermeidung von Isolation, Ausgrenzung und ungewollten pflegebedingten Umzügen nicht mehr wegzudenken. Sie knüpfen, wenn auch unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen und neuen Begrifflichkeiten an die Projekte der 1980er Jahre an. Damals hieß das Motto „Nicht allein und nicht ins Heim“.

Ob und wie die Pilotprojekte der ersten Stunde über Jahrzehnte hinweg ihre Ziele erreicht haben, dazu fehlt es (leider) an Langzeitstudien. Stattdessen geht es hier am Beispiel des Pantherhauses um Spurensuche: Welche Erfahrungen hat die generationsübergreifende Hausgemeinschaft, die seit 1986 in Hamburg St. Pauli existiert, mit dem Altwerden gemacht?1

Von der Idee zum Haus
Die Entstehungsgeschichte der Grauen Panther Hamburg e.V., gegründet 1980, wurzelt in den 1970er Jahren, der Zeit der „Neuen sozialen Bewegungen“. Bundesweit bekannt wurde die Altenselbsthilfegruppe durch eines der ersten Wohnprojekte – das Pantherhaus.
„Die Idee für ein Projekt zum gemeinsamen Wohnen und Arbeiten von Alt und Jung ist entstanden aus der Ablehnung der gegenwärtigen Situation im Alten- und Pflegeheim (…). Wir sind fest davon überzeugt, dass das von uns geplante Haus eine
Ausstrahlung über die Nachbarschaft hinaus haben wird. Wir werden zeigen, wie eine Alternative zu bestehenden Einrichtungen aussehen kann.“

Während der jahrelangen Suche nach einem Gebäude ging es nicht um einen bestimmten Standort, sondern darum, überhaupt ein Haus auf Mietbasis zu finden. Innerstädtisch sollte es liegen, bezahlbar für eine alters- und sozialgemischte Gruppe sowie der Möglichkeit, in eigener Regie über die Wohnungsbelegung zu entscheiden. Gefunden wurde ein abrissgefährdeter Altbau mit acht Wohnungen und einer Gewerbefläche, Baujahr 1911, im Besitz des städtischen Wohnungsunternehmens SAGA. Weil es sich um eine Art „Wohnmodell“ handelte, wurde das Gebäude mit öffentlicher Förderung modernisiert. Für einen Aufzug oder sonstige barrierereduzierende Maßnahmen war leider kein Geld vorhanden – das war und ist bis heute selbstredend von Nachteil! Dennoch stimmte der Verein zähneknirschend zu, unterzeichnete einen Generalmietvertrag und entscheidet bis heute nach dem Alt-Jung-Prinzip, wer einzieht.

Eindrücke und Erfahrungen aus der Hausgemeinschaft
bis heute

„Wir sind aus unterschiedlichen Höhen ins unbekannte Gewässer gesprungen. Wir hatten die Schlüssel in der Hand, die Wohnungen verteilt, das Leben konnten wir nicht vorwegnehmen.“

Im Oktober 1986 zogen fünf Frauen und drei Männer im Alter von Anfang 20 bis Mitte 80 Jahren ein. Niemand von ihnen kam aus St. Pauli. Die neue Umgebung war gewöhnungsbedürftig. Die Menschen drumherum – neugierig bis skeptisch – wollten wissen, ob die Älteren mit ihren Pflegern eingezogen seien und was denn passieren würde, wenn wirklich jemand aus dem Haus krank würde.
„Als alle acht Wohnungen bezogen waren, sehnten wir uns nach etwas Ruhe. Aber von Ruhe haben wir nichts gemerkt. Die Handwerker mussten immer wieder Mängel und Schäden beseitigen. (…) Ständiger Wirbel entstand zusätzlich durch die Medien. Nachdem bekannt wurde, dass die Hausgemeinschaft in der Lerchenstrasse Modell-Charakter hatte – das war uns gar nicht recht bewusst – gaben sich Fernsehen, Rundfunk, Fotoreporter und Journalisten die Ehre, uns zu besichtigen. Wir hatten ja noch gar keine Erfahrung im Zusammenleben. Deshalb kamen oft seltsame Geschichten über uns zustande.“

