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Holsten knallt am Dollsten

Ein Sachstandbericht zum Holsten-Quartier und insbesondere der Frage der Baugemeinschaften

*** von Christian Trede ***

Es war einmal eine Brauerei, die feststellen musste, dass der gemeine Bürger einfach nicht mehr so viel Bier trinkt wie er/sie es bisher getan hat.
Was macht man nun in dieser misslichen Lage?
Man denkt über Umstrukturierungsmaßnahmen nach, wie es Konzernen so in der Regel machen.

Alte Technik muss erneuert, Personal kann gestrichen werden… und Flächen, die man nicht braucht, können aufgegeben werden. Das haben sie zunächst mit dem „Kistenlager“, einer Fläche an der Harkortstraße getan (nördliche Fläche in Mitte Altona) – und an die ECE Projektmanagement G.m.b.H. & Co. KG (ECE) verkauft.
Leider hatte Holsten nicht die möglichen stadtentwicklungspolitischen Potenziale erkannt – im Gegensatz zur ECE – und fühlte sich am Ende über den Tisch gezogen, da sie das Grundstück zu billig verkauft haben.
Mit der Drohkulisse die Bierproduktion nach Mecklenburg-Vorpommern zu verlagern und den Standort Hamburg aufzugeben, wurde der damaligen Regierung das Verspechen abgepresst, die Fläche freihändig verkaufen zu dürfen – und der Puls von Holsten konnte merklich gesenkt werden. Eine sog „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach §165 BauGB“ – wie von den Grünen gefordert – um den Grundstückswert einzufrieren, wurde abgelehnt. Das Grundstück selbst zu kaufen – zu einem fairen Preis – wurde gar nicht
erst erwogen. Die Fläche wurde im Höchstgebotsverfahren verkauftkloppt, bei dem sogar alle relevanten Hamburger Projektentwickler ausgestiegen sind, weil sie den Preis für irrsinnig hielten.
Das führte uns in die Situation, die wir nun vorfinden. Grundstücksspekulation par Excellence. Ein Share Deal jagt den nächsten – und der Wert steigt ins Absurde. Wer hier sich vertiefen will: https://www.immobilien-zeitung.de/157440/spiel-mit-grundstuecken.

STATUS QUO

Geschickterweise hatte der Senat die Entwicklung nicht evoziert und die Planung dem Bezirk überlassen – so wie es sich auch gehört. Dreh und Angelpunkt ist das vorhandene Planrecht – „Industrie mit Ausweisung Brauerei“. So eine Gebietsausweisung ist auf den Grundstückswert bezogen im Verhältnis zu den aktuell gehandelten Werten nur ein
Promillewert – also auf Deutsch: es ist nichts wert. Es wird erst etwas wert, wenn man das Planrecht in Wohnen &
Gewerbe ändert.
Das versetzt „Politik“ am Ende dann doch in die komfortable Position wenigstens Forderungen stellen zu können, da die Bezirksversammlung „Plangeber“ ist – ohne ihre ­Zustimmung ist das Grundstück weiterhin nichts wert bzw. nur eben „Industrie“. Leider sind der Kommunalpolitik ­bezogen auf die Art der Nutzung im Wohnungsbau bei der Miethöhe bzw. den Verkaufspreisen bei Eigentumswohnungen die Hände gebunden.
Fraktionsübergreifend wurden eine ganze Reihe von Forderungen beschlossen, die aktuell in einem sog. öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Bezirk und Eigentümer verhandelt und in Kürze unterschrieben werden soll. Dieser Vertrag muss dann auch eingehalten werden. Zu den Forderungen gehören u.a. der Grünanteil, 1/3 Sozialwohnungen, eine Schulerweiterung, ein Community-Center, ein Handwerkerhof mit Mietbindung, Wohnungen für Menschen mit Assistenzbedarfen – und 20% der Wohnungsbaufläche für Baugemeinschaften mit zum Teil begrenzten Grundstückswerten.
Der städtebauliche Entwurf übernimmt weitestgehend die Struktur von Mitte Altona – ohne die Fehler zu wiederholen. Soll heißen, die Blöcke sind großzügiger geschnitten und nicht so eng.

BAUGEMEINSCHAFTEN

Die Frage der Baugemeinschaften soll insoweit gelöst werden, dass ein kleiner Teil am Park (Baufeld 2) und der überwiegende Teil in dem mittleren der nördlichen drei Baublöcke (Baufeld 7) – südlich der Bahn errichtet werden sollen. Das führte zunächst zu Unmut, da eine Verteilung der Baugemeinschaften über das gesamte Gebiet, oder zumindest in zwei halben Blöcken an verschiedenen Standorten das eigentliche Ziel war. Die Aufspaltung würde aber zu „grundstücks-wertbezogenen Ausgleichserfordernissen“ führen, die an anderer Stelle kompensiert werden müssten. Auf Deutsch: belegt man Grundstücksteile, die mehr Wert sind als der Baugemeinschaftsblock mit Baugemeinschaften, kann es dazu führen, dass bspw. die Beteiligung der Grundeigentümer an den Baukosten für das Community-Center gekürzt werden müsste. Da die FHH die Baugemeinschaftsgrundstücke aufkauft und zudem die Sorge bestand, im Bauablauf durch die längeren Abstimmungsprozesse bei den Baugemeinschaften Lücken in den Blöcken zu generieren, einigte man sich dann doch für die überwiegende Umsetzung im Nordblock.