Bis heute gibt es keine Hausordnung im Pantherhaus, aber das ungeschriebene Gesetz, sich gegenseitig zu helfen. Klar war von Anfang an: Bei dauerhaftem Betreuungs- und Pflegebedarf sollten Freund*innen und Angehörige und so viel externe Unterstützung und ambulante Pflege – wie gewünscht und benötigt – eingebunden werden.
„Fast sechs Jahre lang bestand die Hausgemeinschaft, deren Mitglieder in jeder Hinsicht völlig eigenständig wirtschaften, in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung. Nach drei Jahren wurde ein Kind geboren und ein Nachbar, ein fast 80jähriger Mann, der in diesem Haus sehr zurückgezogen gelebt hat, verstarb. Inzwischen wurde im Pantherhaus geheiratet, aus- und eingezogen und gestorben. Kurz vor ihrem 95ten Geburtstag verstarb die älteste Hausbewohnerin. 1996 wurde wieder ein Kind geboren.“

„Zeitweise hingen im Flur Arbeitspläne, damit wir nichts vergaßen. Wir machten Krankenhausbesuche, sprachen mit den Ärzten und den Angehörigen. Das Wichtigste aber war, dass unsere Nachbarn [die im Krankenhaus waren] wieder in ihre gewohnte Umgebung kommen konnten. Dieser Gedanke, wieder nach Hause zu können, hat
ihnen viel geholfen!“


Doch trotz nachbarschaftlicher Fürsorge und professioneller Hilfe stieß die Hausgemeinschaft auch an ihre Grenzen. Dass eine ältere Mitbe-wohnerin aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung in ein Pflegeheim umziehen musste, war für alle eine der bittersten Erfahrungen. Die Hausgemeinschaft konnte zwar eine Zeit lang nahezu rund um die Uhr an ihrer Seite sein, nicht aber auf Dauer. Eine Tages- bzw. Nachtpflegeeinrichtung oder eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft, die für Entlastung hätte sorgen können, gab es im Stadtteil leider nicht.
„Es war ein Jahr, in dem unsere Nachbarschaft einer echten Bewährungsprobe ausgesetzt war. Wir Jüngeren waren stark gefordert und mussten unseren Tagesrhythmus nach den Bedürfnissen unserer älteren Nachbarn einrichten.“

2024 – Zwischen Kiez, Kindergarten und Krankenhaus
Im vorigen Jahr verstarb der damals älteste Bewohner mit 91 Jahren. Bis kurz vor seinem Lebensende lebte er völlig selbstständig und brachte sich aktiv in die Gemeinschaft ein. Er starb nach einer Operation im Krankenhaus. Wieder hieß es Abschiednehmen und wieder begann die Suche nach neuen Mieter*innen. Ein halbes Jahr später ist eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter eingezogen – das Leben steht nicht still. Nun besteht die Hausgemeinschaft aus fünf Frauen, fünf Männern und zwei Kindern. Die beiden Jüngsten sind im Kita-Alter, die Erwachsenen um die 30, 40, 50, 60 und 70 Jahre alt. Drei von ihnen stammen noch aus der ersten Panterhausgeneration.
„Natürlich haben wir dazu gelernt. Und doch sind wir mit unserem Latein nicht am Ende. Natürlich wissen wir viel voneinander. Und trotzdem, sind wir vor keiner Überraschung sicher.“

Das Pantherhaus, seit 38 Jahren offen für Menschen, Gruppen und Aktivitäten aus dem Stadtteil, hat über all die Jahre tiefe Wurzeln geschlagen, ein großes Netzwerk um sich herum geknüpft. Eine
Tages- oder Nachtpflege oder eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft gibt es immer noch nicht in St. Pauli, stattdessen soll aus Personal-mangel eine Abteilung in einem nahe gelegenen Pflegeheim geschlossen werden.