STRAHLEN

Und dann kommt plötzlich etwas völlig Unerwartetes: In der Hafencity sollten entlang der Bahn Wohnungen und eine Schule gebaut werden. In der näheren Betrachtung im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens poppten plötzlich die elektromagnetischen Abstrahlungen auf, die entstehen, wenn die vorbeifahrenden Züge Strom aus den Oberleitungen ziehen. Diese stehen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Verdacht bei Dauerbelastung Leukämie bei Kindern zu erzeugen. Einen Beweis gibt es dafür bisher nicht. Was hat man gemacht? Aus Wohnen wurde Gewerbe und die Schule wurde deutlich von den Gleisen abgerückt. Außerdem hat die genehmigende Behörde den gesetzlichen Grenzwert von 300 Mikrotesla
sicherheitshalber auf 0,3 Mikrotesla abgesengt, um ganz sicher zu sein.
Was hat das nun mit der Entwicklung auf dem Holstenquartier zu tun? Dort wird sich der Bezirk genauso verhalten, denn es fährt dieselbe Bahn mit der gleichen Strahlung dort vorbei – und mit der Wohnnutzung im nördlichen Teil des Baufeld 7 wird das nichts innerhalb des vorgegebenen
Abstandes von 45 Metern. Aus Wohnen wird nun Gewerbe. Ein umswitschen der Baugemeinschaftsflächen auf andere Blöcken ist aus o.a. Gründen nicht möglich. Somit steht praktisch nur die Hälfte der Fläche des Blocks für Baugemeinschaftswohnungen zur Verfügung.


HALBES GLAS LEER ODER VOLL?

Das Faktum, dass die Baugemeinschaften nun nur im südlichen Grundstücksteil des Baufelds 7 errichtet werden können, sowie die nun aufgetauchte Tatsache, dass im Nordteil Gewerbe realisiert werden muss – kann aber auch als Chance oder ­Potenzial betrachtet werden.
Die Idee war ursprünglich, den gesamten Baugemeinschaftsblock durch verschiedene Gruppen in einem genossenschaftlichen Modell zu entwickeln. Der Vorteil der ggf. gemeinsamen Bewirtschaftung der Gemeinschaftsanlagen und der Erdgeschoßzonen (ggf. mit Gewerbe und oder Einzelhandel) liegt auf der Hand. Es bieten sich dadurch ganz andere Möglichkeiten und Perspektiven der Gestaltung dieses Blockes. Sofern es kein komplett autofreies Modell wird, könnte man die Stellplätze und Fahrradabstellanlagen bspw. im Hof auf Erdgeschossebene überdeckelt entstehen lassen, um teure Tiefgaragen zu vermeiden. Man hätte einen (!) Bauträger der den gesamten Block in einem Stück hochzieht – auch das generiert Kostenvorteile. Eine schlanke Management­gesellschaft für die Erdgeschosszonen kann eine sinnvolle Vermietungsstrategie umsetzen, die sich nicht nach ­Maximalmieten richtet und so eine kleinteilige heterogene Einzelhandels-/ Gewerbe-/ Gemeinschafts­zonennutzung gewährleistet.
Das nun der Nordteil des Baufeld 7 gewerblich genutzt werden muss, muss nicht zwingend etwas Schädliches sein. Die Viktoria-Kaserne https://www.fux-eg.org in unmittelbarer Nachbarschaft – die ebenfalls als Genossenschaft k­­onstituiert ist – beweist dies in hervorragender und ­vor­bildhafter Weise. Ebenso ist die Kolbenschmidt-Halle http://kolbenwerk.org ein außerordentlich gelungenes ­Beispiel. Oder der Handwerker-Hof Ottensen www.handwerkerhof-ottensen.de. Beispiele gibt es genug. Auch international, z.B. das Projekt Kalkbreite in der Schweiz ist hier zu nennen https://www.kalkbreite.net.
Eine bunte heterogene Mischung in der Architektursprache, die auch ein Ausdruck der verschiedenen Baugruppen und Konzepte wäre, könnte ein nie dagewesenes Beispiel geben … eine Matrix für die anderen großen Stadtentwicklungs­vorhaben, wie Oberbillwerder, Science City, Grasbrook, ­Wilhelmsburg. Alles städtische Flächen, die mit mehreren 1.000 Wohnungen bebaut werden sollen und bei denen ebenfalls 20% der Geschoßwohnungsbauflächen von Baugemeinschaften umgesetzt werden sollen.
Eine weitere Vorstellung wäre es eine Gesellschaftsform zu generieren, an der sich die FHH beteiligt. Indem sie das Grundstück, sowie weiteres Kapital in Höhe des zu leistenden Eigenkapitals einlegt, welches von der Genossenschaft sukzessive abgeschmolzen wird, und – um der Frage der Finanzierbarkeit zu begegnen – am Ende ein Erbbaurecht an die Genossenschaft vergeben wird. Mit dieser Form ließen sich auch mehrere Projekte solcher Art in den anderen o.g. Entwicklungsgebieten duplizieren – und for ever dem Grundstücksmarkt entziehen. Keine Umwandlung in Eigentum, sondern ein dauerhaftes genossenschaftliches Modell.
Die Agentur für Baugemeinschaften ist Willens ein herausragendes Projekt im Holsten-Quartier zu etablieren. Wir werden uns überraschen lassen.
Am Ende ist sind es aber die Menschen, die Gruppen, die Willens sein müssen hier neue Wege zu beschreiten, ins ­Risiko zu gehen – und genügend Kraft und Kreativität haben. Bei der Politik werden sie offene Türen einrennen.

Christian Trede, Dipl. Ing. Städtebau/Stadtplanung (Stadtplaner), ist seit 2009 im Planungs- und Bauausschuss Altona für die Grünen Altona und seit 2010 in der Bezirksversammlung Altona für die Grünen Altona.

zuerst veröffentlicht: FreiHaus 25(2020), Hamburg